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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: JUDITH. Ein Béla-Bartók-Abend in 2 Teilen

05.02.2020 | Oper

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John Lundgren, Nina Stemme. Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: „JUDITH“

 Ein Béla-Bartók-Abend in 2 Teilen: Konzert für Orchester / Herzog Blaubarts Burg  (Premiere war am 1.2.)

4.2. 2020  (Karl Masek/Wien)

Béla Bartók ist für mich einer jener Komponisten, die sich mir erst mit zunehmendem Alter erschlossen haben. Ich kann von seinem Œuvre mittlerweile kaum genug bekommen. Seien es seine Streichquartette, seine Klavierwerke (das „Allegro barbaro“!), die wild-suggestive Pantomime „Der wunderbare Mandarin“, das wundersam abgeklärte  3. Klavierkonzert aus dem Todesjahr – und allen voran das geniale „Konzert für Orchester“ in 5 Sätzen aus dem Jahr 1944. Und auch sein einziges Opernwerk, der Einakter „A kékszakállú herceg vára“ (Herzog Blaubarts Burg), eins der Schlüsselwerke des damals 30-Jährigen von 1911, auf der Suche nach einem Ausweg aus der traditionalen Tonalität, erweckt neugieriges Interesse eines Opernraritäten-Schatzsuchers.

Es macht sich auch heutzutage rar, dieses 60-Minuten-Werk nach dem Libretto des von Maurice Maeterlink und dem Symbolismus beeinflussten Béla Balázs. Dieser reduzierte die uralte Blaubart-Fabel klischeehaft auf den Gegensatz zwischen der „undurchdringlichen Seele des Mannes und der weiblichen Neugierde“.

Das musste wohl die Regisseurin Katie Mitchell auf den Plan rufen. In ihrem Essay „Mit der Wucht des Thrillers gegen überkommene Bilder“ (im 176 Seiten starken Programmbuch der Bayerischen Staatsoper  abgedruckt) spricht sie davon, dass gerade dieser Stoff viel Brisanz beinhalte, die auch genderpolitisch betrachtet werden könnte/bzw. sogar müsste. . Die Stärke dieser historischen Fabel sei ihre „thrillerhafte Wucht“, zugleich möchte Mitchell aus einer „genderkritischen Perspektive der Frauenfigur größeren Handlungsspielraum geben…“

Also: Umsetzung in die Musiktheater-Realität! Katie Mitchell weiß natürlich, es gab lange  eine gewisse Tradition, den „Blaubart“ entweder mit Strawinsky’s „Ödipus Rex“ oder (wie auch an der  Wiener Staatsoper  in der Inszenierung von Götz Friedrich 1985) mit Arnold Schönbergs „Erwartung“ zu koppeln. Da wollte sie natürlich keine „Fortsetzung einer Tradition“  abliefern! Was verständlich ist! Viel plausibler erschien ihr, inhaltlich-„bildlich“ an  ein anderes Bartók-Werk anzudocken: Dem „Konzert für Orchester“. Mit einer sehr selbstbewussten  Frau als Protagonistin.  Ein von Filmregisseur Grant Gee verantworteter Stummfilm sollte die Folie sein für eine Kriminalkommissarin mit Namen Anna Barlow (auch die ist selbstredend bereits Nina Stemme).

Dazu sei  die „Inhaltsangabe Teil 1“, ausnahmsweise wörtlich zitiert: „Anna Barlow ist Kriminalbeamtin und spezialisiert auf verdeckte Ermittlungen. Sie untersucht die Fälle dreier vermisster Frauen, zwischen denen es einen Zusammenhang gibt: Alle drei haben als Escorts gearbeitet. Im Zuge der Ermittlungen gelingt es Anna, das Stadtviertel auszumachen, in dem die letzte der Frauen verschwunden ist. Sie gibt sich eine Identität, die jener der verschwundenen Frauen ähnelt, und erstellt ein Profil auf der Website einer Escort-Agentur.  Sie erhält eine Anfrage von einem Mann, der sich selbst Blaubart nennt. Sie akzeptiert den Auftrag. Ein Wagen holt sie ab und bringt sie an einen unterirdischen Ort in jener wohlhabenden Gegend, die bereits im Fokus von Anna stand. Blaubart empfängt sie. Er nennt sie JUDITH.“

 Bestechend (im ersten Moment), dieser Ansatz! Mit einem kleinen (aber vielleicht nicht unwesentlichen) Einwand: „Gibt“ man sich als Zuschauer diesen Stummfilm, kommt er einem im ersten Eindruck, ohne vorher das Programmbuch vollständig gelesen zu haben, ziemlich willkürlich vor. Bartóks auch ungemein filmisch komponierte Musik ist der zwingende Teil dabei (geniale musikalische Vorlage!), weniger das, was als filmische Zutat aufgepfropft wird! (Videodesign: Ellie Thompson). Jedoch: Ein zweiter Eindruck (so gesehen, könnte ein Live-Stream – von der dritten Vorstellung am 7.2.! –  Positives bewirken!) mag zu einer Meinungs-Korrektur führen!

