Staatsoper München: Neuproduktion 1.Febr. 2020
JUDITH: KONZERT FÜR ORCHESTER / HERZOG BLAUBARTS BURG
Konzert für Orchester in fünf Sätzen (1944) / Oper in einem Akt (1918)
Komponist Béla Bartók · Libretto von Béla Balázs
In ungarischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Einlassungen von Tim Theo Tinn
„Der Berg kreißte und gebar eine Maus!“
Bayrisches Staatsorchester und Leinwand (ca. 40 Minuten Film). Foto: Bayerische Staatsoper/ Wilfried Hösl
Der Abend verblüfft: vollmundig als außergewöhnlicher Opernthriller angekündigt, der männliche Fantasien durch neue radikale feminine Perspektive killt, erlebte man 2 irrlichternde Personen in Schmuddelwelten, die sängerischen Zenit weit überschritten haben.
Nina Stemme als Titelfigur Judith überrascht mit Aufgabe der Gesangskultur und schrie über weite Strecken ohne Legato. John Lundgren als Blaubart konnte in den ersten Minuten überzeugen, dann war die Luft raus – Mittellage blieb akzeptabel, nach oben unten wurde gekämpft.
(Erinnerung: Luis Lima, der Zarte, vor Jahrzenten, mit nahezu einem HNO-Labor in der Garderobe, das er zwischen seinen Auftritt durchgehend für Inhalationen etc. nutzte.) Beide haben noch enormes Volumen ohne störendes Vibrato -aber die Stimmen klingen beschädigt (zu viel Wagner?) und poltern.
Der Jubelkanon in Publikationen der Münchner Staatsoper: starkes feministisches Programm der herausragenden Regisseurin, die einem Werk ihren Stempel aufdrückt, bedeutendste lebende Regisseurin mit einzigartigem Stil und emotionale/wahrhaftiger Eindringlichkeit realistisch psychologisch fundierte Deutung, jede noch so unbedeutend scheinende Geste, der Körpersprache usw.
Das szenische Ergebnis bestreitet diese Lobhudelei in Gänze, hier sollte man in Ankündigungen ein anständiges Unterstatement wählen, dann irritiert man weniger.
Die Suche nach einem kreativen Inszenierungsansatz scheitert, es gibt keinen. Da laufen 2 Menschen privat durch enge Räume, singen Dinge, die mit der Szene nicht korrespondieren – und der Zuschauer wundert sich nach China-Art: „Watt Nu?“
Exzeptionelle Tiefgründigkeit der dramaturgischen Durchleuchtung machen die Bühnenbilder deutlich:
Fotos: Bayerische Staatsoper/ Wilfried Hösl
Diese Schmuddelwelten sind nach Rezensenten – Verständnis keine tiefgründige Neudeutung sondern Ergebnis überlebtem Regietheater – Miefs, verquerem Regietheater – Muffs in beliebigem unspezifischem optischem Verhaspeln – in der Hoffnung und Anbiederung auf/an deutungswütige Feuilletonisten/ Rezensenten. Es gibt offensichtlich keine strukturierte Interpretation, sondern allfällige Beliebigkeiten, die auf Einordung durch Außenstehende hoffen.
Handlungsorte gem. Libretto:
…imaginäre Burg, „mächtige runde gotische Halle“ mit einer Steiltreppe zu einer kleinen Eisentür. Rechts neben der Treppe befinden sich sieben große Türen. Ansonsten ist die Halle düster und leer und ähnelt einer Felsenhöhle
…..blutrot glühender langer Lichtstrahl durch die Öffnung auf dem Hallenboden. Hinter der Tür, Blaubarts Folterkammer mit blutigen Wänden und verschiedenen Instrumenten Hinter dieser leuchtet es rötlichgelb.
… Blaubarts Waffenkammer mit blutverschmiertem Kriegsgerät. Tatsächlich wird es durch die Lichtstrahlen in der Burg heller,
… Tür „mit warmem, tiefen erzenen Klang öffnet sich und ein goldener Lichtstrahl tritt heraus. Es ist die Schatzkammer voller Gold und Edelsteinen …. Tür, durch die eine „strahlende Lichtflut“ eintritt …, dahinter das große Land des Herzogs mit Wäldern, Flüssen und Bergen, …durch eine Wolke, die „blutigen Schatten“ wirft. Das Innere der Burg selbst ist jetzt hell erleuchtet.
…. Tür, durch die es blaugrün leuchtet. Dahinter befindet sich der „verborgene Garten“ der Burg mit riesigen Blumen – doch auch die Rosenstämme und die Erde sind blutig
… stiller Tränensee erscheint…. „Wie ein Schatten fliegt es durch die Halle“, und das Licht trübt sich wieder ein.
… siebte Tür strömt silbernes Mondlicht herein… Schatzkammer. Blaubart bleibt in der wieder dunkel gewordenen Burg zurück: „Und immer wird nun Nacht sein… Nacht… Nacht…“
Könnte das keine Basis für eine werkimmanente Sichtung sein, z. B. in einer über der Realität stehenden Form (surreal) eine berührende Theatersprache begründen? Wenn man stattdessen eine abgewrackte Mannschaftsdusche, einen rostigen Tresorraum usw. wählt ….
