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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: TANNHÄUSER. Erstaufführung von zwei Serien im Mai und im Juli.

06.05.2024 | Oper international

MÜNCHEN / Bayerische Staatsoper TANNHÄUSER – Erstaufführung von zwei Serien im Mai und im Juli; 5.5. 2024

Vida Miknevičiūtė als berührendste Elisabeth seit Gwyneth Jones

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Foto: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper

Sie hat sich ansagen lassen, weil sie Anzeichen einer Erkältung verspürte. Und dennoch hat Vida Miknevičiūtė (neben dem Chor) den uneingeschränkt stärksten Eindruck des Abends hinterlassen. Wie ein Feenwesen aus einer anderen Welt, zauberhaft schön, empathisch, mutig, stark, ein Solitär in dieser Männerwelt der verklemmt sabbernden Minnesänger auf der Wartburg, begrüßt sie „Halle und Leben“. Sie kann die Spitzentöne genauso schleudern wie andere First rate jugendlich dramatische Sopranistinnen, aber da ist mehr. Rein stimmlich haben mich Lise Davidson in Berlin oder Nina Stemme 2006 in Paris ebenso beeindruckt, aber Vida Miknevičiūtė lässt zudem das Fragile, das Zerbrechliche, das Transzendente der Figur geheimnisvoll Raum gewinnen. Ihrem Glauben und den Gedanken der Erlösung treu, stürzt sie sich mit Verve, aber ebenso mit dem Wissen um die Möglichkeit des eigenen Todes in den Kampf für Vergebung ihrem reuigen Sünder; für Erbarmen für den Leidenden. Ihre Liebe soll nicht Chimäre gewesen sein. Mit mondhell leuchtendem Sopran, schwebenden, grandios tragenden Piani im Gebet, völlig natürlichem Spiel und einem Bühnencharisma sondergleichen ersteht die Figur der Elisabeth wie aus dem Märchenbuch.

Dabei hatte der Abend ziemlich zäh begonnen. Sebastian Weigle hat das Orchester der Bayerischen Staatsoper erst einmal auf einen opulenten, aber auch schwerfällig kompakten Wagnerklang eingestimmt. Statt sinnlichem Flirren der Streicher und erotischem Vibrieren des Holzes nüchterne Sachlichkeit und ordnende Bedachtsamkeit. Der musikalische Fluss, anfangs eher geradlinig als auf weit geatmete Bögen bedacht, gewann erst im Laufe des Abends, während des zweiten und insbesondere im hinreißenden dritten Akt, an Fahrt.

Klaus Florian Vogt legte nach dem unglücklichen Ausgang der Pilgerfahrt eine schaurig düstere, alle Höllenqualen der Titelfigur offenbarende schonungslose Romerzählung hin. Ein ganz großer Opernmoment, wo dieser exzeptionelle Wagner-Heldentenor einmal mehr zeigte, was mit einer untadeligen Stimmtechnik, metallisch glänzenden, sicheren Höhen und einer präzisen Ausdruckskunst an musikalischer Exzellenz wie Bühnenmagie zu erreichen ist. Dennoch ist der Tannhäuser nicht seine beste Rolle. Im ersten Akt plagte sich Vogt mit den langen Legatobögen, die allzu hellen Stimmfarben verharrten in instrumentaler Tonbildung. Der Vortrag wirkte knapp phrasiert und ressourcenschonend angelegt. Im Laufe des Abends gewann Vogt jedoch seine gewohnt souveräne Form und wurde am Ende zurecht bejubelt.

In dieser Partie nicht mehr ideal ist der große Christian Gerhaher als Wolfram von Eschenbach. Wie Vogt ist Gerhaher schon seit der Premiere dieser seltsam sterilen, kunstgeschichtlich idealisierten sowie wahrnehmungstheoretisch verkopften Produktion von Romeo Castellucci vom Mai 2017 dabei. Seit Dietrich Fischer-Dieskau gibt es keinen deutschen Bariton, der dynamisch differenzierter und textdeutlicher, liedhafter und zugleich artikulatorisch markanter singt als Gerhaher. Seine Szene im Sängerkrieg und das berühmte Lied an den Abendstern sind gesangliche Artefakte, die so ausgetüftelt sind, dass man gebannt lauscht, wie Gerhaher zwischen pianissimo, pianopianissimo, mezzopiano und fortepiano zu jonglieren weiß, im anderen Extrem auch stimmfüllig aufzutrumpfen versteht. Leider verblasst vor so viel Kunstfertigkeit die Kontur der Figur, zerrinnt das Profil des (jugendlichen) Gegenspielers von Tannhäuser zwischen den Fingern. Wie bei aller Schwärmerei ungestüm und draufgängerisch war dagegen der Wolfram etwa von Eberhard Wächter oder der aktuelle von André Schuen, der in München in der Aufführungsserie im Juli 21., 25., 28. zu hören sein wird.

