MÜNCHEN/Bayerische Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN und Nina Stemme Bayerische Kammersängerin – 28. Juli 2022
Nina Stemme zur Bayerischen Kammersängerin ernannt
Nina Stemme und Serge Dorny bei der Überreichung der Urkunde. Foto: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper
Nach einer vor allem musikalisch eindrucksvollen Aufführung der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss am Nationaltheater München wurde Ende Juli Nina Stemme, die die Färberin verkörperte, von Intendant Serge Dorny zur Bayerischen Kammersängerin ernannt. Er würdigte vor allem Stemmes ausgezeichnete sängerische und darstellerische Qualitäten und ihr langjähriges Wirken am Haus. Das Publikum und die Mitwirkenden der Aufführung spendeten der Sängerin enthusiastischen Applaus.
Nina Stemme sang auch eine ebenso charaktervolle wie spielstarke Färberin mit einem in allen Lagen gut ansprechenden Sopran. Michael Volle war eine Färber von Weltklasse. Einfach wunderbar, wie er die menschlichen Tiefen vokal durchwanderte, denen der Färber durch den Einfluss der Amme auf seine Frau ausgesetzt ist. Das hatte wirklich Größe! Volle erhielt folgerichtig auch den meisten Applaus unter den Sängern. Camilla Nylund sang die Kaiserin mit ihrem klangschönen und nuancenreichen Sopran, sehr guten Höhen zumal gleich zu Beginn, durchaus schon etwas dramatisch. Sie agierte mit großer Menschlichkeit auf der Bühne, als sie die Sorgen und Nöte der Menschen erkannte, denen die Amme den Schatten entwenden will. Michaela Schuster gab diese mit managerhafter Intensität und einem Schuss raffinierter Boshaftigkeit, die sie mit ihrem vollen Mezzo bei nicht immer guter Diktion unterlegte. Sie wirkte in den Kostümen von Malgorzata Szcześniak wie eine Geschäftsfrau, doch dazu gleich mehr. Eric Cutler konnte als Kaiser nicht ganz an das Niveau heranreichen, welches man hier am Hause von bekannten Heldentenören gewohnt ist. Seine Stimme ist zwar schön, aber es fehlt an Volumen und seinem Spiel auch an Charisma.
Der Kaiser wird versteinert – auf dem Seziertisch. Foto: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper
Bogdan Baciu sang einen guten Geisterboten, Mirjam Mesak gab die Stimme des Falken und Lindsay Ammann die Stimme von oben. Die Brüder des Färbers, Tim Kuypers als Einäugiger, Christian Rieger als Einarmiger und Evan LeRoy Johnson als Buckliger, der auch als Jüngling (aber ohne Buckel!) erschien, machten ihre Sache stimmlich in ungewohntem Rollenoutfit gut. Magdalena Padrosa Celada ließ die Stimme Keikobads erklingen, und Andrew Hamilton, Theodore Platt sowie Roman Chabaranok hatten die Ehre, die wundervollen Verse Hugo von Hofmannsthals, die er für die Wächter der Stadt am Ende es 1. Aktes kopiert hat, zu singen.
Sebastian Weigle glückte mit dem Bayerischen Staatsorchester eine musikalische Glanzleistung, und er wurde vom Publikum begeistert gefeiert. Er wusste die vielen Höhen und Tiefen der Partitur des Garmischer Meisters facettenreich in einen stets betörenden Klang umzusetzen und bewegte sich damit musikalisch neben der Inszenierung statt in Einklang mit ihr. Der Bayerische Staatsopernchor und der bei diesem Werk so wichtige Kinderchor der Bayerischen Staatsoper waren stimmstark und von Stellario Fagone und seinem Team gut einstudiert. Das Münchner Publikum legte im Übrigen mehr Sachkenntnis an den Tag als das Premierenpublikum in Bayreuth zur dortigen „Tristan“-Premiere ein paar Tage zuvor.
