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MÜNCHEN / Bayerische Staatsoper: DER ROSENKAVALIER – die Uhr bestimmt die Zeit. Livestream-Premiere

22.03.2021 | Oper international

 „Der Rosenkavalier“ in der Bayerischen Staatsoper München bei Arte

Die Uhr bestimmt die Zeit

Premiere bei Arte: Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“ in der Bayerischen Staatsoper/MÜNCHEN

Premiere an der Bayerischen Staatsoper: Ein neuer "Rosenkavalier" für  München | News und Kritik | BR-KLASSIK | Bayerischer Rundfunk
Christof Fischesser, Samantha Hankey, Marlis Petersen. Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

„Das wird sich komponieren wie Öl und Butterschmalz“, meinte Richard Strauss angesichts seiner „Komödie für Musik“ mit dem beziehungsreichen Titel „Der Rosenkavalier“. Und das Rokoko-Ambiente von Otto Schenks berühmter Inszenierung entwickelt Barry Kosky konsequent weiter (Bühne: Rufus Didwiszus; Kostüme: Victoria Behr). Allerdings arbeitet er die Zeitbezüge viel deutlicher heraus.

Zu Beginn sieht man im abgedunkelten Raum eine Standuhr, dem die Marschallin und Octavian entsteigen. Ironie und Erotik nehmen bei den einzelnen Szenen eine wichtige Rolle ein – die Personenführung ist sehr lebendig. Das hochherrschaftliche Ambiente der Welt des 18. Jahrhunderts ist in den beiden ersten Akten noch präsent. Man begreift, mit welcher Konsequenz sich der junge Octavian allmählich von der Feldmarschallin löst. Die junge Sophie ist ein burschikoses Mädchen, das witzig und erfrischend wirkt und dem Jüngling rasch den Kopf verdreht. Die einzelnen Bühnenbilder und Requisiten geraten ständig in Bewegung, sogar Vögel fliegen durch die Luft. Das sind gute Einfälle. Und neben dem Klavier steht die Schwarzwalduhr. Dazwischen sieht man immer einen imaginären Alten mit Engelsflügeln, der das Geschehen wie „Amor“ überwacht. Er könnte allerdings auch das „Sandmännchen“ sein, denn er streut wiederholt geheimnisvollen Glitzerstaub über die Liebenden.  Da erfährt diese subtile Inszenierung eine groteske Zuspitzung. Die Walzer dieser Hochadelskomödie kommen dabei zuweilen auch recht schräg daher.

Pompöse Bilder bietet Barry Kosky dann im  zweiten Akt im Festsaal des Faninalschen Stadtpalais‘. Man sieht hier die monumentale, silberne Kutsche des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II. mitsamt zwei Pferden. Sophies zukünftiger Ehemann Baron Ochs auf Lerchenau benimmt sich hier so tollpatschig und ungeschickt, dass er das Vertrauen der jungen Frau gar nicht mehr gewinnen kann. Die Verwechslungskomödie besitzt dabei einen köstlichen Esprit und hinreissenden Charme. Schließlich wird Ochs von Octavian in einem Eifersuchtsanfall auch noch am Finger verwundet – das Chaos ist gar nicht mehr aufzuhalten. Das Zetermordio des Leichtverwundeten artet in ein thematisches Tohuwabohu aus. Er versinkt zuletzt im Bett. Vor allem gelingt es Kosky ausgezeichnet, das  dramaturgische Tempo dieser Inszenierung ständig zu steigern. Der Zuschauer wird plötzlich wie von einem Strom mitgerissen und muss um Atem ringen.

Der dritte Aufzug entführt das Publikum endgültig in eine moderne Welt – eine Art Theater im Theater mit Zuschauerraum und opulentem Teppich.  Dann wird ein Buffet aufgetragen, dessen Utensilien teilweise durch die Luft fliegen. Situationskomik ist angesagt. Das Extrazimmer des „Wiener Beisels“ wird hier in ein imaginäres Tribunal umfunktioniert, an dessen Ende sich der Baron Ochs auf Lerchenau endgültig geschlagen geben muss. Er wird von der Menge mit Papierschnipseln „gelyncht“. Und zuvor betritt er mit Mariandl am Arm den seltsamen Schauplatz, die Octavian verdächtig ähnlich sieht. Das Erscheinen der Intrigantin Annina  mit vier „Papa“ schreienden Kindern bringt das Fass schließlich zum Überlaufen – und der aufgebrachte Baron ruft die Sittenpolizei. Bei dem Verhör gibt er Mariandl als seine Braut Sophie aus, was ebenfalls einen Skandal auslöst. Barry Kosky treibt das Verwirrspiel gerade hier auf die Spitze. Nachdem Octavian wieder in Männerkleidern erscheint, tritt  schließlich die Feldmarschallin auf und erklärt das Ganze für eine Farce. Da sind dann alle ziemlich fassungslos.