Ain Anger versah die Autorität des Landgrafen mit mächtigen, eher grobkörnig granulierten denn balsamischen Basstönen. Okka von der Damerau gab eine handfeste Venus, deren barock ausladender Mezzosopran in den Akuti an Grenzen stieß. Der US-amerikanische Tenor Evan LeRoy Johnson ließ als Walther von der Vogelweide mit auffällig schönem Timbre und gutem Fokus aufhorchen. Martin Snell als grantelnder Biterolf, Andrés Agudelo als Heinrich der Schreiber, Alexander Köpeczi als Reinmar von Zweter boten gediegene Ensembleleistungen. Jessica Niles als junger Hirt und die Vier Edelknaben (Solisten des Tölzer Knabenchors) agierten klangschön comme il faut.

Ein ganz großes Lob gebührt dem Chor der Bayerischen Staatsoper. Vor allem die Männer in den Pilgerchören waren einsame Weltspitze: der Chorschluss „Der Gnade Heil ward dem Büßer beschieden, nun geht er ein in den seligen Frieden.“ geriet fulminant und eindrücklich unvergesslich. Ab dem Vorspiel zum dritten Akt waren zudem Orchester (Blech, Holzbläser) und Dirigent in jenem unwiderstehlichen Flow, der alle, die Wagners rauschhafte wie detailliertest durchdachte Musik lieben, unendlich entzückt.

Nur noch ein Wort zur Regie, weil sie mir vor allem im zweiten Akt schwer zu schaffen machte und musikalische Konzentration abgesogen hat. Nach der Lektüre der 110 Seiten des Programmheftes weiß ich zwar mehr über den Kult um „Die große Mutter“, die Statuette der Venus vom Hohlefels, Fleisch und seine Verwesungsphasen, das „Theater und den Gedanken“, den Jagdbogen als Prototyp der Harfe, aber zumindest ich verstehe noch immer nicht, warum das Visuelle und ihre geistigen Väter von Andrea Mategna über Magritte bis zu Giacometti ausgerechnet etwas mit der Oper „Tannhäuser“ zu tun haben soll. Die Dame im Parkett neben mir hat vor Beginn des dritten Aufzugs offenbar ähnlich empfunden wie ich und über die Vorzüge konzertanter Aufführungen sinniert.

Ich kann den Ausführungen auf der Website des Nationaltheaters folgen: „Tannhäuser, Metapher des Künstlers oder einfach ein suchender Mensch, will diese Spaltung nicht akzeptieren und wandert zwischen den antagonistisch erklärten Welten. Nicht Versöhnung des Widerspruchs ist sein Ziel, sondern seine Negierung, die bewusste Entscheidung, alles zu leben. Antwort auf das Sehnen nach Erfüllung sucht er mal in spiritueller Mystik, mal in christlich grundierter Liebe oder in purem Sex. Doch immer scheint etwas zu fehlen, sein Verlangen wird nie gestillt. So kommt Tannhäuser nie richtig an, immer zieht es ihn wieder fort, der Ekel an sich selbst wird größer noch als die Verachtung für das Mittelmaß, für alle, die sich mit Kompromissen zufriedengeben (so wie es die Wartburgsänger mit ihrer blutleeren Kunst tun), anstatt die Extreme auszuschöpfen. Tannhäuser ist eine Bewegung ohne Aussicht auf ein Ziel.“

Nicht aber, dass statt einer echten Personenregie willkürlich erscheinende Bilder genügen und Ikonen bildender Kunst bzw. Philosophisches originäre Kreativität bez. das Suchen nach einer adäquaten optischen Umsetzung und dramaturgische Belebung des Dramas substituieren sollen.

Zur gespielten Fassung: Es handelt sich um die Wiener Version 1875, angereichert um das Lied Walthers von der Vogelweide aus der Dresdner Fassung sowie der Integration aller Singstimmen im Finale des Sängerkriegs.

Tipp: Ausstellung über den legendären Fotokünstler Wilfried Hösl: In drei Sektionen können exquisite Vorstellungsbilder (aus den rund 500 von ihm fotografierten Premieren), Porträts von Sängerinnen und Sängern sowie in „In maschera“ – Fotos, wo das Motiv der Theatermaske umrundet wird, bewundert werden.

Nächste Termine: 12., 15., 19. Mai sowie 21., 25., 28. Juli mit einer überwiegend anderen Besetzung

Youtube Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=v2HTpIPFbyM

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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