Die Blaubart-Geschichte, sie wird spannend und fast durchgehend erzählt (Mittlerweile muss man das bereits als sehr positiv anmerken)!  „Judith“ betritt das kalte und dunkle  „innere Gebäude“ des Blaubart,  um als Liebende  „Licht, Luft und Wärme“ in diese unheimliche Burg zu bringen. Die 7 Türen zu den 7 Räumen des Blaubart ziehen von rechts nach links am Zuschauer vorbei. Mit gekonnter, spannungsgeladener Verdichtung (Zur Musik, die das fantastisch überhöht, komme ich noch).  Und zu einem inszenierungs-logischem Ende, dann allerdings  doch wieder entgegen dem Libretto, wenn „Judith“ am Ende wieder zu „Anna“ aus dem Vorspiel wird. „Während des gemeinsamen Weges durch die unterirdische Anlage wird Anna von dem Mann, der sich Blaubart nennt, enttarnt. Es gelingt ihr aber, seine Waffe an sich zu bringen und ihr Ziel zu erreichen: die Befreiung der drei Frauen, die der Mann entführt hat…“ (Blaubart wird erschossen).

Die Bühnenbilder (Alex Eales) sind theatergerecht, allerdings  neonkalt über weite Strecken. Ich hätte mir mehr „spannende Poesie“ gewünscht! Ästhetisch  dabei z.B. das fünfte Zimmer , wenn sich der Blick über „Blaubarts Lande“ öffnet. Weniger geglückt die Duschzeile im 6. Zimmer, wenn ein Tränenvorhang symbolisiert werden sollte. Aber da gibt Bártók eh alles vor!

Endlich wieder zu Bártók!  Was für eine Musik! An der Schwelle zur Atonalität – aber diese NIE überschreitend! Katie Mitchell muss sich glücklich schätzen, zu  d i e s e r Musik Regie führen zu  d ü r f e n! Besonderer Glücksfall, wie da Musiktheater musikalisch überhöht wird! Mit Pentatonik, mit tritonus-geschärfter Musiksprache, mit scharfen Septimakkorden – und dann mit gleißend-strahlendem C-Dur, wenn von Blaubarts Landschaften die Rede ist!

Eine perfekt schwedisch-ungarische Achse bildeten Nina Stemme  und John Lundgren! Beide geeichte Wagner-Interpret/Innen von besonderem Geblüt!  Begeisternd, wie die beiden sich in ein für sie völlig neues musikalisches Idiom stürzten! An diesem Abend obendrein in allerbester stimmlicher Verfassung! Offensichtlich von Beginn an von besten Sprachcoaches begleitet. Ob das Ungarisch letztlich wirklich authentisch war, wage ich nicht zu beurteilen! Dafür fällt mir eine Walter-Berry-Anekdote ein: Auch er war ein Blaubart, der Gänsehaut erzeugen konnte!

(Also: Konzertante Aufführung mit Berry als Blaubart, in ungarischer Sprache,  in Wien, Rundfunkübertragung. Viel Stress, naturgemäß, vor allem sprachlich. Tags darauf trifft Berry auf die ungarisch-stämmige Esther Réthy, damals berühmte Opern- und vor allem Operettensängerin. Sie zu ihm, mit „authentischem“  Akzent: „Also, Bärry, hab ich gehört gästern in Radio Konzärtübertragung von Blaubart, hab ich sofort erkannt, ist der Bärry, hab ich aber nicht gewusst,  welchä  Sprachä….“!)


Oksana Lyniv. Foto: Facebook

Oksana Lyniv war die schlussendlich lautstark bejubelte Dirigentin. Hatte sie doch einen Abend lang alle, wirklich alle, Facetten Bártóks über die Rampe gebracht! Klar, penibel ihre Zeichengebung. Sinn für schlanke Dramaturgie, für eine außerordentliche klangliche Bandbreite von zart bis hart, von sanft bis messerscharf. Das Bayerische Staatsorchester las der großen Könnerin am Pult alle Wünsche von den Augen ab. Das Klangbild: von feingliedrig bis äußerst kompakt. Dennoch keinen Augenblick lang übersteuert oder gar lärmend! Trompeten- und Posaunenchor, die Soli von Flöte bis Fagott:  das machen andere nicht so bald nach!

Die Ukrainerin, geboren in Brody (dem Joseph-Roth-Geburtsort!) war von 2013 bis 2017 Assistentin des Münchener GMD, Kyrill Petrenko. Ihre Zeit als Chefdirigentin der Oper Graz bleibt leider kurz bemessen. Sie zieht nach nur drei Spielzeiten weiter in Richtung „frei schaffend“, in Richtung Weltkarriere. Graz lässt sie ziehen – und Lyniv weiß das zu schätzen! Parallelen zum Sportbusiness (z.B. Fußball)  drängen sich auf! Da gibt es auch „Ausbildungsvereine“, die dann ihre besonderen Leistungs- und Sympathieträger ziehen lassen (müssen). Das norwegische Red Bull Salzburg-Hünen-Riesenbaby im Fußball, Haaland,  ist kaum 20,  Oksana Lyniv ist in etwa doppelt so alt! Wer wollte ihr das Weiterziehen in Richtung Weltkarriere verübeln?

Ein bejubelter Abend!

Karl Masek

 

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