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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: I MASNADIERI /Die Räuber. Premiere

"Was kümmert's den Mond, wenn ihn der Mops anbellt!" 

10.03.2020 | Oper

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: I Masnadieri /Die Räuber

„Was kümmert’s den Mond, wenn ihn der Mops anbellt!“ 

Melodramma tragico in vier Akten (1847)

Komponist Giuseppe Verdi · Libretto Andrea Maffei nach Friedrich Schiller „Die Räuber“
Neuproduktion 8. März 2020

Einlassungen von Tim Theo Tinn

„Was kümmert’s den Mond, wenn ihn der Mops anbellt!“. Außerordentlicher Gesang über bemühtem Orchester und defizitärer Szene!


 Ensemble, Chor, Statisterie  © Wilfried Hösl

Einheitsbühnenbild: rd. 3 Stunden Schwarzes – Derivat/Ersatz für folgende Handlungsorte gem. Vorlage: Schänke an der sächsischen Grenze, Schloss in Franken, Schlafraum im Schloss, Gelände bei der Schlosskapelle, Böhmische Wälder bei Prag, Gelände beim gräflichen Schloss, Wald bei den Ruinen eines Burgverlieses, Zimmerflucht im Schloss.            
Das kann man besser machen!                                                                                                                                            

Sängerisches Wunderweben Aller in ätherischem Glanz ist sensationell. Wurde vom Rezensenten Mancher letztens im klassischen Gesangs-High-End (maximal mögliche Qualität: optimaler Vortrag, verschwenderische Qualität) hinterfragt, sind nun alle dort angekommen.

Diana Damrau (Amalia) entwickelt aus betörender Mittellage einen wunderschönen Kern mit Weichzeichnung in allen Lagen – eine überragende Spinto mit überreich (neuem?) farbigem vitalem Timbre, eine so bisher nicht erlebte Weltstimme.

Charles Castronovo (Carlo): herrliches Material, fester großer Tenor, schöner Kern, massive schöne Stimme in allen Lagen, kann dynamisch durch alle Register mit Esprit und grenzenloser Öffnung nach oben und unten gleiten. Weltklasse mit besonderem Timbre und ganz großem elastischem Vermögen vom Lyrischen bis Spinto, attraktive Leichtigkeit bei geerdet beweglichem Kern.

Mika Kares (Massimiliano) ist ein nobel profunder Bass. Die Stimme hat sich nun auch in die Weltliga begeben. Da stimmt alles. Ausdruck, Stimmführung, schwerelose Öffnung nach unten zum wohlfälligen Orgeln. Solche perfekten Stimmen berühren.

Igor Golovatenko (Francesco) ist ein außerordentlicher Edel-Bariton. Auch hier öffnet sich überirdischer Kosmos. Ein rasanter Kern, fest geerdet in aller Elastizität mit feinem Timbre singt, singt selbstverständlich in Perfektion. Das ist große Kunst aus Begabung, Ausbildung und empathischer Umsetzung.

Kevin Conners (Arminio) seit Jahrzehnten als Ensemblemitglied in gefühlt jeder Produktion. Auch bei ihm wirkte die tenorale Öffnung zu allen Lagen noch leichter und weiter, mit dem „Wunderlich“-Moment einer samt überstrahlenden Höhe – jedes Mal eine Freunde, wenn der Hochqualifizierte auf der Höhe seiner Möglichkeiten auch als ausgezeichneter Darsteller brilliert.

Callum Thorpe (Moser): der junge Bass (singt bald in München den Komtur/Don Giovanni!) reiht sich nahtlos in die allerbeste sängerische Qualität der gesamten Besetzung ein. Alles wird edel, mit ideal ausgelotetem Kern durch satte Basswelten geführt. Da wartet eine große Zukunft.

Dean Power (Rolla) ist ein Bilderbuchtenor. Auch in dieser überschaubaren Partie erlebt man eine hochqualifizierte Leistung. Mit den jetzigen stimmlichen Möglichkeiten können auch größere Aufgaben mit Bravour erfüllt werden.

