München:“Otello”–Bayerische Staatsoper15.07. 2019–Opernfestspiele -Todorovich für Kaufmann
Wer an diesem Montag im Juli das Nationaltheater im München betritt, um eine starbesetzte Otello-Aufführung zu sehen, und nicht Abonnent des Umbesetzungs-Newsletters ist und nicht auf die roten Zettel an den Besetzungsaushängen achtet, der konnte schon enttäuscht werden. Jonas Kaufmann, vor kurzem in Mailand noch glänzend bei Stimme, hat abgesagt, ein Infekt, an seiner Stelle wurde am Sonntag Zoran Todorovich aus Mallorca eingeflogen. Ein Glück, dass dieser Sänger schon in der Premierenserie des Otello Ende 2018 als Cover für Kaufmann an den Proben teilgenommen hatte, so musste man wenigstens szenisch kaum Abstriche machen. Todorovich lieferte darstellerisch ein ebenso überzeugendes Rollenportrait wie Kaufmann. Er hat das Konzept von Regisseurin Amélie Niermeyer – Otello als alternder, traumatisierter, cholerischer Soldat – verinnerlicht und all die kleinen Gesten und Blicke, die gut beobachteten, ausgefeilten Interaktionen mit Desdemona und Jago, die diese Inszenierung so besonders machen, sind vorhanden.
Stimmlich muss man schon Abstriche machen. Das „Esultate“ verrutscht ihm etwas nach unten, beim dritten „Sangue“-Ruf bricht ihm die Stütze weg. Aber es überwiegt der positive Eindruck: ein angenehmes, helles Timbre, schöne Phrasierung und vor allem: er hatte die im zweiten Teil geforderten düsteren, leisen Töne. In Anbetracht der derzeitigen weltweiten Otello-Knappheit ist Todorovich sicher eine gute Lösung.
Der Einspringer-Otello Zoran Todorovich beim Schlussapplaus © Susanne Kittel-May
Der Rest der Besetzung ist identisch mit der der Premierenserie: Anja Harteros als Desdemona lässt im Lied an die Weide ihre berückenden, todtraurigen Piani hören. Diese lang ausgesungenen Phrasen liegen ihr besonders gut. Zu Beginn wirken manche Töne so, als hätten sie eigentlich leiser klingen sollen, aber im Laufe des Abends findet sie zu einer ausgewogenen gesanglichen Gestaltung, ihre Stimme schwebt so leicht über dem über den Ensembles wie eh und je.
Gerald Finley scheint im ersten Teil des Abends ab und zu mit einer leichten Heiserkeit zu kämpfen, die er aber intelligent überspielen kann. Er gibt wieder einen Jago der meist leisen Töne, gefährlich leise. Ein intriganter Strippenzieher mit wunderschönem, elegantem Bariton, der von Ironie über geheuchelte Freundschaft bis zu blanker Wut alles ausdrücken kann. Großartig in Gesang und Gestaltung das Credo.
Cassiovon Evan LeRoy Johnson ist ebenfalls wieder sehr hörenswert. Eine helle, noch lyrische Stimme, dieman gerne öfter hören würde.
Rachael Wilson überzeugte als Emilia sowohl mit schöner Phrasierung als auch mit dramatischer Gestaltung. Galeano Salas als Roderigo ein rollengerecht weinerlicher Feigling, Milan Siljanov ein distinguierter, schönstimmiger Montano, Bálint Szabo als Lodovico diesmal mit mehr Ausdruck und schönerem Gesang als in der Premierenserie. Und last but not least, Markus Suihkonen als Herold, der nur einen Satz zu singen hat, der aber Lust macht, mehr von diesem jungen Sänger zu hören.
Unbedingt zu erwähnen ist der fantastisch disponierte Chor der Bayerischen Staatsoper. Die Textverständlichkeit und Präzision in den Chorszenen, allen voran die Gewitterszene zu Beginn, suchen ihresgleichen. Dazu ein fast bis zur Schmerzgrenze hochgedrehtes Orchester, aus dem immer noch deutlich hörbar die verschiedenen Instrumentengruppen hervortreten. Kirill Petrenkos berühmte Transparenz. Er gibt jeder Stimme, jedem Motiv im Orchester das richtige Gewicht. Holz und Blech Streicher oder Schlagwerk, nie verschwimmt das zu einem Klangbrei. Immer hört man die gemeinte Stimme deutlich heraus.
Ein schöner, bewegender Opernabend. Großer Applaus für alle Beteiligten.
Susanne Kittel-May