Ich wiederhole mich: n. m. E. wollen Unkundige hier nur einem falsch verstandenen Zeitgeist huldigen. Musiktheater ist kein Ort für durchgeknallte Ideen, verlangt rational durchforschte Sichtung der Vorlage und daraus die Transformation in heutigen Zeitgeist.
Die Regisseurin soll Verfechterin der medialen Verschränkung von Film und Theater sein, tatsächlich wird über 40 anfängliche Minuten überhaupt nichts verschränkt, es gibt keine Bühne, sondern Film auf recht kleiner Leinwand (s. o.).
So liefert man Gründe, Theater abzuschaffen. Schon in der Wozzeck Besprechung habe ich mich dem Thema gewidmet. So total gegen Bühnengeschehen gerichtetes Arrangement im Theater habe ich noch nie erlebt.
„Tatsächlich hat die Entwicklung schon eingesetzt. In Online Merker werden z. B. laufend Kino, TV und Live – Streams Übertragungen vorgestellt. Da ist es mglw. nur noch ein kleiner Schritt die hochsubventionierten Theater-Plätze zu sparen. …. werden museale Repräsentationsbesuche in Prachtbauten obsolet.
… Bereinigung in Quantität und Qualität erfolgen. Überlebte Traditionen müssen befragt werden. Sind antiquierte 140 Theater/130 Orchester nötig, oder kann das Interesse mglw. durch neue Medien besser bedient werden?“
Der Stummfilm als Vorgeschichte der Protagonisten angekündigt, hat diese Informationen nicht gegeben. Als Soda – Film (er ist halt so da) kommt er bedeutungsschwanger, ideenarm und inhaltsleer. Stummfilm vor 100 Jahren war schon informativer, da es Untertitel gab.
Aus dem Unstrukturierten:
Auto wird mit einem Schwamm geputzt, Krawatte wird gebunden, Fingernägel werden in Großaufnahme lackiert, Hände in Folie eingewickelt, hochinteressante immerwährende Großaufnahmen von Frau Stemmes Tränensäcken, Fahrten durch nasskalte nächtliche Großstadt usw.
Für den Rezensenten entsteht aus solchen hingeworfenen Fetzen ein Problem. Bartoks „Konzert für Orchester“ wird zu Begleitmusik dieses kinematographischen Erzählversuches degradiert. Es ist ein Konzert für Instrumentengruppen in solistischen Höhepunkten, mit sehr prägnanten eigenen musikalischen Charakterstudien. Diese werden entzaubert durch den fragwürdigen (nicht rätselhaften – Rätsel kann man lösen) Film ist man ständig gedanklich unterwegs diesen Verirrungen irgendetwas abzugewinnen. Das blockiert emotionale Aufnahme und zerstört den Zugang.
https://www.concerti.de/werk-der-woche/bartok-konzert-fuer-orcheste
Der Film liefert atmosphärisch überhaupt keine Anbindung an den Duktus der Musik, sondern plätschert in eigener Couleur vor sich hin – es entsteht keine dramatisch assoziative Anbindung. So ist dieses „Konzert für Orchester“ untergegangen und entzog sich einem auditiven Erlebnis.
Im Zentrum von Bartóks „Konzert für Orchester“ steht z. B. ein herbes, sehnsuchtsvoll trauerndes, erschütterndes Klagegedicht.
Mariss Jansons: „Das ist ein wichtiger Moment, dort ist schon sehr viel Mystisches, Gespenstermomente, so was ganz Unklares. Dann kommen wir zurück zu Positivem und auch zu Humor und Groteske.“
Diesen häufigen Zeitgeist, Inhalte bis zur Ungenießbarkeit zu verwirbeln, sollte man vernichten.
Zur folgenden szenischen Aufführung bleibt noch ein Hinweis zur genialen Idee Ungarisch zu singen. Um überhaupt weitgehend Unbekanntes kennenzulernen, muss man durchgehend an den Übertiteln hängen, somit gehen szenische Momente unter.
Zur musikalischen Leitung von Oksana Lyniv kann ich mich kaum äußern, da ich mit den überbordenden szenischen und auch sängerischen Ungereimtheiten zu beschäftigt war. Ich schätze Frau Lyniv aus wenigen Erfahrungen. Für diesen Abend kann ich nur grundsätzlich funktionierende Tempi und Dezibel bestätigen. Zu orchestraler Feinzeichnung blieb meine Wahrnehmung durch Unverständnis und Ärger reduziert.
Zu „Me Too“, das die Regisseurin im Vorfeld n. m. M. völlig überzogen benutzt , alles Maskuline verteufelt hat, folgt (auch im Hinblick auf 3 aktuelle Premieren in Wien) ein gesonderter Kommentar.
Besetzung, Inhalt etc.:
Für die Regisseurin ist „brillante Bühnenkunst das höchste Ziel“ – dem kann man mit Begeisterung zustimmen – wo waren nur die Brillanten in diesen Schmuddelwelten?
Tim Theo Tinn 2. Febr. 2020
TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt, keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zu haben. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.
Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.