Beinahe ein ganz großer Wurf
München, Bayerische Staatsoper: Karl V. von Ernst Krenek – Premiere
Komponist Ernst Krenek · Text vom Komponisten
Tim Theo Tinn‘s Premierennachhall – Erster Eindruck
Premiere am 10. Februar 2019
Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen (1938)
Bo Skovhus im 1. Bild. Foto: @Wilfried Hösl
Das Bühnenwerk mit Musik in Vorgabe und Ausführung, die hinreißende optische Welt mit faszinierender Klangkulisse sind ganz große Würfe. Ebenso alle Damenstimmen und der überragende Wolfgang Ablinger-Sperrhacke.
Das Bühnenbild führt als Synthese aus Surrealismus und Pop-Art beeindruckend wegweisend in wassergeschwemmte fantastische feinstoffliche Welten, jenseits unserer Realität, aber doch als Teil unserer metaphysischen Wirklichkeit. Die ständigen perfekten Überblendungen auf offener Szene in immer neue Welten/Variantenräume/Parallelwelten sind beglückend, insbesondere da hier bisher unerreichte Qualität, gem. „5 Dramaturgischer Schriften“ im Feuilleton des online Merkers, wie eine Eruption hervorbricht. Diese Qualität scheint bisher einzigartig und wird im Kontext mit artistischer Luftakrobatik einer Horde in derLuft auf und nieder fahrender Menschen an Seilzügen zum bestimmenden Moment des Abends.
Bo Skovhus, Opernballett. Foto: @Wilfried Hösl
Das Werk – in seiner vereinnahmenden gleichwertigen Synthese aus Musik und Text bildet eine faszinierende musikdramatische Parallelwelt, in leitender Einrichtung von Erik Nielsen. Hier kann/müsste Text und Musik in gleichwertiger Koexistenz wundervolle Welten öffnen. Jenseits aller erwarteten insistierenden Irritation (beim Zwölftöner) wurden vorgebliche Atonalität, fehlende Harmonien und tonale Bindung der idealen akustischen Öffnung im Variantenraum überzeitlicher Befragung zugeordnet und als großartig empfunden.
Bo Skovhus, Opernballett. Foto: @Wilfried Hösl
Eine Gleichwertigkeitin Textbehandlung und Personenführung wurde leider mangels regielicher Empathie und Fähigkeit nicht erreicht. Es blieb beim Rampengewurschtel in unmotiviertem Aktionismus und fehlender dezidierter Text-/Ausdrucksbehandlung. Selbst die Auftritte vielfacher übernatürlicher Erscheinungen konnten von übriger realer Wirklichkeit, zumindest durch Lichtwechsel, nicht abgegrenzt werden. Tatsächlich soll inszenatorisch nur nach Gegenwart und Vergangenheit unterschieden worden sein. Damit wurden überzeitliche feinstoffliche Universen vergessen.
NoaBeinart, Natalia Kutateladze, Bo Skovhus, Anaïs Mejías, Mirjam Mesak. Foto: @Wilfried Hösl
(Einer singt, Vier stehen unbeteiligt dabei, Regie fehlt)
Uneingeschränkte Bewunderung eines epochalen Theaterabends wird durch 3 Fehlbesetzungen zerstört:
Der Inszenator ist kein Regisseur, sondern im besten Fall Spielordner. Sicherlich hatte er inszenatorischen Einfluss auf das Bühnenbild, aber regieliche Notwendigkeiten kann er nicht erfüllen.
Beide Hauptrollen haben Defizite: der Jungschauspieler Janus Torp als Beichtvater Juan ist heillos überfordert. Als szenisches Leichtgewicht findet er keinen Zugang zur Bühnenfigur. Außer ordentlicher Textansage (mit Mikroport) bleibt er ohne Format, noch dazu im ständigen Vergleich mit Texteinspielungen der großartigen Mechthild Großmann (Münster-Tatort Staatsanwältin). Es bleibt die Frage, ob es an fehlender Unterstützung eines Regisseurs oder am mangelnden Talent liegt, man sollte Ersteres erachten.
Die Partie Karl V. ist bei Bo Skovhus nicht gut aufgehoben. Mit dezidierter Personenführung in Ausdruck, Körpersprache und Bewegungskoordination in Raum und Situation könnte der intensive Darsteller sicher punkten, hier hat man ihn allerdings allein gelassen. So bleibt er von Beginn der sieche „Amfortas“, immerwährend verwundet, statt seiner Figur eine Entwicklung vom vitalen Ruheständler zum Sterbenden zu geben. Sängerisch kämpft er sich durch. Die Mittelage ist forciert aber akzeptabel, die Höhe mühevoll erkämpft, die Tiefe mit statischem Innehalten kaum erreichbar. Dies ungeachtet seines großen Applauses am Schluss.
Bo Skovhus,Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Opernballett der Bayerischen Staatsoper. Foto: @Wilfried Hösl
Es bleibt bei der Empfindungstiefe eines Zirkusbesuches – artistische Optik wird bestaunt – aber tiefere Eindrücke, Berührungen mit Seelentiefe bleiben völlig verschlossen – der Zuschauer bleibt kühl analytisch, die Seele wird hier nicht erreicht, es bleibt Unterschied vom Zirkus zum Theater. Dieses Defizit wirkt umso schwerer, da Krenek mit dem Bühnenwerk schon die inszenatorische Zeitenwende zu Feinstofflich- Vitalem, normale Humanoidität verlassend, eingeleitet hat und durchgehend metaphysische Räume in quantenenergetischen Umständen öffnet.
Ensemble, Chor und Opernballett Alle Fotos: @Wilfried Hösl
Diese Defizite zerstören den Eindruck der ersten Viertelstunde, in der der Rezensent erbend formulierte: „Das wird ein Knaller!! Trotzdem, die Bilder, das Werk und fast alle Protagonisten machen den Abend wertvoll und oft betörend.
Ausführliche Einlassung folgt ggf., falls bzgl. anderer Rezensionen noch etwas zu sagen ist oder jemand vom mir noch etwas wissen will.
Tim Theo Tinn am 10.Febr. 2019
Profil 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden).