MÜNCHEN/Bayerische Staatsoper: Salome v. R. Strauss Premiere am 27. Juni 2019
Einlassungen von Tim Theo Tinn
Inferiorer Dilettant sabotiert epochales musikalisches Wunderweben
D.h.: wer mangelhafte, stümperhafte, abgedroschene Szene ertragen kann, erlebt mit Kirill Petrenko, dem Bayer. Staatsorchester, Marlis Petersen, Pavol Breslik, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke eine interpretative musikalische Referenzsichtung mit überirdischer kosmischer Wirkungsmacht – ein Jahrhundertereignis!
SALOME: Ensemble der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Es ist erstaunlich, mit welcher Macht szenisch befremdliches Dünnbrettbohren das Erleben einer Salome-Aufführung beeinflussen kann. Lange wollte ich dem inhaltsarmen szenischen Gewusel auf die Spur kommen, suchte einen Ansatz: „Wenn ich doch nichts verstehe -bin ich oder ist das Sichtbare blöd?
Ca. 30 n. Chr., hebräische Potentaten, Galiläa, Palast, Zisterne? Nein, nichts Archaisches, sondern orthodox jüdisch bürgerliche Wohlanständigkeit um 1940 im Verfolgungsmodus (durch Nazis?).
Der hebräische Tetrarch (Herrscher) Herodes wird zum jüdischen Rabbi mit Tora und Kippa. Es gibt keine Hebräer (Abgrenzung zu Juden????). Aber es gibt durchgehend Abstruses in dunkel raumüberfüllender Monumental- Bibliothek in billigem Realitätsabklatsch, usw. – mal wieder ein Sammelsurium an krausem Hingeworfenen, offensichtlich in der Hoffnung, dass im Feuilleton schon irgendein intellektuelles „Gezeuch“ hineingedichtet wird. Billige Effekte für optisches Allerlei statt handlungsfördernder Affekte, die Effekten dramaturgische Wirkungsmacht geben, bestimmen.
Ärgerlich ist auch, dass tatsächlich recht altbacken interpretiert wird. Es ist billiger Boutiquen-Stil, wenn man lediglich ein „schräges“ Bühnenbild und unpassende Kostüme nimmt, um unwahr eine Neuinterpretation zu behaupten. Tatsächlich sind die Charaktere unkritisch in tradierter Rezeptionsgeschichte vorgestellt. So bleibt Salome (grundsätzlich in der Inszenierung, -auch wenn Marlies Petersen einen eigenen Kosmos schafft) das eindimensionale böse Mädchen, Jochanaan der überhöhte spirituelle Prophet usw. Eine einfache Textanalyse (s. 5 Minuten https://onlinemerker.com/salome-text-einziger-akt-hilfestellung) zeigt eine pubertäre, schwärmerische Salome, den idiotischen psychopatischen Schreihals Jochanaan als militanten Hassprediger (er ist kein Christenmensch mit bedingungsloser Liebe, Nachsicht, Verständnis), den ekligen Machthaber Herodes in tumber Blöd- uns Geilheit als armseligen, aber erstaunlich nahen „Trump – Prototyp“. Ich mutmaße, dass Inszenierungs- u. Dramaturgen – Team den Text nicht gesichtet haben.
Ein Vielwissender wird wieder eine „verrätselte“ Inszenierung behaupten. Das ist es aber ganz und gar nicht – es sind unausgegorene masturbative Ideen eines Kenntnislosen. Rätsel könnten durch Denken gelöst werden. Fehlende Substanz, fehlender Sinn bleibt abstrus, diffus und verworren. Intellektuell gebrechliche Desorientierung in unterdimensioniertem Wollen kann keinen Zugang öffnen. Diese Inszenierung ist modernd statt modern. (n. R. Straus: „Modern? Betonen Sie das Wort einmal anders!“)
Die spekulative völlig verquere Effekthascherei wird z. B. deutlich, wenn Salome (S.12/13 Text – https://onlinemerker.com/salome-text-einziger-akt-hilfestellung)) Jochanaan anschmachtet: „Jochanaan! Ich bin verliebt in deinen Leib, …“ Auf dem Rücken liegend, einige Meter von Jochanaan entfernt, muss sie sich dabei koital von Narraboth bespringen lassen – der danach tot zusammensackt – hat er sich also totgepimpert.
