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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: KARL V.

Delirien des sterbenden Kaisers

14.02.2019 | Oper

München:“Karl V.”–Bayerische Staatsoper 13.02.2019–Delirien des sterbenden Kaisers

Bildergebnis für bayerische staatsoper karl v
Das eindrucksvolle Eingangsbild: Karl V. (Bo Skovhus) vor Tizians „Gloria
© Wilfried Hösl

Schon das Eingangsbild überwältigt: Vor der bühnenhohen Projektion von Tizians „Gloria“ steht reglungslos die einsame Gestalt von Karl V., während eine tiefe Frauenstimme (Mechthild Großmann, bekannt als kettenrauchende Staatsanwältin aus dem Münsteraner Tatort) aus dem Off die Titel des Kaisers aufzählt. Schier endlos ist diese Aufzählung und allein aus den weit auseinanderliegenden Länder- und Ortsnamen wird klar, dass die Absicht, ein so weitgespanntes Reich unter einer universalen Herrschaft, unter einem Glauben zu vereinen, zum Scheitern verurteilt sein musste.

In einem Beitrag für das Programmbuch plädiert der katalanische Regisseur Carlus Padrissa für eine Welt, die nach dem Verbindenden sucht, nicht nach dem Trennenden. Eine Idee, die man in der Oper Karl V. erst im Scheitern findet. Oder, wie der Jesuit am Ende sagt: „Doch bleibt uns ewig aufgegeben, was er heldenhaft versuchte“, nämlich einen einheitsstiftenden Gedanken für die ganze Menschheit zu finden. Die katholische Religion war das nicht und dass auch für uns heute noch eine Aufgabe ist, zeigt das bedrohliche Schlussbild der Inszenierung: in die ersten Parkettreihe strömen Menschen in bunter Alltagskleidung – Flüchtlinge? Zum Wahlspruch Karls „Immer weiter“ scheinen sie sich auf die Zuschauer im Parkett stürzen zu wollen, sie überrennen zu wollen.

Wer Carlus Padrissa und seine Theatergruppe La Fura dels Baus und einkauft, weiß, dass er ein Bildfeuerwerk erhält, das diesmal noch durch die bildende Künstlerin Lita Cabellut potenziert wird. Was beim Parsifal letztes Jahr grandios gescheitert ist, ein bildender Künstler als Bühnenbildner, hier gelingt es großartig. Die Videoprojektionen, die Spiegelungen in den verschiebbaren Bühnenwänden und im Wasser, das einen Großteil der Bühne zentimetertief bedeckte, schaffen immer neue, kaleidoskopartige Effekte. Die Delirien des sterbenden Kaisers als surrealistisches Bilderspektakel im Wasserbad, das geht auf. Natürlich dürfen auch die fliegenden Statisten, die vom Schnürboden hängend immer neue Figuren bilden, nicht fehlen.

Kaiser Karl und sein Gegenspieler und eigentlich ersehntes Alter Ego, König Franz I. von Frankreich stecken in lächerlich kurzen Mäntelchen, sind komplett weißgeschminkt und tragen Kopfschmuck, der an Hahnenkämme erinnert. Dass die beiden trotzdem nicht zur Witzfigur geraten, ist der großartigen Darstellungskunst vor allem von Bo Skovhus zu danken. Er ist während der gesamten Dauer der Oper, ohne Pause etwas mehr als zwei Stunden auf der Bühne. Diese Mammutpartie fordert ihm extrem schwer zu Singendes ab, was in den tieferen Lagen nicht immer gut gelingt. Sein Bariton fühlt sich in den höheren Lagen spürbar wohl und wo die Partitur es erlaubt, strömt seine Stimme sehr schön und ausdrucksstark.

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke singt den leichtsinnigen französischen König mit heller Stimme, als wäre es die leichteste Übung der Welt.

Auch Gun-Britt Barkmin hat eine beeindruckende Bühnenpräsenz und singt als Eleonore, Karls Schwester, mit farbenreicher Mittellage, allerdings klingt die Stimme im höheren Bereich hart und metallisch, schwingt nicht aus. Karls Mutter, Juana, Johanna die Wahnsinnige, tritt als Madonna in einer Pietá auf – ihr toter Ehemann hängt ihr vom Schoß wie Jesus. Okka von der Damerau leiht ihr ihre wunderbare Altstimme. Eine der musikalisch schönsten Szenen ist der Auftritt von Anne Schwanewilms als Isabella, Karls Frau. Nur knapp fünf Minuten hat sie zu singen, wunderschön flirrend in fast unsingbaren Höhen erklärt die sterbende Isabella Karl ihre Liebe.

Für Martin Luther hat sich die Regie etwas Besonderes einfallen lassen: die erste Parkettreihe ist leergeblieben, gibt Raum für Luthers Auftritt am Reichstag zu Worms. Michael Kraus singt ihn mit raumfüllendem Bariton. Ein Anhänger verteilt Flugblätter ans Publikum, die vom Chor der Kleriker gleich wieder eingesammelt werden.

Bei all dem Aktionismus kommt die Personenregie etwas zu kurz. Darunter leiden muss vor allem der Tenor Scott MacAllister, sonst im deutschsprachigen Raum im schweren Wagner- und Straussfach unterwegs. Als Jesuit Francisco Borgia stehter meist unbeweglich wie eine Säule an der Rampe. Da sein Deutsch leider von einem doch manchmal störenden amerikanischen Akzent geprägt ist, verpufft die Wirkung als eisern zur Pflicht mahnender Mönch, eine Rolle, für die seine kräftige, metallische Stimme eigentlich prädestiniert ist.

Der junge Mönch, Beichtvater des Kaisers, ist die einzige Figur, die nicht von Kostüm und Maske zur Unkenntlichkeit ist. Erfrischend normal schaut er aus, der Schauspieler Janus Torp, und er gestaltet seine Sprechrolle erfreulich unpathetisch, so einen Gegenpol, den Einbruch der Normalität in die Traumwelt Karls bildend.

Die musikalische Leitung lag in den Händen von Erik Nielsen. Der dirigiert das so locker, als hätte er einen Verdi vor sich. Sehr sängerfreundlich reizt er die gesamte dynamische Palette aus, die Tempi wirken genau richtig. Besonders schön das fast spätromantisch klingende Orchesterzwischenspiel vor den zweiten Teil.

Eine ungeheure Anstrengung, die die Bayerische Staatsoper da unternommen hat, dieses musikalisch nicht einfache Werk mit den vielen Solisten, die hier gar nicht alle genannt werden, auf die Bühne zu stemmen. Es wurde vom Publikum mit viel Applaus aufgenommen und es ist zu hoffen, dass es seinen Weg ins Repertoire findet.

Susanne Kittel-May

 

 

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