München / Bayerische Staatsoper: “SOUTH POLE” von Miroslav Srnka – 21.01.2017 – Die weiße Hölle
Da waren noch alle zuversichtlich: Team Scott (links) und Team Amundsen (rechts), Statisterie der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Draußen herrschen klirrende Temperaturen, drinnen sorgt eine gleißende Helle für eine ebenso kalte Anmutung: Miroslav Srnkas Doppeloper South Pole steht wieder auf dem Programm. Doppeloper, weil hier die Geschichte der beiden Teams, die den Südpol erobern wollen, auf einer in der Mitte durch einen weißen Balken geteilten Bühne parallel nebeneinanderher erzählt wird. Das stellt hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Zuschauers, müssen doch zweimal Übertitel gelesen und die gleichzeitig ablaufenden Handlungen erfasst werden. Vieles erschließt sich erst nach dem Lesen des Programmbuchs, z.B. die dass Scott sich vom Carusophon (ein Plattenspieler mit Schnur und Kerze als Weckerersatz) wecken lässt, aber das einen Episode am Rande und bei den etablierten Opern nicht anders. Was sehr deutlich herausgearbeitet wird, ist die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Teams, bzw. ihrer Führer an die schier unlösbare Aufgabe:
Scott ist der eher kumpelhafte Anführer, fürsorglich seinen Männern gegenüber, aber auch von Selbstzweifeln gequält, die sich vor allem in der unbegründeten Eifersucht auf seien Frau äußern.
Amundsen hingegen wird als autoritärer Typ gezeichnet, er verlangt völlige Unterordnung und stößt Johansen, das Gruppenmitglied, das ihm diese nicht bietet, aus dem Team aus. Indem er seinen Männern das Tagebuch- und Briefeschreiben verbietet, beansprucht er die Deutungshoheit über die Expedition. Der Ursprung des Konflikts mit Johansen könnte ein bisschen besser herausgearbeitet sein. Seine emotionale Kälte und Bindungsunfähigkeit wird durch die Szenen mit der „Landlady“, verdeutlicht. Dass er mit sich selbst nicht glücklich ist, machen die letzten Worte der Oper deutlich: „The pole is yours“ singt Thomas Hampson, nachdem er per Telegramm erfahren hat, dass Scott auf dem Rückweg gestorben ist.
Miroslav Srnka breitet für dieses Sujet einen Klangteppich aus klirrenden, flirrenden Tönen aus, die sich vor allem in den Szenen mit den Frauen und dann, als Scott merkt, dass Amundsen vor ihm am Pol war, zu dramatischer Wucht verdichten. Die Gesangslinien der Männer sind eher linear gehalten, mit wenigen langsamen Aufschwüngen, während für die Frauen teile irrwitzige Intervalle komponiert sind. Das klingt richtig schwer, umso höher ist es Eri Nakamura anzurechnen, dass sie kurzfristig für die erkrankte Tara Erraught als Kathleen Scott einsprang und die Partie von der Seite sang. Diese Teilung in Gesang und Schauspiel unterstreicht noch das alptraumhafte Wesen der Szenen. Auch die Szenen mit Amundsens Landlady sind als Halluzinationen Amundsens zu verstehen. Moica Erdmann meistert die extrem hochliegende Partie mit Bravour.
Die Bayerische Staatsoper hatte aber im Vorfeld noch eine weitere Umbesetzung zu tätigen:
Kurz vor Weihnachten kam die Meldung, dass Rolando Villazón die Rolle des Scott, die ihm auf den Leib (oder die Stimme) komponiert worden war, aus seinem Repertoire nimmt. John Daszak übernahm die Partie, und konnte auf eine weniger extrovertierte Art als Villazón überzeugen.
Der Rest der Besetzung war identisch mit der der Premierenserie: Thomas Hampson als elegant-autoritärer Amundsen, ließ seinen Bariton strömen, wo es die Partitur erlaubte. Tim Kuypers, ehemaliges Mitglied des Opernstudios der BSO, durfte in als Hjalmar Johansen als einziger eine längere Solostelle singen, das „Lied an die Vögel“.
Scotts Team rekrutiert sich ausschließlich aus Tenören, Dean Power als Lawrence Oates, Kevin Conners als Edward „Uncle“ Wilson, Matthew Grills als Edgar Evans und Joshua Owen Mills als Henry „Birdie“ Bowers, Amundsens aus Baritonen: neben dem schon genannten Tim Kuypers noch John Carpenter als Oscar Wisting, Christian Rieger als Helmer Hansen und Michael Plumb als Olav Bjalaand. Sie alle meisterten ihre sicher nicht einfachen Gesangspartien hervorragend und es gelang ihnen auch, trotz der vereinheitlichenden Kostüme, den jeweiligen Figuren Kontur und Individualität zu verleihen. Einen großen Anteil daran dürfte allerdings auch die differenzierte Personenregie von Hans Neuenfels haben.
Für die riesige Partitur, sie ist mehr als einen halben Meter hoch, musste extra ein größeres Notenpult angefertigt werden, an dem auch für diese Wiederaufnahme wieder Kirill Petrenko agiert. Er leitet das Bayerische Staatsorchester mit immenser Präzision durch die komplexen Klangstrukturen, die aus bis zu 100 Einzelstimmen bestehen. Dass daraus ein großes Ganzes wird, dass die Struktur immer durchhörbar ist, ist sein Werk, für das er auch an diesem Abend wieder gefeiert wird.
Susanne Kittel-May