Ich fühle mich nicht bemüßigt, derartig leere Mengen (s. Mathematik: enthält nichts, gar nichts, noch mit mal eine O) detaillierter zu rezensieren. Die üblicherweise anzustrebende Synthese aus optisch und akustischem Vortrag ist hier gegensätzlich. Die Szene beschädigt die Wahrnehmung des musikalischen Impetus‘ in den wunderbar ausgearbeiteten akustischen Facetten.
Die Erleuchtung kam auch nicht sofort. Das beschriebene Ärgernis hat arg durch verunsicherte Sinnsuche die musikdramatische Beachtung reduziert. Bis zum „Osram“-Moment (ein Licht ging auf). Ich wandte mich von strukturiert-rationalem Aufnehmen einer Handlung zum assoziativ-emotionalen Erleben eines musikalischen Universums.
Das war ein geradezu ehrfürchtiges Innehalten und Erschauern, seit „Jahrhunderten“ nicht mehr erlebt (z. B. Sawallisch: Rheingold-Vorspiel, div. Parsival – Momente).
Kirill Petrenko verlässt den (manchmal gewitterten) „akademischen Zuchtmeister“, gibt sich dem wohldosierten beherrschten Melos mit allergrößter Emphase hin, steuert trotzdem in Feldherrenmanier und kreiert einen Zugang zu konzentrierter idealer Ausschöpfung einer Komposition in nie gehörtem Wunderweben. Im Auf und Ab idealer Dynamik schafft er großangelegtes lyrisches Durchweben in zartem changieren der Dezibel, um akzentuiert auch wieder die rauschhaften härteren Passagen zu betonen, jenseits eines oft erlebten gleichförmigen Radaus.
Oft als rhythmisch harsches Poltern im Dauerforte/ -fortissimo und schnellen Tempi empfundene Klangwelten werden neu und moderater, sogar narrativ erlebt, nie gehörte Legati in lyrischem Äther schaffen ein zauberhaftes -, ein überirdisches R. Strauss – Universum, das in späteren Werken weitere bittersüße Vollendung findet. Harsches wird zum Auf und Abschwung lyrischer und dramatisch exzessiv exponierter Exegese.
Es mutet wie eine Entschlüsselung an: eine betörende epochale musikalische Neudeutung, K. Petrenko leuchtet neue musikdramatische Farben, neues Erleben aus. So hören wir die Salome in einer zarten sensiblen Durchsichtigkeit. Nur so kann es sein, damit ist ein Maßstab gesetzt.
Marlis Petersen korrespondiert als Salome genial mit dem Klanggemälde Kirill Petrenkos. Auch sie befreit sich von den tradierten Konventionen, bringt knisternd schwüle Dramatik in Figur und Stimme – und – ihre Optik ist eine Augenweide!
Eine hübsche Feminina zwischen Kindfrau, berechnender Göre und verträumtem Teenager, zwischen hilflosem Aufbegehren, fordernder Verwöhntheit und desorientiertem ungezogenen Kind, eine 16jährige verzogene Tochter, das begehrte erotische Objekt lüsterner Männerphantasien.
