MOZART: REQUIEM – VERSION „SÜSSMAYR REMADE“; Freiburger Barockorchester, RENÉ JACOBS – harmonia mundi CD, LP
Veröffentlichung: 3. November 2017
Um die wievielte Aufnahme von Mozarts Requiem handelt es sich hier eigentlich? Unzählig sind sie, viele davon wunderbar und sagenumwoben wie die Entstehungsgeschichte dieses wohl berühmtesten Torsos der Musikgeschichte. Aber es wäre nicht René Jacobs, würde er uns nicht dennoch was Neues und Aufregendes servieren. So hat Jacobs hier eine Neu-Ergänzung des Requiems (2016) durch den überaus jungen französischen Komponisten Pierre-Henri Dutron einspielt. Diese soll Lösungen für die durch Franz Xaver Süßmayrs Fassung geschaffenen Probleme beheben, ohne ihn „austreiben“ zu wollen, als wäre er ein böser Geist. Diese Version bietet vor allem veränderte Instrumentierungsfacetten sowie einige bislang ungewohnte harmonische Ideen, die sich bestens ins Original fügen, logisch erscheinen und auch gefallen.
Das reicht aber dem umtriebigen und neugierigen Jacobs noch nicht. Also nimmt er den Vinyl-Hype zum Anlass für ein innovatives technisches Experiment: Bei identem musikalischem Inhalt unterscheiden sich die digitalen Formate deutlich von der LP. Für die digitalen Träger haben 30 Mikrofone unter dem Einsatz von Effektgeräten eine Klangillusion geschaffen, die der Ästhetik von 2017 entsprechen soll. Für die LP wurde eine völlig andere Mischung erstellt, die ausschließlich auf Mikrofonsignalen beruht und die Natürlichkeit des Aufnahmemoments am nächsten kommt. Der Hörer kann nun erstmals Unterschiede in verschiedenen Formaten ergründen und das Medium wählen, das seinen Klang- und Ästhetikvorstellungen am besten entspricht.
Der musikhistorische Hintergrund des Requiems ist – wie René Jacobs das im Beiheft zur CD ausführlich schildert – ein echter Krimi: Am 5. Dezember 1791 um 00:55 bricht der Tod Mozarts Arbeit ab. Vom „Sanctus“ an hat Mozart keine Note mehr zu Papier gebracht. Das Lacrimosa verstummt nach acht Takten. Instrumentiert ist außer der ersten Nummer nichts. Costanze Mozart hat das Fragment wild vermarktet und erwiesener Maßen am Mythos mitgewirkt („Zettelchen-Legende“), um ein möglichst ganz von Mozart stammendes Werk zu Höchstpreisen verkaufen zu können. Als Ergänzer des Requiems bot sich Süßmayr an, er war aber nur vierte Wahl. Aber Süßmayr der Flotte konnte die Partitur bereits bis Ende Februar 1792 fertigstellen und Zeit war schon damals Geld. Den rest der Geschichte möge der Interessierte im umfangreichen Booklet zur CD nachlesen
Im Endeffekt interessiert den Hörer – abseits dieser Anekdoten und nüchternen Wahrheiten – aber primär die künstlerische Qualität des Produkts und die ist außerordentlich. Jacobs ist einer der wenigen Maestros, die sich Zeit, Geld und Muße nehmen, um im Studio perfekte Produktionen zu erarbeiten. Das macht sich auch im Falle des Requiems bezahlt. Ein wunderbar homogenes Solistenensemble (Sophie Karthäuset, Marie-Claude Chappuis, Maximilian Schmitt, Johannes Weisser), einer der besten Chöre Deutschlands, nämlich der RIAS Kammerchor, und das für Musik des 18. Jahrhunderts zurecht renommierte Freiburger Barockorchester haben das Requiem als große Vokalnummer mit rasanten Tempi aufgefrischt. Dennoch ist das neue Album im Vergleich zu anderen Mozart-Deutungen von René Jacobs (Idomeneo, Zauberflöte, Entführung) konventioneller, aber nicht schlechter ausgefallen. Zwar sucht Jacobs nach wie vor wirkungsvoll Kontraste und Akzente zu setzen, über allem aber interessiert ihn offenbar die Spiritualität, die von dieser Zaubertotenmesse ausgeht. Das wiederum trifft sich hervorragend mit der neuen „Fassung“ von Pierre-Henri Dutron, der näher an Mozart und Gott scheint wie bisweilen Süßmayr es vielleicht war.
Der vorliegenden Aufnahme ging eine Reihe an Konzerten voraus. Tatsächlich ist es eine klangschöne, lebendige und frische Aufnahme dieses großen Klanggebets geworden. Entscheiden Sie selbst, ob die Aufnahme dieser Version Ihnen genau so gut gefällt wie mir!
Dr. Ingobert Waltenberger