München: Bayerische Staatsoper: „Manon Lescaut“, 18.04.2016
Brandon Jovanovich und Ermonela Jaho © Wilfried Hösl
„Ein jedes Kunstwerk, das wirklich eines ist, stellt einen Konflikt dar. Es verlangt Überwältigung. Andernfalls sieht man nur bebilderte Situationen und sieht Menschen etwas tun, was wir alle schon wissen.“ Das sagte Hans Neuenfels im Vorfeld der Neuinszenierung von Puccinis Manon Lescaut im November 2014. Überwältigt war ich damals von der emotionalen Wucht, die von dieser Inszenierung und dem damaligen Hauptdarstellerpaar Jonas Kaufmann und Kristine Opolais ausging. Und dachte, dass es diese Inszenierung wohl schwer haben würde im Repertoirebetrieb, falls keine erstklassigen Sängerdarsteller zur Verfügung stehen, vor allem für den letzten Akt, der in Neuenfels‘ Inszenierung auf völlig leerer Bühne spielt. Überwältigt war ich auch gestern, denn es standen zwei wunderbare Sänger auf der Bühne des Nationaltheaters: Brandon Jovanovich als Des Grieux und Ermonela Jaho als Manon ließen fast keine Wünsche offen.
Zwar fehlte es Jovanovitch zu Beginn ein wenig an Verschmitztheit in „Tra voi belle, brune e bionde“, und manche Phrasierung legte er etwas länger an, als sein Atem zuließ, aber was für eine schön timbrierte, große Stimme! Scheinbar mühelose, strahlende Höhen und auch ein wunderbar zartes Piano. Sowohl für das schmerzhaft-wütende „No! Pazzo son!“ als auch für die fahle Verzweiflung letzten Akt hatte er genau die richtigen Farben.
Ermonela Jaho hat mir als Traviata im Mai 2015 nicht besonders gefallen, damals hat mich ein vor allem im Forte deutlich ausgeprägtes Vibrato gestört. Die Manon Lescaut liegt ihr offenhörbar besser in der Kehle. Ihre Stimme ist relativ dunkel timbriert mit einer runden, warmen Mittellage, tendiert ins Dramatische und wird in den Höhen manchmal etwas schrill, ist aber wunderbar ausdrucksvoll und ihre Piani schwebend. Sehr schön bei beiden Sängern das Diminuendo auf „Dolcissimo soffrir“ am Ende des Liebesduetts im 2. Akt. Es war hin- und mitreißend zu sehen und zu hören, wie beide Sänger sich verausgabten. Expressiv, anrührend, überwältigend. Piano, Forte, alle Zwischentöne waren da.
Die musikalische Leitung lag in den Händen von Asher Fish, der an der Bayerischen Staatoper bisher nicht unbedingt durch differenzierte Dirigate aufgefallen war. Zu laut, war die meist einhellige Meinung. Umso schöner, dass es ihm gestern gelang, Puccinis Klangmassen rechtzeitig auf- und abzublenden und so auch den Sängern immer Raum zu geben. Die Steigerung im Intermezzo hätte er noch behutsamer angehen können, das ging zu früh ins Forte über, aber insgesamt ein dynamisch und im Tempo ausgewogenes Dirigat mit schönen Phrasierungen.
Rodin Pogossov als Lescaut war sowohl darstellerisch als auch stimmlich etwas blass. Alle weiteren kleineren Rollen auf gewohnt hohem Niveau: Roland Pracht mit seinem zum alterndem Liebhaber passenden leicht trockenem Bass, Dean Power als locker-leichter Edmondo, Rachael Wilson als warmstimmiger Musico, Ulrich Reß als Tanzlehrer im Planet-der-Affen-Dress. Den Lampionaio sang mit schöner leichter Stimme Petr Nekoranec aus dem Opernstudio, der kürzlich mit der Titelrolle in Albert Herring einen schönen Erfolg feiern konnte.
Heftiger aber kurzer Applaus für diesen schönen Repertoireabend.
Susanne Kittel-May