München: Bayerische Staatsoper: „Lulu“, 03.06.2015
Bewegungschor. Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper
Es war wie so oft: In der Premierenmatinee der Bayerischen Staatsoper über die bevorstehende Neuinszenierung von „Lulu“ hatte insbesondere Regisseur Dimitri Tcherniakov so interessant über seine Arbeit und seine Gedanken zu dem Stück erzählt, dass die Besucher die Veranstaltung in freudiger Erwartung einer spannenden und tiefgründigen Deutung des Werks von Alban Berg verließen. Beim Besuch der Vorstellung am 03.06. erfüllte sich diese Erwartung jedoch nur bedingt. Die Inszenierung von Dimitri Tcherniakov, der auch für das Bühnenbild verantwortlich ist (Kostüme: Elena Zaytseva), ist zwar optisch von kühler Eleganz und ästhetisch sehr ansprechend, verbreitet aber statt Spannung und Emotionalität eher Langeweile. Die Bühne wird beherrscht von einem großen Glaslabyrinth, vor dem die Protagonisten agieren. Während der Zwischenspiele stellen Statisten in dem Labyrinth Szenen problematischer Beziehungen dar, wie man sie im vorhergehenden Bild von Lulu und ihren jeweiligen Liebhabern gesehen hat. Diese Aktionen des Bewegungschors erscheinen allerdings als bloße Wiederholung, nicht als Interpretation oder Deutung der Handlung. Das Labyrinth ist auch nicht –wie in der Premierenmatinee anklang – ein Spiegel der Gedanken der handelnden Personen, es steht höchstens einmal der nächste Liebhaber schon vor seinem Auftritt eine Weile sichtbar im Hintergrund. Die kühle, eintönige Atmosphäre der Inszenierung ist so dominierend, dass es auch den hervorragend singenden und spielenden Sängern nicht gelingt, diesen Gesamteindruck entscheidend zu verändern. Das ist sehr schade und wird den durchgehend sehr guten Leistungen nicht gerecht. Dies gilt vor allem für Marlies Petersen in der Titelpartie. Ihre Lulu ist keine Kindfrau, sondern eine erwachsene, sich ihrer Wirkung voll bewusste Persönlichkeit, die die Männer durch ihre Mischung aus Anziehungskraft und herablassender Kaltblütigkeit um den Verstand bringt. Einzig Dr. Schön ist sie letztlich nicht gewachsen, weil er in ihr, so scheint es, als einziger ein tiefes, echtes Gefühl geweckt hat.
Marlis Petersen. Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper
Marlis Petersen taucht vollkommen in die Rolle ein und stellt auch ihre variable Stimme ganz in den Dienst der Interpretation, lässt sie mal lyrisch verführerisch, mal emotional eruptiv, mal leidenschaftlich klingen. Eine beispielhafte Interpretation, für die sie zu Recht bejubelt wird. Bo Skovhus‘ Rollenportraits von Dr. Schön und Jack the Ripper sind ebenfalls sehr überzeugend. Sein Dr. Schön ist ein herrisch auftretender Mann, der gegenüber Lulu vergeblich um die Aufrechterhaltung seiner Souveränität ringt. Seine qualvollen, erfolglosen Versuche, sich von Lulu zu lösen, sind fast mitleiderregend. Skovhus’ sonorer, manchmal etwas spröde klingender Bariton passt sehr gut zu dieser Rolle. Neben dem Hauptpaar konnte vor allem auch Daniela Sindram als hoffnungslos in Lulu verliebte Gräfin Geschwitz für sich einnehmen. Mit ihrem dunkel leuchtenden Mezzosopran sorgte sie neben Marlies Petersen für die sängerischen Höhepunkte des Abends. Auch die übrigen Protagonisten, wie Matthias Klink als weichlicher Alwa, Pavlo Hunka als zwielichtiger Schigolch, Rainer Trost als weinerlicher Maler und brutaler Neger oder Martin Winkler als schmieriger, opportunistischer Athlet boten hervorragende musikalische und schauspielerische Leistungen. Ließ die Inszenierung an Differenziertheit und Spannung einige Wünsche offen, so wurde dies durch dies durch das fulminante Dirigat von Kirill Petrenko wieder mehr als ausgeglichen. Ihm gelang es einerseits, alle Einzelheiten der komplexen Partitur deutlich zu machen, anderseits aber auch den großen, vielschichtigen Emotionen freien Lauf zu lassen. Dabei wirkte die fast noch spätromantische Musik niemals schwülstig, sondern eben doch modern, ausdrucksstark und präzise. Wegen der Musik und den Sängern würde sich ein zweiter oder vielleicht auch dritter Besuch durchaus lohnen.
Gisela Schmöger