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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: BORIS GODUNOV von Modest Mussorgsky

06.07.2023 | Oper international

MÜNCHEN/BAYRISCHE STAATSOPER: BORIS GODUNOV von Modest Mussorgsky

am 4.7.2023

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Intrigen im Kreml. Foto: Wilfried Hösl

Im Kreml herrscht Panik. Der Allein – und Gewaltherrscher hat Angst um Macht und Leben, denn eine Freischärler-Armee aus nähert sich scheinbar unaufhaltsam Moskau: „Ein Räuber, Dieb, Vagabund, Rebell und Frevler, mit einer Horde hungriger Söldner, Aufruhr anzettelnd, will den Thron des Zaren stürzen…“

Kommt ihnen das irgendwie bekannt vor ?

Selbstverständlich ! Naturgemäss !! Es ist allerdings nicht Putins Koch, von dem hier die Rede ist und sich auf die Hauptstadt zubewegt, sondern der „falsche Dimitri“, ein polnischer Hochstapler, der sich als der tote (ermordete) Zarewitsch ausgibt. Und es gibt einen weiteren, entscheidenden Unterschied zwischen der Handlung des Boris und den aktuellen Geschehnissen: in der Oper wird der Kremlherr letztendlich ob seiner Verbrechen, seiner Bluttaten, seiner Morde von grässlichen Gewissensbissen geplagt, wird daraufhin wahnsinnig und stirbt. Soweit sind wir in der gegenwärtigen Wirklichkeit (derzeit) noch (?) nicht.

Die Parallelen sind dennoch unübersehbar und beunruhigend, vor allem, wenn man bedenkt, dass diese Inszenierung aus dem Jahr 2013 stammt…Gibt es wirklich sooviel negative Kontinuität in der russischen Geschichte ?

Musikalisch war die Wiederaufnahme dieses „Ur-Boris“ jedenfalls ein Triumph. Unter der fach- und sachkundigen Leitung von Vasily Petrenko (weder verwandt noch verschwägert) brillieren Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper sowie das gesamte Solistenensemble( Vitalij Kowalow, Dmytro Popov, Kevin Connors, Gerhard Siegel und alle anderen).

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Die Oligarchen stürzen Boris. Foto: Wilfried Hösl)

Die Sensation war jedoch zweifellos Alexander Tsymbalyuk als zerrissener Zar. Viel ist im Vorfeld (auch hier im Onlinemerker) darüber geschrieben worden, dass der ursprünglich für die Titelrolle vorgesehene Sänger – Ildar Abdrazakov – wegen zu großer Kremlnähe kurzfristig abgesagt hat (bzw. abgesagt wurde). Künstlerisch bedauerte man diese „Umbesetzung“ keinen Augenblick lang, ganz im Gegenteil. Denn Tsymbalyuk hat nicht nur einen ungeheuer warmen, samtigen, einschmeichelnden Bass, er ist auch ein unglaublich wandelbarer, einfühlsamer und ausdrucksstarker D a r s t e l l e r (und damit seinem meistens doch etwas steifen und konventionellen Vorgänger w e i t überlegen…) Ein echter Glücksfall.

Das Unglück ist nur, dass dieses musikalische Kronjuwel den ganzen Abend lang in einem gigantischen Wermutfass zu versinken droht. Und das Wermutfass hat auch einen Namen:  Calixto Bieito. Bieito, berühmt-berüchtigt für seinen brutalen, aggressiven, gewalttätigen Regie-„Stil“ bleibt seinen „bewährten“ Maschen klarerweise auch hier treu: eine grösstenteils leere, schwarze Bühne – bis auf den zweiten Teil, in dem sich eine riesige hässliche schwarze Box zu einem Oligarchen-Penthouse mit Mega-Schlafzimmer und Aufsichtsratsaal öffnet -, hässliche Kostüme, scheußliches Licht und ganz ganz viel Gratis-Gewalttätigkeit mit ganz ganz vielen verschiedenen Waffen. Mein Appell an die Requiste aller Opernhäuser, an denen der schiesswütige Regisseur arbeitet: könntet ihr euch beim nächsten Mal nicht einfach weigern, Bieito euer gesamtes Arsenal an Pistolen, Revolvern (mit und ohne Schalldämpfer), Maschinenpistolen, Maschinengewehren, Schlagstöcken etc. auszuhändigen ? Schaumamal, ob Calixto dann noch irgendeine Art von Inszenierung zustandebringt…

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Der Gottesnarr beklagt das Schicksal Russlands. Foto: Wilfried Hösl

Mit halbgeschlossenen Augen war es dennoch ein extrem beeindruckender und aufwühlender Abend.

Robert Quitta, München

 

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