Das meint nicht nur die optisch artifizielle Wirkung – Marlis Petersen sprengt mit ihren gesanglichen Möglichkeiten offensichtlich unangestrengt Grenzen. Strauss selbst sprach von einer „16jährigen Prinzessin mit Isoldenstimme“ (Wagner, Tristan u. Isolde). Die Salome ist eine der forderndsten Partien im Sopran – Kosmos. Marlis Petersen bewältigt diese Partie nicht, sondern überhöht alles bisher erlebte. (auch im Hinblick auf die letztjährige Salzburger Salome). Strauss hat diese Partie in der Uraufführung 1905 von Marie Wittlich singen lassen, die „sich einen tüchtigen Bauch hergemästet“ hatte. „Schadet nichts! Stimme, Stimme und wieder Stimme – alles andere ist Bauch….“
Marlis Petersen beherrscht die Emphase der gesanglich überdramatisch Pubertierenden in jeder Phase. Genial ist die Abstimmung mit dem gigantischen Orchester (über 100 Musiker). Der musikalische Leiter und seine Salome musizieren als gäbe es keine der fordernsten Sopranpartien – da wird vital und tiefschürfend vorgetragen, Orchester und Gesang bleiben ohne Dominanz mühelos beieinander, es bleibt eine großartige Wortdeutlichkeit, nichts wird orchestral zugedeckt. Und wenn dann die Salome durch die Register schwingt – vom Mittellage – Parlando in exponierte Höhen, mögliche, auch ganz kurze Legati auskostet, ins Piano gleitet – die übervolle Gesangslinie berührend zur Geltung bringt, erlebt man etwas Singuläres – Seltenes – vielleicht sogar Einzigartiges. Es ist berückend und kaum erlebt, wie die Register ineinander verwoben werden um dann auch im Exponiertesten alles ohne jede Schärfe im Wohlklang bleibt. Das ist übermächtige Kunst im genialen Können.
Wolfgang Koch als Jochanaan bleibt unter den Erwartungen. Sein gleichmütiges Rollenspiel ist mglw. der Personenführung geschuldet. Gesanglich bleibt er weit zurück. Die Mittellage ist kraftvoll, elastisch mit schönem Kern. Das war es aber auch schon. Die Wege ins hohe Register werden angestrengt angegangen, gepresst und geschoben – so hört man unfreie Tongebung. Auf dem Weg ins tiefe Register öffnet er regelrecht Tore um sich herabzuringen – das sind keine fließenden dynamischen Übergänge sondern sortierte Registersuche. N.m.E. hat sich die Stimme über die Jahre versungen, das schöne Material hat das Potenzial zu früherer Qualität zu finden.
Marlis Petersen (Salome), Wolfgang Koch (Jochanaan) © Wilfried Hösl (Jochanaan… so schön….
… eine Elfenbeinsäule auf silbernen Füssen). Copyright: Bayerische Staatsoper/ Wilfried Hösl
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Herodes ist einmal mehr ein großartiger Sängerdarsteller. Auch dieser Tenor – Partie mit dramatischen Ausbrüchen verlangt viel. Souverän geht der Vielgelobte in seiner Partie auf. Er ist mit jedem Zoll der totalitäre Potentat mit unsympathischen verdorbenen Gelüsten. Gesanglich findet er in aller Dramatik immer eine Linie durch alle Register, die schwerelos im schönsten Kern eine massive Weichzeichnung findet, die auch in höchsten Tönen keine Schäfte zeigt – das ist Meisterschaft und erinnert wunderlich – nein an Fritz Wunderlich. Diese Besetzung ist ein wesentliches Element für die erlebte begeisternde musikalische Offenbarung der Aufführung.
Der Narraboth des Pavol Breslik zeigt (und läßt hören) einen Tenor im Zenit seines Vermögens. Sängerisch und darstellerisch erfüllt er alles optimal. Man muss dankbar sein, dass dieser Tenor aus der ersten Garde auch für diese überschaubare Partie seinem Publikum das Geschenk seiner Mitwirkung macht.
Michaela Schuster als Herodias erfüllt alle Anforderungen. Trotz wesentlicher dramatischer Funktion ist die Partie nicht sehr groß, erfordert aber nachhaltige Einsätze mit großer Stimme. Das ist mächtige dramatische gesangliche Intervention. Diese Herodias hat alle Fäden in der Hand, hat ihre Tochter Salome geprägt und fordert machtvoll, den zunächst möglicherweise unbedarft geforderten Tod/ Mord an Jochanaan vollziehen zu lassen.
Besetzung, Medien, Inhalt etc.: https://www.staatsoper.de/stueckinfo/salome.html
Tim Theo Tinn 28. Juni 2019
Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). Ist mit Begeisterung für singuläre Aufträge zu haben, nicht für Festengagements.