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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: THE SNOW QUEEN. Premiere

„Lame Duck“ – Collage introvertierter Wirkungsarmut mglw. für Kognitivisten

22.12.2019 | Oper

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper – Premiere vom 21.Dez. 2019

The Snow Queen – Oper in drei Akten (2019)

Komponist Hans Abrahamsen · Libretto Hans Abrahamsen und Henrik Engelbrecht nach dem Märchen von Hans Christian Andersen, Erstaufführung in englischer Sprache

Einlassungen von Tim Theo Tinn   

Lame Duck“ – Collage introvertierter Wirkungsarmut mglw. für Kognitivisten

Barbara  Hannigan (Gerda), Thomas Gräßle (Kay Double) Chor  © Wilfried Hösl

Zähe Angelegenheit modernen Musiktheaters in Monotonie, Schwung- und Verständnislosigkeit!

Intellektuelle technokratische Klangkonstruktionen bilden überlagernde kürzeste Motivpartikel. Subtile intensive Komplexität in Wagner, Bach und vielen anderen Reminiszenzen verhindern emotionale Aufnahme. Übervoller ständig entschleunigter Fortgang in dynamischem Gleichmut fordern wache Kognition, haben dadurch akademischen Reiz aber keine Fülle für Seelentiefe und Emotionen. Die Berührung bleibt distanziert frostig wie das Sujet. Die Inszenierung schafft als stückfremde Welt mglw. eine Irrenanstalt, bleibt im musikalischen Berührungsmodus.

Beispiel Hans Abrahamsen – Schnee (wird vielfach in The Snow Queen zitiert) https://www.youtube.com/watch?v=NP_B6FV4CcE

Im Märchen (1844) wird ein Spiegel der extremsten Welten zerbrochen. Splitter dringen in Kays (Freund der Gerda) Augen und Herz.  Die Schneekönigin entführt ihn. Gerda glaubt unerschütterlich Kay zu finden.  Die Suche wird zum Weg der Erkenntnis, von der Unschuld zur Erfahrung (s. Parzival). Gerda und Kay besiegen in kindlicher Liebe das Böse der Welt.                                                                                                            

Der Däne Hans Abrahamsen mit internationalem Renommee seiner fragilen, sensitiven Kompositionen hat in seiner Akzentuierung die Kernthemen Gefühlskälte und Unnahbarkeit verdichtet.: https://de.wikipedia.org/wiki/The_Snow_Queen_(Abrahamsen)

Die Inszenierung durch Andreas Kriegenburg sucht hippen Zeitgeist. Die Erwachsenen Gerda und Kay sollen gem. Ankündigung eine Metamorphose zum Innersten der menschlichen Seele erleben. Die Geschichte kommt nur noch in Partikeln aus Andersens Märchen. Fetzen werden in neuen Kontext gebracht –über die Komposition hinaus.

In psychopatischen Momenten in ausgedünnter Szene im klinisch antiseptischem Raum, im Hospital/Sanatorium als Seelen – und Siechenhaus wandert die Szene in 3 Akten vom Sonnendach/Wolkenkuckucksheim in den Sezierkeller der Pathologie, in dem die Schneekönigin als Pathologe (nicht Pathologin) den Köper der Gerda mlgw. zerstückeln soll – oder auch nicht.

Diese szenisch entseelte Collage gem. musikalischer Motiv-Partikel/Splitter-Synthese bleibt ohne Stringenz und damit unschlüssig, aufgesetzt, bietet sicherlich Alles für beliebige jenseitige Gedankenspiele, jenseitig von Werkimmanenz (gemeint ist keine museale Werktreue), z. B. Patientenschicksal bis zum Untergang in der Pathologie.

Wieder ein szenisches Angebot, bei dem man unvorbereitet glaubt, die Tonspur sei vertauscht (s. analoge Filmaufnahmen – Tonspur).

Partikel allerorten: in musikalischen Motiven, szenischen Collagen, inhaltlichen Vorlagen, Dramaturgischem, der Geschichte und Inszenierung.


Thomas Gräßle (Kay Double), Barbara Hannigan (Gerda), Peter Rose (Snow Queen), nackte Statistin (Gerda Double) Rachael Wilson (Kay) © Wilfried Hösl

Splitter ohne klare Handlungsstruktur sind zulässig, hier bringt Summierung allerdings unentschlossene Kompliziertheit. Statt thematischer Befragung bleibt Verwirrung beim Schicksal eines Menschen, der offensichtlich mit Autismus in der Pathologie ankommt, in der seine bisher völlig gesunde Geliebte aufgebahrt seziert werden soll – oder auch nicht. Personelle Doppelung als gescheiterter Patient in Unterhose und als Heranwachsender im Straßenanzug verwirrt ebenso wie die Auferstehung der toten nackten Gerda vom Seziertisch, deren Alter Ego auch gleichzeitig agiert.

Diese Doppelungen hatten sich vorher auch schon in assoziativen Bilderbögen zur dreifachen Personalisierung dieser ursprünglichen Kinder erhoben – kleine Kinder, Heranwachsende, Erwachsene. Viel Futter für grobe allfällige Sinnsuche aber Entfremdung vom Thema.

Regisseur Herbert Fritsch zu Verödung durch veränderte Inhalte:   

ich will die Vielfalt an Möglichkeiten bei den Zuschauern nicht einschränken, indem ich Wegweiser aufstelle und Filter einbaue. Diese würden den Blick auf das Werk genauso reduzieren wie eine vordergründige Aktualisierung.

