TTT– erste Reflexion: „ Les Troyens“ (Die Trojaner) Hector Berlioz – Bayerische Staatsoper – Premiere 9.5.2022
Marie-Nicole Lemieux als „Cassandre“. Foto: Wilfried Hösl
Alles Gute – keine Aufreger! Alles Gute – keine Ausfälle! Alles Gut? Verstörende Einfälle?
Keine Aufreger ? Nein! Ein von unbeugsam saturierten Bigottisten bevölkertes Publikum hat dann doch „Krumen“ zum Protest in bestürzender Borniertheit genutzt.
Die Inszenierung greift ein Minderheitenproblem in Filmeinblendungen auf, indem hübsche junge Männer nackt im mäßiger Softpornomanier homoerotisch agierten.
Also verhaltene normale angedeutete Erotik, im (fast) jedem Menschen innewohnenden Sexus, hat bei manchem Premierengeher zu Wutausbrüchen und hysterischem Buhgeschrei in offensichtlich verirrtem Fehlen eigener Koituserfahrungen geführt. Vielleicht sollte man doch Sexualaufklärung für manche Senioren in 2022 anregen.
Galerie 7 Bilder BR-KLASSIK https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/berlioz-les-troyens-an-der-bayerischen-staatsoper-100.html
Auch mit der Auswahl dieses Mammutwerkes verdient Staatsintendant Serge Dorny hohe Anerkennung. Dabei ist die beschworene innovative Strategie durchaus zu diskutieren, möglicherweise wurde aber auch aus der Not der Inszenatoren–Auswahl eine Tugend gemacht
- Quereinsteiger“Les Troyens“ in München https://oe1.orf.at/artikel/693791/Les-Troyens-in-Muenchen
Im Gegensatz zu manchem „Grautvornix“ aktueller Musiktheater-Regie-Kader hat man sich zu gemäßigter Umsetzung entschlossen.
Die Optik liefert dem Sujet gerecht werdendes Kolorit. Chor und Statisterie waren durchaus in Anklängen archetypischer Menschenmythen inszeniert (Herrenchor durchgehend im Frack ?). Die Aktionen der Solisten erinnern durchwegs eher an Semikonzertantes mit angedeuteter Szene.
Statuarisch wurde abgeliefert! Das mag an mangelnder temporärer Einstudierung oder an den Möglichkeiten eines Musiktheater – Regieanfängers liegen, der sich dem sogen. Regietheater -Mainstream wenig anpasste und offensichtlich selbsterkennend differenzierte Personenführung vermied.
Das hat Vorteile: in der werkorientierten Arbeit bleibt die Möglichkeit ein großartiges, nur selten inszeniertes Mammutepos der Musikdramatik unbelastet zu ertasten, wenn auch vertiefende Berührung einer nüchternen Beobachtung weicht, die sich analytisch einlassen kann.
Die szenischen Notwendigkeiten ermöglichen nahezu probefreien Einstieg internationaler Gesangs-Größen.
Die Protagonisten dieses Einstudierungsmarathons habe zufriedenstellende Ergebnisse geliefert, angeführt vom 68 jährigen Tenor Gregory Kunde in der Hauptpartie. Auch die musikalische Umsetzung im Dirigat von Daniele Rustioni enttäuschte nicht. Er mühte sich wacker am Pult und erreichte eine im Tempo und Dezibel ansprechende Umsetzung. Agogisch (individuelle, lebendige Ausgestaltung) bleibt noch Luft nach oben.
Tim Theo Tinn 10.5. 2022