Ja, sicher, es gab auch noch eine Inszenierung, und zwar eine von Krzysztof Warlikowski aus dem Jahre 2013, über die schon viel geschrieben worden ist. Somit hier nur ein paar Kommentare. Die Produktion Warlikowskis in den tristen (Einheits-)Bühnenbildern von Malgorzata Szcześniak, die ständig für ihn die Bühnenbilder macht und auch für die teilweise unvorteilhaften Kostüme verantwortlich war, ist über lange Zeit an Unterkühlung kaum noch zu unterbieten. Holzgetäfelte Eleganz wechselt mit Krankenhaus-ähnlichen steril-weißen Kachelwänden. Wie man aus den „Notizen zur Inszenierung“ des Dramaturgen Miron Hakenbeck entnehmen kann, es aber auch ohne diese im Laufe des Abends feststellt, entzieht das Regieteam der „Frau ohne Schatten“ jegliche märchenhafte Ästhetik and Interpretation und siedelt sie – wieder einmal – an in einem „Sanatorium, ein Hotel, wo Krankenschwestern, Diener, ein Fahrstuhl hinunter in die Wäscherei, die zugleich Schlafraum ist. Darin ein Wald, ein Friedhof, Falken, ein Grab. Ein Spital, ein Seziersaal, ein Operationssaal, ein Wartesaal mit Wächtern.“ Warlikowski schafft damit nach Ansicht des Dramaturgen „Interieurs, die mehr sind als konkreter Handlungsort: Gedankenräume, in denen Inneres und Äußerst sich durchdringen, Zeiten und Orte ineinander fallen und das Theater Bilder aus dem kulturellen Gedächtnis wachruft.“
Der Geisterbote mit Amme und Gazelle. Foto: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper
Das hört sich ja in der hyperintellektualisierten Theorie, die dem Regietheater eigen ist und Warlikowski offenbar verfallen, vielleicht sogar interessant und spannend an, scheitert aber oft und auch hier kläglich an der optischen und dramaturgischen Umsetzung auf der Bühne. Man muss allein mal damit klarkommen, dass Barak seine Wäsche zum Färben in riesige Rotations-Wandwaschmaschinen stecken muss, wie man sie von öffentlichen Wäschereien her kennt, und gleichzeitig ein schlichtes Bett daneben steht, auf dem ihm seine Frau andeutet, dass er woanders schlafen soll. Oder das gelangweilte, abwartende Liegen von Amme und Kaiserin auf Sauna-Liegen, bis sie wieder an der Reihe sind, wo doch die Färberin ganz im Freud’schen Sinne sich selbst entdecken soll. Ein Grundkurs in Psychologie wäre bei Warlikowski schon hilfreich. Mich beschleicht aber immer mehr der Verdacht, dass er in seinen Interpretationen an sich relativ musikkonform zu inszenierender Stücke mit seinen Psycho-Reisen auf der Suche nach sich selbst ist. Die Intendanten machen ja auch aus Angst vor der Kritik bei (vermeintlich unzulässiger) Normalität oder Werkaussage-naher Interpretation alles zu. Und der Steuerzahler deckt ohnedies eventuelles Nicht-Annehmen einer Inszenierung nach einer gewissen Zeit durch das Publikum.
Es gibt jede Menge weiterer Ungereimtheiten und Absonderlichkeiten dieser Produktion, die aufzuführen es nicht wert ist. Rampensingen und Sitzen auf Wartezimmer-Stühlen ist an der Tagesordnung, ohne je auf die fundamentalen Unterschiede zwischen Kaiser- und Färberwelt, auch nicht in der Bühnenästhetik und mit dem Licht einzugehen. Der Aufzug funktioniert sowieso nicht. Mit sehnlicher Erinnerung denkt man zwangsläufig an die großartige Kabuki-Inszenierung aus Japan noch zu Zeiten von Wolfgang Sawallisch, die das Stück als jedem eingängiges fernöstliches Märchen interpretierte. Und da passte damals auch alles zur Musik! Oder man denkt an die phänomenale Inszenierung von Götz Friedrich in den 1970er Jahren in Hamburg mit seiner Theaterpranke, gerade bei den zauberhaften Verwandlungsszenen durch die Amme mit der Färberin. Das waren noch Zeiten…
München hat also eine Produktion, die einen so richtig kalt lassen kann, was gerade bei der „Frau ohne Schatten“ etwas heißen will! Serge Dorny wäre gut beraten, hier nach einer neuen und passenderen Antwort auf eines der abstrusesten und komplexesten Werke der Opern-Literatur zu suchen. Er sollte sich nicht zu schade sein, sich einmal die neue Wiener Inszenierung anzusehen.
Klaus Billand