Chor: allerbeste mächtig differenzierte Feinzeichnung, wunderbare Offenbarung von Verdis musikalischem Kosmos mit tiefer Berührung.

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Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl

Räuber als Horror- /Zombie –Meute = Untote: seelen- u.  willenlose Wesen                                               
Gag oder handlungsfördernde Aussage? Gem. Süddeutscher Zeitung will Erath die Oper besser machen, als sie ist, sieht dramaturgisch Einiges als falsch: „Aber wenn es da steht, heißt es nicht, dass es so gemeint ist.“ Bedeutungsschwangere Allegorie? Schnick-Schnack einer Simplifizierung!

Die bemühte Orchesterleistung wirkt adäquat in Tempi und Dezibel ( Piano/Pianissimo im Ensemblegesang ist ausgezeichnet). Die dynamische Feinzeichnung bleibt unbefriedigend.

Der Librettist Maffei hat einige testosterongeladene Sturm und Drang-Momente der Schiller–Vorlage gestutzt. Verdi hat die Vorlage im Sturm und Drang nicht ignoriert, sondern in emotionsauslotenden Noten geprägt. Diese Sichtung ist in der Münchner Neueinstudierung einer musikalisch – ordentlich kognitiven Interpretation ohne überbordendes Drängen, Verzehren, ohne Abgründe in kulinarische Wohlanständigkeit gewichen.

Es gibt Dirigate, da erzaubert das Orchester keinen Klangteppich als geschlossenen ganzheitlichen Organismus, sondern eher ein Schweben, Leuchten musikalischer Mosaiken.

Da scheint nahezu jedes Instrument, jede Instrumentalgruppe, auch die Untergruppen (s. https://ronaldkah.de/orchesteraufbau/) singulär zum orchestralen Gesamtausdruck zu führen.  Dominanz der Instrumente wirkt wechselseitig abgestuft.

Differenzierte musikalische Impulse, z. B. individuell zurückgenommene oder auch betonte Dezibel, kleine Tempovarianten, der Zauber eines durchsichtigen Klanges aus z. B. Streichern in schwebenden musikalischen Linien, können Universen schaffen. Man erarbeitet also zahlreiche musikalische Einzellinien im Rahmen der Partitur zu einem universalen Klangmosaik (s. Petrenko).

Die musizierte Alternative in der Neueinstudierung bietet ordentliches kulinarisches Miteinander, vernachlässigt musikalische Feinzeichnung. Ein guter Klangteppich kann gefallen, ein orchestrales Mosaik kann verzaubern.  

Allgemeiner Ausblick: als „Megageile Banditenshow“ offiziell angekündigte Musiktheateraufführung in Dresden zeigt den Weg inszenatorischen Zeitgeistes aus schon lang gepflegtem optischem Schmuddel/ Trash – Milieu nun auch in derb prollig versiffte Sprache, die auch (nach Harald Schmidt) „Unterschichten – Fernsehen“ unterbietet.

Musiktheater im Jahre 2020 wird von und mit selbsternannten Kulturexegeten immer vulgärer, platter, simpler strukturiert für Simpel, die nach des „Kaisers neuen Kleidern“ ihre Betrachtungen beweihräuchern (Märchen zu Leichtgläubigkeit und unkritischer Akzeptanz angeblicher Autoritäten und Experten, die erlogene Bekleidung eines tatsächlich nackten Monarchen bestätigen). 

Das ist dann pseudointellektuelle sprachliche Pornografie, wenn die Ofenlegung menschlicher Ausdrucksformen undifferenzierte Primitivität kennzeichnet.

In dieser Rezension wird die szenische Einrichtung der Neuproduktion in München als schlicht und simpel bewertet.