Sehr bewegend inszeniert Barry Kosky die Schluss-Szene, wo die sichtlich  aufgewühlte Feldmarschallin ihren Verzicht auf Octavian erklärt. Octavian und Sophie stürzen sich sofort in die Arme. Strahlende gesangliche Schönheit vergoldet den Hörgenuss. Beide entschweben in den „siebten Himmel“, während der imaginäre Alte mit Engelsflügeln auf der Standuhr sitzt, die allmählich im Boden versinkt. Den kleinen Neger, der Sophies herabfallendes Taschentuch findet, sieht man hier nicht.

Unter der Leitung von Vladimir Jurowski musiziert das Orchester der Bayerischen Staatsoper mit leidenschaftlicher Emphase, die auch die thematische Vielfalt des Werkes betont. Die zarten Tönungen und Stimmungen werden sehr gut akzenuiert. Man begreift, wie kunstvoll die Motiv-Verarbeitung bei dieser Partitur ist. Das Werk erklingt hier in der Bearbeitung des Komponisten und Dirigenten Eberhard Kloke, der den Charakter des Rosenkavaliers als Konversationsstück herausstellt. Anstelle des Mischklangs werden kontrastreiche Spaltklänge bevorzugt. Manches wirkt eher kammermusikalisch.

Gesanglich gibt es bei dieser Produktion viele Glanzpunkte. Da ist in erster Linie Marlis Petersen als berührende Feldmarschallin zu nennen, deren Sopran-Kantilenen ausgesprochen virtuos geführt werden. Und auch die brillante Sophie von Katharina Konradi ist eine Überraschung, denn sie gibt der Rolle ungewöhnlich viel Farbe und virtuosen Zauber. Christof Fischesser überzeugt ferner als tumber Baron Ochs auf Lerchenau, der die Welt seiner Umgebung völlig auf den Kopf stellt. In weiteren Rollen überzeugen  Samantha Hankey (Mezzosopran)  als gesanglich klangfarbenreicher Octavian, Johannes Martin Kränzle (Bariton) als virtuoser Herr von Faninal und  Daniela Köhler als nuancenreiche Jungfer Marianne Leitmetzerin. Auffallend ist bei dieser konzentrierten Regiearbeit, wie gut sich die Sängerinnen und Sänger der szenischen Erarbeitung anpassen. Auch die schwingende Walzerbewegung ist immer wieder deutlich zu spüren. Weiters gefallen Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Valzacchi, Ursula Hesse von den Steinen als  gewitzte Annina, Martin Snell als Polizeikommissar, Manuel Günther als Haushofmeister bei der Feldmarschallin und Caspar Singh als Haushofmeister bei  Faninal. Christian Rieger (Notar), Manuel Günther (Wirt), Galeano Salas (Sänger), Juliana Zara (Adelige Waise), Sarah Gilford (Adelige Waise), Daria Proszek (Adelige Waise), Eliza Boom (Modistin), George Virban (Tierhändler) sowie Eliza Boom, Sarah Gilford, Daria Proszek, Juliana Zara und George Virban (Kinder) sorgen ebenfalls für szenische Glanzlichter. Heimliches Wiegen und leise Melancholie kommen bei dieser Produktion keineswegs zu kurz. Und auch die bombastischen  Szenen mit dem tölpelhaften Orchs von Lerchenau wirken nicht allzu derb, sondern entwickeln ein durchaus transparentes, satirisch überspitztes Klangbild. Die Balance zwischen Bühne und Orchester bleibt stets gewahrt. Insbesondere die Inspirationskraft von Strauss‘ Musik zeigt sich von ihrer besten Seite. Dies gilt auch für den von Stellario Fagone sorgfältig einstudierten Chor der Bayerischen Staatsoper.  Der Bezug zum „Ariadne“-Orchester ergibt sich im häufigen Einsatz von Klavier, Harfe, Celesta und Harmonium. So kann sich diese Inszenierung neben Otto Schenks Version (die 50 Jahre lang im Repertoire war) durchaus sehen und vor allem hören lassen. 

Alexander Walther      

 

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