 … Deshalb möchte ich die Vielschichtigkeit eines solchen Werks dem hippen Getue entgegenhalten…

 …. nichts mit dem Vulgärrealismus zu tun, den sich das Theater heute vom TV-Realismus und nicht aus der Wirklichkeit entlehnt.                                                                                                                                                         

 Die Personenführung leidet unter handwerklichen Schwächen. Ungewohnt bei Kriegenburg, findet vieles an der Rampe statt. Um überwiegend kleine Partien szenisch aufzuwerten, werden panthomimische Dinge eingeführt, die die Sänger überfordern und zum Fremdschämen anregen. So wird die Schneekönigin z. B. zum tapsigen komischen Alten, der wie ein dressiertes Hündchen auf den Hinterbeinen mit den Pfoten wackelnd über die Bühne hüpft.

Der hochgeschätzte Regisseur Andreas Kriegenburg und sein Ausstatter haben sich auf bloße Routine reduziert, inszenatorische Souveränität aufgegeben.

 Es beginnt mit unangenehm langem dissonant schneidendem Ton, wie ein zehrender Messerschnitt in Gedärmen. Musik bleibt verzehrend unangenehm gleißend, flirrend, ein dauerndes zurückgenommenes Wimmern, Wehklagen, Verlöschen. Die vielen Motivpartikel weiter klassischer Musik wirken eher wie die akademische Lösung, möglichst viel einzubinden. Die Komposition wirkt äußerst anspruchsvoll, bleibt leider in langatmiger Betulichkeit. Nach Welser-Möst ist die größte Herausforderung in Abrahamsens Musik der Rhythmus. „In „The Snow Queen“ erhalten Sänger und Instrumentalisten hyperspezifische Tempi und Taktarten sowie Quotienten, die den Takt jedes einzelnen Parts im Vergleich zum Rest des Orchesters anzeigen. In der Partitur werden manchmal zwei Dirigenten verlangt“.
Verhaltenes Kaskadieren, Zerbröseln eines musikalischen Mosaiks findet keinen Schönklang, kaum dynamische Varianten, es bleiben tonal gereihte Fragezeichen mit hin und wieder leicht aufwallenden Dezibel.

Bedeutungsschwangeres (kein bedeutungsvolles) Gewimmer stagniert im akustischen Nirwana –ohne Entwicklung. Es bleibt somit schlicht, spärlich, karg, langweilig. 

Als illustrierende retardierende Musik ohne besondere Akzente, könnte ggf., insbesondere bei einer Neukomposition, der Musik eine Seelensprache durch korrespondierende Bühnensprache, ohne versponnene fremde lahme Wege, eingehaucht werden. Akzentuierte kontrastierende Farb-Dramaturgie mit szenischen Kontrapunkten und immanenter Personenführung könnten und sollten Musik potenzieren, statt akustisch-szenisch emotionaler Synchronizität, hier zäher Monotonie, in dem die Szene dem schwachen Erregungsniveau der Musik folgt.                                                                                                                          

 Sänger sind ungewöhnlich gefordert. Durchgängige Weltklasse wird stimmlich unterfordert, da gibt es nichts Exponiertes quer durch die Register, sondern wesentliche Arbeit im mittleren Register mittlerer Dezibel. Sicher vertrackt dürfte die ungewöhnlich changierende Rhythmik/Metrik sein.                                

 Es gibt keinerlei Abstriche bei den sängerischen Leistungen – alle singen auf optimalem Level.

Tatsächlich wundert, dass nur die Gerda der Barbara Hannigan tatsächlich eine Hauptpartie singt.

Entgegen des Titels bleibt auch die Schneekönigin des Peter Rose sängerisch und in szenischem Anteil unscheinbar.

Die Oper wurde nach Berichten in Verehrung zu Barbara Hannigan komponiert. Nach meinem Eindruck huldigt hier ein Komponist einer großartigen Sängerin, bleibt in stimmlich vorsichtigen Bahnen und vernachlässigt das Gesamtpaket.

Die Leistung des Dirigenten Cornelius Meister kann ich kaum beurteilen. Tempi, Dezibel, Kontakt zu Sängern und Orchester schienen recht gut. Petrenko verwöhnt, könnte ich mir eine größere Durchsichtigkeit, gezieltere Akzentuierung, Konturierung vorstellen – für ein klares Urteil habe ich aber zu wenig Kenntnis der Komposition,

Die Genderfrage der Schneekönigin bleibt nur am Rande erwähnt. Feminine Bezeichnung, maskuline Komposition als Bass, maskuline Aktion und Besetzung reiht sich in das Panorama der Verständnissuche ein. Auch der Titel hat keinen Bezug.  Auf jeden Fall kommt zum Schluss der Chefarzt.

Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Inszenierung: Andreas Kriegenburg
Bühne: Harald B. Thor
Kostüme: Andrea Schraad
Licht: Michael Bauer
Choreographie: Zenta Haerter
Chor: Stellario Fagone
Dramaturgie: Malte Krasting

Gerda: Barbara Hannigan
Kay: Rachael Wilson
Grandmother/Old Lady/Finn Woman: Katarina Dalayman
Snow Queen/Reindeer/Clock: Peter Rose
Princess: Caroline Wettergreen
Prince: Dean Power
Forest Crow: Kevin Conners
Castle Crow: Owen Willetts

 

  1. 2019    Tim Theo Tinn

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt, keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zu haben. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

 

 

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