Inhalt, Besetzung etc. gem. Bayer. Staatsoper: https://www.staatsoper.de/stueckinfo/i-masnadieri-die-raeuber/2020-03-26-19-00.html

Informationen zu Schiller’s Räubern:   https://de.wikipedia.org/wiki/Die_R%C3%A4uber

Ein szenischer Offenbarungseid in Deutungsarmut hangelt sich durch das Libretto in einem Verschiebebahnhof rein und rausfahrender großer Tische eines mglw. ewigen Galadinners. Es bleibt bei mehr semikonzertanter/halbszenischer Nummernoper. Szenische Intentionen sollen offensichtlich in Begleittexten konkretisiert worden sein, auf der Bühne kaum.

Nichtssagendes Jugendstil-/Gründerzeit-Ambiente verlagert die Geschichte aus dem 18. ins 19. Jahrhundert, eliminiert damit die historische Anbindung an die existenziellen Themen der Vorlage: z. B.  Aufklärung https://de.wikipedia.org/wiki/Aufkl%C3%A4rung , Freiheit, Mündigkeit usw. (s.u.)

Jugendstil und Gründerzeit verortet ganz andere existenzielle Themen und macht die Aufbereitung beliebig:

https://de.wikipedia.org/wiki/Jugendstil

https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCnderzeit

Eine Überzeitlichkeit könnte der Beschauung die Schwelle zur Surrealität (sur la réalité – über der Realität) öffnen – s. Fußnote TTT‘s Musiktheaterverständnis.

Da wird also ein Thema erfunden – das weder bei Verdi noch bei Schiller existiert. „Geniale“ Regisseure müssen heute wohl Koryphäen wie Schiller und Verdi verbessern. So erzählt der Regisseur die Geschichte von Absenz der toten Mutter, auch wenn diese in keinem Text, keinem Ton, keiner Beschreibung vorkommt.

Man erwirkt fabulierte Yellow-Press Themen, statt die existenziellen Themen Schillers und Verdis Komposition im Hier und Jetzt zu reflektieren. Insbesondere bei so selten gespieltem Werk wie Verdi’s Masnadieri, erscheint es ignorant und selbstverliebt, insbesondere bei mannigfaltigen handwerklichen Fehlern (z.B.  historische Einbindung, Text-Korrespondenz zur tatsächlichen optischen Bebilderung, dramaturgische Verflechtungen, Rampensingerei, etc.).

Anker der Hilflosigkeit sind vielfältige aufgesetzte Versatzstücke erhoffter Wirksamkeit (s. folgende Abbildung) in Anbiederung nach „Kaisers neuen Kleidern“, die andernorts ankamen, in der Hoffnung deutungswütige Kritiker zu intellektuellen Höhenflügen zu bewegen. Tatsächlich erlebt man ja immer mal z. B. „10 Sinngebungen von 5 beflügelten Rezensenten“.

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 Mika Kares, Charles Castronovo  Statisterie © Wilfried Hösl                                                                                  

Hirsch, 2 Söhne, eine Mutter mit Kind (?)Handlungsimmanent Vater, Söhne, etc.???                                           
Nette Deko oder bedeutungsschwangere Allegorie? Deko-Schnick-Schnack einer Simplifizierung!

Da es unnötig erscheint, unwichtiges, unstimmiges Themengemurkse differenziert zu beleuchten, betrachte ich nur die Tötung Amelias (Francesco in Unterhose mit Strumpfhaltern beim Verführungsversuch Amelias hat natürlich schon besonderen Tiefengang).

Amelia erkennt die Aussichtslosigkeit ihre Liebe zu Carlo in eine lebenswerte irdische Zukunft zu führen und bittet Carlo im Schiller-Verdi-Sturm und Drang–Modus um den Tod.

Und was macht Carlo auf dem Tisch in flinker Regieanweisung? Er rammt seiner großen Liebe – Hau – Ruck – den Dolch in die Seite, schlachtet seine Geliebte in gemeiner „Jack the ripper“ – Manier in kaltem, brutalem Mord.

