MÜNCHEN / Alte Pinakothek: RACHEL RUYSCH
Bis 16. März 2025 (Alexander Marinovic)
NATURE INTO ART
Bis 16. März 2025
Foto: Pinakothek
Flower-Power
Das Stillleben stand unter den Gattungen der Malerei auf der untersten Stufe der Rangordnung. An der Spitze der Gattungshierarchie befand sich im Barock das Historienbild, und Rembrandt war sein Prophet. Frauen waren nicht zum öffentlichen Malunterricht, insbesondere nicht zum – für Historienbilder unerlässlichen – Aktstudium zugelassen. Kein Wunder, dass im 17. und 18. Jahrhundert Malerinnen ihren Platz bevorzugt in dem sehr beliebten Genre der Blumenmalerei suchten und fanden.
Ein weiblicher Star der niederländischen Stilllebenmalerei wird aktuell in München umfassend präsentiert: Rachel Ruysch.
Nature into Art heißt die Ausstellung, und das ist nicht nur der heute offenbar unvermeidbaren Dominanz englischer Titulaturen zuzuschreiben, sondern auch dem Umstand, dass die Schau von der Alten Pinakothek gemeinsam mit zwei amerikanischen Museen (in Boston und Toledo / Ohio) geplant und durchgeführt wird.
Vom Katalog gibt es daher auch ausschließlich eine englischsprachige Ausgabe. Um aber über Rachel Ruysch, ihr interessantes Leben und ihr Umfeld ausreichende Informationen zu erhalten, muss man ihn gar nicht zur Hand nehmen. In vorbildhafter Weise bietet die Alte Pinakothek Apps, die man per Scan als Audioguide auf das Handy laden kann, um derart, zusätzlich unterstützt von informativen Saaltexten, durch die Ausstellung zu navigieren.
Foto: Pinakothek
Dem untrainierten Auge erscheinen Blumenbilder zunächst allzu ähnlich und austauschbar. Dankbar nimmt man die vertiefenden Hinweise zur Kenntnis und bekommt nicht nur ein anderes Bild von der Gattung der Blumenmalerei, sondern auch überraschende kulturhistorische Einblicke.
Über 50 Gemälde von Rachel Ruysch bietet die Ausstellung, zusätzlich rund 20 Vergleichsbeispiele zeitgenössischer Stillebenmaler und Stillebenmalerinnen, von Leihgebern aus 14 Ländern. Auch das Kunsthistorische Museum hat einen opulenten „Blumenstrauß“ beigesteuert.
Da die Malerin das älteste Bild der Ausstellung mit 18 Jahren schuf und das jüngste neben der Signatur den Zusatz Ae(tatis suae) 83 trägt, bietet sich dem Betrachter eine Malerlaufbahn von 65 Jahren dar.
Der familiäre Hintergrund ermöglichte ihr die wahrlich ungewöhnliche Karriere als Frau in einem sonst männlich dominierten Umfeld. 1664 in den Haag geboren, als Tochter des Professors für Anatomie und Botanik Frederik Ruysch und einer Mutter, die aus einer Familie von Malern und Architekten stammte, erhielt sie schon mit 15 Jahren in Amsterdam Malunterricht bei dem damals renommiertesten Stillebenmaler der Stadt, Willem van Aelst. Seine kühle Farbigkeit vor dunklem Hintergrund findet sich auch in den Frühwerken der jungen Rachel.
Staunend erfährt man von den Spezialisierungen in der Stillebenmalerei, wie etwa den beliebten Waldbodenstilleben: Im schattigen Unterholz zwischen Baumstümpfen, Moos und dunklen Gewässern bewegen sich Amphibien, Reptilien und Insekten. Auch Früchtestücke – als Pendants zu den Blumenstücken – entstanden.
Die Sammlung naturwissenschaftlicher Präparate des Vaters lieferte weitere Inspiration, ebenso der Botanische Garten in Amsterdam, dessen Direktor Professor Frederik Ruysch war. So ist es kein Wunder, dass die von der Malerin komponierten Blumenbilder nicht nur Pflanzen vereinen, die zu unterschiedlichsten Jahreszeiten, sondern auch in unterschiedlichsten Gegenden blühen.
So nebenbei erfährt man von den kolonialen Unternehmungen, die dem berühmten Blumenmarkt in Holland zugutekamen (zulasten der ausgebeuteten Kolonien wie Sumatra oder Südafrika).Auch das Zusammenspiel von Naturwissenschaft und Blumenmalerei wird mit entsprechenden Exponaten (Mikroskopen wie konservierte Pflanzen) anschaulich dokumentiert.
Rachel Ruysch war zugleich auch Ehefrau und Mutter: 10 Kinder hatte sie, was ihrem künstlerischen Schaffen aber keinen Abbruch tat. Um 1700 wurden ihre farbenprächtigen und täuschend echt gemalten Blumenbouquets hoch gehandelt und gelangten an die Fürstenhöfe ganz Europas. Sie arbeitete so sorgfältig, dass pro Jahr nur drei bis vier Blumenstücke entstanden.
Foto: Pinakothek
Den Gipfel ihres Ruhmes erreichte sie 1708 mit der Anstellung als Hofmalerin des Wittelsbacher Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz, der in Düsseldorf residierte. Die Malerin hatte pro Jahr ein Werk abzuliefern, blieb dazu aber in Amsterdam und erhielt ein stattliches Jahresgehalt. Der enge Briefkontakt zwischen ihr und Johann Philipp, der auch Pate ihres jüngsten Sohns war, ist mit originalen Schriftstücken dokumentiert.
Mit dem Tod des Kurfürsten 1715 endete diese Phase. Eine originelle Wendung ihres Lebens bald danach – der Hauptgewinn bei der Lotterie der Staaten der Niederlande mit sagenhaften 75.000 Gulden – führte dazu, dass ihre Schaffensintensität nachließ. Möglicherweise war es auch eine Frage des Alters. Trotzdem sind Gemälde noch bis zu ihrem neunten Lebensjahrzehnt erhalten (sie starb 1750 mit 86 Jahren). In dieser Spätphase passte sie sich noch dem neuen Stil des aufkommenden Rokoko an: Aus den üppigen und dichten Blumenbouquets vor dunklem Hintergrund wurden kleinere, aufgelockerte und lichtere Blumenarrangements.
Biographien noch zu Lebenszeiten kündeten ihren Ruhm: Als „Hollands Kunstwunder“ und „unsterbliche Minerva“ wurde sie gefeiert – eine große Künstlerin in kleinen Dingen.
Alexander Marinovic