„Peter Grimes“ von Benjamin Britten in der Bayerischen Staatsoper – 3.4.2022/MÜNCHEN
Ein universelles Drama
Dieses während des Zweiten Weltkriegs entstandene Werk schlägt beklemmende Brücken zur Gegenwart. Stefan Herheim stellt in seiner suggestiven Inszenierung (Bühne: Silke Bauer; Kostüme: Esther Bialas) den Außenseiter Peter Grimes voll heraus.
Als sich der Fischer Peter Grimes wegen des Todes eines Schiffsjungen vor Gericht behaupten muss, dauert es eine ganze Weile, bis sich die einzelnen Akteure der Handlung versammeln. Der Saal wird aber insgesamt in ein düsteres Licht getaucht. Ellen Orford spricht ihm Mut zu, da sie den Sonderling Peter Grimes liebt. Am Hafen ist Peter Grimes plötzlich Gesprächsthema, denn er hat wieder einen neuen Schiffsjungen gekauft. Er möchte die See leerfischen, um ein reicher Mann zu werden. Für den Sturm findet Herheim packende Bilder, da öffnet sich immer wieder der Vorhang – und man erkennt gigantische Meeresfluten, die die gesamte Bühne zu überschwemmen scheinen. Außerdem erscheint ein riesiges Fischernetz mit großen Fischen, die den Menschen gefährlich nahe kommen. Man erkennt zudem einen großen Schiffsmast, der dämonisch in die Höhe ragt. Ellen führt den Knaben zu Peter Grimes mit der Aufforderung, ihn heimzuholen. Da der Junge von Peter Grimes trotz angeschlagener Gesundheit einfach fortgezogen wird, ist die Menge schließlich empört über Peter Grimes‘ Verhalten. Um einem Demonstrationszug zu entfliehen, geht Peter Grimes mit dem Jungen über gefährliche Klippen, wobei dieser abstürzt. In einer gespenstischen Szene sieht man zunächst im Hintergrund diesen Absturz, dann erkennt man den Jungen wieder, der sich in der Menge einen Platz sucht (Video: Torge Moller). Schließlich wird er von Peter Grimes auf die Schultern genommen.
Stefan Herheim schafft hier ein erschütterndes Bild zwischen Leben und Tod. Bühnenbild und Musik wachsen sehr stark zusammen, wobei ein geöffnetes Fenster geheimnisvolle Hinweise gibt. Zuletzt ist die Menge mit Knüppeln bewaffnet, der zurückkehrende Peter Grimes bricht an seinem Boot zusammen. Doch der Aufforderung, das Schiff zu besteigen, kommt er schließlich nach. In der Ferne versinkt es – aber das Leben geht weiter. Ellen ist machtlos und bleibt fassungslos zurück. Dämmerung, Sonntagmorgen, Mondschein und Sturm hat Stefan Herheim als Regisseur in eindringliche Bühnenbilder umgesetzt, die einen tiefen Eindruck hinterlassen.
Unter der einfühlsamen Leitung von Edward Gardner musiziert das Bayerische Staatsorchester hier sehr konzentriert und präzis. Insbesondere die erhitzten Meeresstimmungen kommen so in vielfältiger Harmonik zu ihrem Recht. Rhythmus und Tonmalerei finden ganz zusammen, geben auch den Sängern immer wieder genügend Freiraum. Stuart Skelton (Tenor) als Peter Grimes betont das Aufrührerische und Revolutionäre dieser Figur ausgezeichnet. Und auch Rachel Willis-Sorensen (Sopran) arbeitet die Verzweiflung der Lehrerin und Witwe Ellen hervorragend heraus. Der Bayerische Staatsopernchor lässt die monumentalen Ensembleszenen in glühender Intensität erklingen. Rezitativische Wendungen und motivische Kurzformen bis hin zu den feinen chromatischen Arabesken der Flöte sowie den betörenden Glissando-Arpeggien der Harfe gehen unter die Haut. Englische Volks- und Seemannsmusik bleibt wiederholt spürbar. Die Grenze der Polytonalität wird bewusst gezeichnet. In weiteren Rollen überzeugen Iain Paterson als Balstrode, Claudia Mahnke als Auntie, Lindsey Ohse als erste Nichte, Brindley Sherratt als Swallow, Jennifer Johnston als Mrs. Sedley und Robert Murray als Reverend Horace Adams. Außerdem gefallen Emily Pogorelc als zweite Nichte, Kevin Conners als Bob Boles, Konstantin Krimmel als Ned Keene und Daniel Noyola als Hobson.
Die frei schwingende, von Vorschlagsimpulsen getragene Kantilene im hohen Register der ersten und zweiten Violinen und der Flöte werden von einer Harmonik ergänzt, die von Bizet, Debussy und Sibelius inspiriert ist. Tiefe und hohe Glocken scheinen sich hier ein bedeutendes klangliches Gewicht zu geben. Im Mondschein steigern sich die Klänge von Flöte, Harfe und Xylophon geheimnisvoll – und auch die heftigen Impulse des Sturms mit seinen Staccato-Attacken werden vom Bayerischen Staatsorchester unter Edward Gardner voll erfasst. Die melodische Flexibilität ist beachtlich. Nachimpressionismus und Verismus werden stark betont. Großer Jubel und Beifall.
Alexander Walther