Tim Theo Tinn’s erste Eindrücke zum Freischütz-Stream Bayerische Staatsoper, Premiere vom 13.2.2021
Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper
Wäre als konzertante Variante wegen subkultureller Optik artig!
Zunächst einmal ist es erfreulich, dass man in diesen unerfreulichen Zeiten nahezu durchgängig nachrangigen Sängern und musikalischer Leitung Möglichkeiten zu reüssieren einräumt, bis auf die wunderhübsche, wunderschön singende Golda Schulz. Golda, der Name ist Fügung.
Ja, es gibt wohl aktuell 2 Moden: Bühnenbilder mit rampennahen bühnenhohen Drehtüren in Holzoptik – da hat man in München z. B. das eigene Falstaff-Bühnenbild vom Dez. 2020 adaptiert. Und bei der Regie muss es wohl ein Russe sein: in Wien Sebrennikow, der in Klassik-Boulevard-Themen immer noch als Märtyrer stilisiert wird. Ein Herr B. der jetzt auch als Radio-Moderator hustet, hat ja auch erkannt, dass diesen Mann böse Parallelen zum Fall Alexei Anatoljewitsch Nawalny auszeichnen. Der eine hat „den Mund aufgemacht“, der andere(angeblich) einige Millionen geklaut.
Der eine wurde fast umgebracht und mit fadenscheinigen Argumenten für Jahre hinter Gitter gebracht. Der andere durfte immer, nie aus dem Knast, viel Geld mit seinem Märtyrer-Image und miserablen Inszenierungen verdienen. Der Klassik-Boulevardist hat aber auch mitfühlend lauthals in seinen Moderationen verkündet, dass Sebrennikow jetzt Depressionen habe. Wien zahlt auch 6stellig.
Der Münchner „Russe“ Dmitri Tcherniakov hat noch keinen Märtyrer-Nimbus, kann aber auch nicht inszenieren: in diesem Freischütz sieht man Menschen in einer heutigen Hotelsuite, die sich in paranoiden Wahnvorstellungen in uralte Zeiten in Wald, Wiesen und Auen versetzten, diesem Duktus in sprachlicher Diktion und Außenweltbetrachtungen nachhecheln.
So verscherbeln führende Musiktheater Millionen. TTT’s schlüssige Gedanken zur Nutzung werkimmanenter, über der Realität stehender Möglichkeiten können in der aktuellen Reihe hier im online-Merker – Plädoyer für … geprüft werden, aber auch in folgender Rezension.
Konkret: Tcherniakov kann ordentliche Personenregie, aber die Grundlage dazu ist ihm fern. Seine dramaturgischen Sichtungen sind hilflose Idiotien – Freischütz und Hotelsuite?
Tja, und dann gibt es blutjunge Menschen, die direkt als Dramaturgen eingesetzt werden. Der hier betraute hat sich im einleitenden Interview für ein Toi, Toi, Toi, des Moderators bedankt. Da hat er ein Sakrileg verletzt: Danke für Toi, Toi, Toi ist eine böse, böse Fehlleistung, die nach uraltem Theaterwissen Misserfolge intendiert – hat er geschafft.
13. Febr. 2020
Tim Theo Tinn