Macbeth, wieder am Boden, nachdem ihn barbusigen Sylphiden zum Schweben gebracht hatten © Wilfried Hösl
München: “MACBETH” – Bayerische Staatsoper 07.04. 2018– Kein Skandal mehr
Macbeth war die Oper, mit der Niklaus Bachler 2008 seinen Einstand als Intendant der Bayerischen Staatsoper inszeniert hat. Es gab damals zur Premiere einen blauen Teppich auf den Treppen zum Nationaltheater gesäumt von livrierten Fackelträgern. Die Oper selbst hat er nicht inszeniert, sondern sein Landsmann Martin Kušej, der damals mit ein paar seiner Regieeinfälle für einen kleinen, wahrscheinlich geplanten, Opernskandal sorgte.
Der blaue Teppich und die Fackelträger wurden nicht mehr gesehen, aber der Macbeth blieb uns erhalten und sorgt mit wechselnden Besetzungen im Repertoirebetrieb immer wieder einmal für schöne bis großartige Opernerlebnisse, ganz ohne Skandal.
Diesmal sind es vor allem Simon Keenlyside in der Titelrolle und das Dirigat von Pinchas Steinberg, die das Pendel relativ weit Richtung „großartig“ auszuschlagen lassen. Keenlyside, der die Rolle vor vier Jahren bei den Opernfestspielen bereits an der Seite von Anna Netrebko gesungen hat, gibt Macbeth von Anfang mit kleinen Gesten an als einen getriebenen, neurotischen Menschen. Seine Stimme klingt größer und runder als vor vier Jahren, vor allem die Arie „Pietà, rispetto, amore“ – die einzige Solonummer, die Verdi dem titelgebenden Charakter zugestanden hat – singt er mit wunderbar phrasierten Kantilenen, die freilich nie vergessen lassen, dass da ein Mörder in Selbstmitleid zerfließt. Aber er erlaubt sich auch fast veristische Ausbrüche und eine manchmal düster-verschleierte Stimme, die Verdis Idee vom durch den Text getriebenen Drama in der Musik kongenial umsetzt.
Die Lady Macbeth ist Anna Smirnova, an der Bayerischen Staatsoper schon als Eboli, Amneris und Azucena bekannt. Sie tendiert hörbar in das dramatische Sopranfach, hat im Februar in Toulouse zum ersten Mal die Walküren-Brünnhilde gesungen – mit Erfolg. Als Lady Macbeth beginnt sie eher konventionell, die erste Arie etwas undifferenziert in der Dynamik, um dann im Laufe des Abends zu großer sängerischer Form aufzulaufen. Schade, dass sie in ein so unvorteilhaft geschnittenes Kleid gesteckt wurde. Als sie vom Kronleuchter, auf dem sitzend sie das komplette zweite Duett mit Macbeth verbringen muss, in dessen Arme spring, sorgt das heftige Wackeln des Beleuchtungskörpers für unfreiwillige Heiterkeit. Wenn man keine Sängerin hat, die sich zutraut, auf diesem Kronleuchter herumzuturnen, wie Nadja Michael in der Premiere, sollte man sich szenische Alternativen überlegen. Jedenfalls schwang sich Anna Smirnova im Laufe der Vorstellung zu einer darstellerischen und stimmlichen Intensität auf, die ihresgleichen sucht und in der Schlafwandelszene gipfelt, die sie mit nach innen gerichtetem Ausdruck singt, während sie völlig verstört immer wieder eine Zigarette anzuzünden versucht.
Eine Luxusbesetzung ist Joseph Calleja in der relativ kleinen Rolle des Macduff. Er beginnt mit Trompetentönen, ist im Ensemble am Ende der Bankettszene immer sehr schön zu hören, und darf sich in seiner berühmten Arie auch in wunderbar leisen Tönen verströmen. Er erhält dafür den größten Szenenapplaus. Roberto Tagliavini als Banco lässt seinen samtigen Bass strömen, bleibt aber ansonsten etwas blass.
Besonders hervorzuheben ist auch der Chor der Bayerischen Staatsoper, der eine ähnlich große Rolle spielt wie in Nabucco. Die Szene „Patria opressa“ war sowohl musikalisch als auch inszenatorisch ein Höhepunkt. Die wie an Fleischerhakten hängenden Menschenkörper schufen eine dichte Atmosphäre der Bedrohung.
Noch üben muss der Schäferhund, der Banquos abgeschlagenen Kopf apportieren soll. Er braucht dafür diesmal so lange, dass die nächsten Erscheinung schon auf der Bühne ist.
Martin Kušej hat ziemlich nah an Text und Musik inszeniert hat, jenseits des Skandals der urinierenden Hexen, beeindruckende Bilder für die Seelenlandschaften der Protagonisten geschaffen. Vor allem die Schädellandschaft über die alle Sänger immer mühsam steigen müssen dient als Sinnbild für die Gewalt, Krieg und Mord. Für die intimeren Szenen von Macbeth und der Lady werden Plastikvorhänge herabgelassen, die an Kühlhäuser erinnern (Bühne: Martin Zehetgruber). Den Film „Dorf der Verdammten“, der Kušej inspiriert hat, muss man nicht gesehen haben, um die Kinderhexen gespenstisch zu finden.
Der israelische Dirigent Pinchas Steinberg gibt der Aufführung musikalische Kontur und Zusammenhalt. Das Vorspiel beginnt er mit relativ langsamen Tempi, hebt das Düstere und Dumpfe dieser Musik und die grellen Gegensätze heraus. Später zieht er das Tempo an und lässt es manchmal richtig krachen, ohne je die Sänger zuzudecken. Ein sehr schönes Verdi-Dirigat, das mit viel Applaus honoriert wird.
Susanne Kittel-May