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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: DER FREISCHÜTZ. Premiere als Live-Stream

14.02.2021 | Oper international

Live-Stream: Carl Maria von Webers „Freischütz“ am 13.2.2021 in der Bayerischen Staatsoper/MÜNCHEN

Eingezwängt in die Hotelsuite

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Pavel Cernoch, Anna Prochazka und Golda Schultz. Foto: Bayerische Staatsoper/ Wilfried Hösl

Bei der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov muss man sich umstellen: Romantik, Wald und Jägerszenen Fehlanzeige. Die eigentlich rustikale Dorfgemeinschaft wird hier in eine noble Hotelsuite gezwängt, wo der junge Jäger Max einen Probeschuss absolvieren muss, um seine Geliebte Agathe heiraten zu können. Der Komponist Carl Maria von Weber und sein Librettist Friedrich Kind dachten eigentlich an eine Gespenstergeschichte, ein Märchen, ein Schicksalsdrama.

Hier denkt man eher an eine „Tatort“-Folge, wo Max‘ Gegenspieler Kaspar mit dem Gewehr auf einen Passanten schießt. Das Volk soll dabei als Bedrohung dargestellt werden, was aber nicht so recht gelingen will. Kaspar wird als psychisch traumatisierter Protagonist präsentiert, dessen Hoffnungen auf Agathe vergeblich sind. Problematisch ist, dass der Höllenfürst Samiel in dieser Inszenierung gar nicht vorkommt (Kostüme: Elena Zaytseva). Es kommt dennoch zu einer recht interessanten und auch klugen Lösung, denn Kaspar spaltet sich im Sinne E.T.A. Hoffmanns oder Robert Louis Stevensons in die beiden Personen Kaspar und Samiel auf, was in der Wolfsschluchtszene im zweiten Akt eine gewisse dämonische Aura erzeugt. Diese Wolfsschluchtsszene ist überhaupt am besten gelungen, hier kommt bei Mafia-Atmosphäre sogar eine gewisse Spannung auf, was vorher leider nicht der Fall ist.

Oft gibt es immer wieder zu viel Rampensteherei. Max ist hier in eine Plastikfolie eingewickelt – aber er ist nicht tot, sondern wird von dem bösartigen Kaspar „ausgewickelt“ und schrecklich gequält. In einer Video-Produktion von Tatjana Wereschtschagina nimmt man in einem weiteren Informations-Kanal Dialoge als Konfliktpotenzial wahr, was aber auch nicht so recht überzeugt. Es fehlt immer wieder das Übernatürliche, Sphärenhaft-Überwältigende, wie es zum Beispiel Achim Freyer gelungen ist. Schmerzlich vermisst man Waldlichtungen. Der Regisseur zwingt den Zuschauer, sich in der Kälte eines modernen Konzerns oder Unternehmens zurechtzufinden.

Trotzdem gelingen Dmitri Tcherniakov trotz aller szenischer Schwächen manchmal plausible Lösungsansätze. Zuweilen lacht und weint Max einfach zu viel, da stellt sich unfreiwillige Komik ein. So wirkt der Schluss des dritten Aktes aber durchaus packend und elektrisierend, wenn Max seinen Widersacher Kaspar erschießt. Nachdem der Eremit vor übermäßiger Strenge gewarnt hat, kann sich auch der knallharte Unternehmer Kuno schließlich dazu durchringen, Max seine Tochter Agathe nach einem Probejahr zur Frau zu geben. Fürst Ottokar gibt ebenfalls seinen Segen. Doch die Oper nimmt in Tcherniakovs Version ein betrübliches Ende, denn zuletzt sinkt Agathe wieder leblos zu Boden, nachdem sie schon zuvor von Max‘ Schuss getroffen wurde, aber wieder aufstand. Jetzt weiß man wirklich nicht, ob sie noch lebt oder schon tot ist. Beklemmend endet diese letzte Szene, denn alle gehen jetzt höchst besorgt auf sie zu.

So schwierig und manchmal auch enttäuschend diese Inszenierung ist, so beglückend und absolut hochwertig ist der musikalische Teil. Unter der temperamentvollen Leitung von Antonello Manacorda werden die romantischen Elemente dieser Oper schon bei der Ouvertüre vom Bayerischen Staatsorchester wunderbar betont. Doch dadurch gerät die Musik zuweilen in einen seltsamen Gegensatz zur unromantischen Inszenierung. Naturkräfte und Naturelemente sind in diesem Werk aber extrem wichtig – sie kommen bei der Aufführung eindeutig zu kurz. Doch aus zartem Pianissimo erheben sich bei der Ouvertüre die gefühlvollen Akkorde der Hörner – man kann sich die Abenddämmerung im Walde trotz allem recht plastisch vorstellen. Das düstere Tremolo und dumpfe Pochen der Pauke lassen auf eine gruselige Wolfsschluchtszene hoffen, was ja dann leider nicht der Fall ist. Der strahlende Hornakkord über dem Tremolo der Streicher bleibt in starker Erinnerung. Verklärung beweisen die Töne der Klarinette. Der liebliche Gesang des zweiten Themas kann sich voll durchsetzen. Auch die Ruhe in den Celli hinterlässt bewegende Eindrücke. Überwältigend ist der Schlusshymnus, der sich dann auch auf das Finale im dritten Akt überträgt. Ausgezeichnet erklingt auch das leidenschaftlich bewegte Allegro, dessen überaus mitreissender Elan sich auf die wunderbaren Sängerinnen und Sänger überträgt. Schon allein wegen ihnen lohnt sich ein Besuch der Vorstellung. Die Frauen tragen dabei in jedem Fall den Sieg davon – allen voran Golda Schultz als Agathe mit einer weich timbrierten, verinnerlichten und mit feinen Legato-Bögen geführten Sopranstimme. An Leuchtkraft steht ihr Anna Prohaska als Ännchen kaum nach. Überhaupt ergänzen sich die beiden Stimmen auch bei den gesanglichen Verzierungen ausgesprochen gut. Lichte Verklärung und glücklich verheißungsvolle Melodien erreichen hier zuweilen sogar einen leidenschaftlichen Überschwang, der begeistert. Starke Rollenporträts bieten auch Pavel Cernoch als verzweifelter Max  sowie Kyle Ketelsen als unheimlicher Kaspar und Samiel. Er verleugnet in seiner großen Arie das Rachepathos der italienischen Oper neapolitanischer Prägung nicht. Anklänge an den Komponisten Mehul lassen ebenfalls nicht lange auf sich warten. Anna Prohaskas Darstellung des Ännchen gefällt in der stilvollen Charakterisierung des Polonaisenrhythmus.  In weiteren Rollen fesseln ebenfalls Balint Szabo als sonorer Kuno, Boris Prygl als Ottokar, Tareg Nazmi als Eremit und Milan Siljanov als Kilian. Als vier Brautjungfern überzeugen ferner Eliza Boom, Sarah Gilford, Daria Proszek und Yajie Zhang.
Motivwiederhlungen und leitthematisches Denken erreichen beim Dirigat Antonello Manacordas eine enorme Intensität. Dies zeigt sich ebenso in heftiger Weise bei Kaspars Tod. Was fehlt, ist die metaphysische Komponente, das Unerklärliche und wahrhaft Rätselhafte, das die Größe von Webers „Freischütz“ eigentlich erst ausmacht. Kompakt erklingt auch der von Stellario Fagone sorgfältig einstudierte Chor der Bayerischen Staatsoper.
Trotz aller Kritikpunkte ist diese Aufführung vor allem wegen des musikalischen Niveaus zu empfehlen.   

Alexander Walther

 

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