Bittet Amelia darum brutal gemordet zu werden? Kann Carlo seine große Liebe schlachten?  Tatsächlich bittet Amelia ihren Geliebten doch gleichsam um eine Liebesbezeugung, sie aus diesem weltlichen Kosmos zu befreien – um Hilfe beim zehrenden Übergang in neue Welten (sur la réalité). Dieses Verlöschen muss doch zärtlich, liebe – und hingebungsvoll sein, beide vereinen sich in der Konsenswelt zum letzten Mal. Diese Vereinigung muss zwingend das Portrait von zartem, behutsamem Auflösen einer Virginität sein, in verklärender Überhöhung!

Zu Behauptungen der Ferne von Verdis Komposition zu Schillers Vorlage:

Verdi nutze vier bekannte Dramen Schillers: Die Räuber (1781), Kabale und Liebe (1784), Don Karlos (1787) , Die Jungfrau von Orleans (1801). Daraus wurden Giovanna d’Arco (1845, Jungfrau von Orleans), I masnadieri (1847,  Räuber), Luisa Miller (1849, Kabale und Liebe) und Don Carlos (1867).  

Schiller (1759 – 1805, Arzt, Dichter, Philosoph und Historiker) schieb die Räuber mit 22 Jahren, Verdi (1813 – 1901) war 34 bei der Komposition.                                                                                   

In I masnadiere/die Räuber werden Sturm-und-Drang” (Handlung um 1770) Aufklärung und Freiheitsdrang in nationaler Rebellion sowie auch gesellschaftlich familiärer Umklammerung dramatisiert. Zentral ist der Konflikt von Verstand und Gefühl, das Verhältnis von Gesetz und Freiheit.

In der Oper blieb der Librettist weitgehend beim Drama. Kürzungen/Änderungen sind z. B., dass Amalia vor Francesco (Franz) in den Wald flüchtet, Carlo (Karl) trifft und erkennt.

Carlo erbittet unerkannt den Segen des Vaters, nach dessen Befreiung. Francesco begeht keinen Selbstmord.

Carlo trägt somit in der Oper keine Verantwortung für den Tod des Bruders.

Entschärfter Text:  Carlo beruft sich z. B. zu Beginn auf den Bezwinger der Römer, den Cheruskerführer Arminius (Hermannsschlacht, 9 n. Chr.).

Durch Zensur wurde die Auflehnung gegen gesellschaftliche Umstände weniger radikal und abschätzig im Vergleich zur kirchlichen Institution.

Drama:

«Ah! daß der Geist Herrmanns

noch in der Asche glimmte! – Stelle

mich vor ein Heer Kerls wie ich, und

aus Deutschland soll eine Republik

werden, gegen die Rom und Sparta

Nonnenklöster sein sollen.

 

Oper

Dass in der kalten Asche meiner

Väter / Doch noch glühte vom Geiste

des Arminius ein Funke! / Ich machte

die Deutschen alle von Tyrannei so

frei, dass neben ihnen / Auch Sparta

und Athen nur Sklaven schienen.

Schillers Sturm und Drang“ erscheint bei Verdi in unmittelbarer sinnlicher Musik.  Veränderungen, Extrakte im Opernlibretto verdichten, steigern, intensivieren. Die Aufklärungskritik Schillers bleibt.

Immanuel Kant 1784: „…. ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines Andern zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines Anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit, und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die, von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“

Dieter Borchmeyer (geb.1941) “Mündigkeit . . . ist die rechtliche Befugnis, seine eigenen Interessen selbst wahrzunehmen, verbindliche Rechtsgeschäfte abzuschließen und die politischen Bürgerrechte im Rahmen der jeweiligen Rechtsordnung als Gleicher unter Gleichen auszuüben.”

Thomas Mann wünscht 1955 : „…,dass von Schillers sanft-gewaltigem Willen etwas in uns eingehe: von seinem Willen zum Schönen, Wahren und Guten, zur Gesittung, zur inneren Freiheit, zur Kunst, zur Liebe, zum Frieden, zu rettender Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst“. Das war einmalmal ursächlicher Inhalt darstellender Theaterkunst! Soll das tatsächlich ins „Megageile“ abdriften??

Tim Theo Tinn 9. März 2020

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt, keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zu haben. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

 

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