MOZART: COSÌ FAN TUTTE – Live Bayerische Staatsoper München 25. Februar 1978, ORFEO 2 CDs – W. Sawallischs raffiniertes, wundersam gesungenes Mozarttheater
„Vielleicht begegnen wir uns wieder, aber da, wo du mich verlassen hast, triffst du mich nicht wieder“ Bertold Brecht
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Nach dem legendären Don Giovanni unter W. Sawallisch mit R. Raimondi, Moll, M. Price, Varady und Popp aus der Bayerischen Staatsoper 1973 veröffentlicht ORFEO nun auch den nicht minder mythischen Rundfunk-Mitschnitt der Così fan tutte Premiere vom 25. Februar 1978. Sammler mögen in ihren Regalen noch die Bootlegs dieser Aufführung von Golden Melodram oder Operas Magic‘s stehen haben, beide mittlerweile vergriffen und nicht mehr erhältlich. Umso mehr wird die nunmehrige Neuveröffentlichung in herausragender Tonqualität Opernherzen höher schlagen lassen.
Historisch ist diese Premiere auch deshalb so bemerkenswert, weil in München zum ersten Mal das italienische Originallibretto von da Ponte zum Einsatz kam. Sawallisch dirigierte Così ebenfalls zum ersten Mal in München und wagte den Sprung vom Cuvilliéstheater an das Große Haus. Freilich war die Orchesterbesetzung größer als das den heutigen Originalklanggepflogenheiten entspricht. Sawallisch entwickelt einen derartigen Theaterfuror, lässt das drama giocoso in all seinen Facetten so quicklebendig und blutvoll aufleben, wie dies sonst nur Karl Böhm vermochte. Die vordergründig verlockenden und final bitter herb enttäuschenden Erkundungen in dieser von Don Alfonso angezettelten „Liebesschule“ finden nicht nur im Orchestergraben ihre sonore Entsprechung. Auf der Bühne ist nichts weniger als ein Traumensemble zu bestaunen: Die Hauptrollen waren so luxuriös und mit so mächtigen Stimmen besetzt, dass man so manche Verdi oder Wagner Oper damit blendend und auf Weltniveau hätte in Szene setzen können.
Margaret Price als junonische Fiordiligi und Brigitte Fassbaender als burschikos charmante Dorabella waren am Zenit ihrer Möglichkeiten. Was da an herrlichsten Kuppeltönen erklingt, wie Price in ihre berühmten Arie „Come scoglio“ opera seria Virtuositität, pfeffrige Spitzentöne mit rokokohafter Eleganz verbindet, ist genau so faszinierend, wie Fassbaender in „Smanie implacabili“ ihr Schicksal mit hochdramatischer Empörung beklagt. Reri Grist als Zofe und Strippenzieherin Despina war wohl die Jahrhundertbesetzung schlechthin. Hinreissender, frecher, unverschämter, silbrig-glänzender, farbreicher und nuancierter hat diese Rolle wohl niemand gesungen.
Die Herrenriege war mit dem jungen Wolfgang Brendel als Guglielmo mit viril markantem Kavaliersbariton, der Mozart-Legende Peter Schreier als Ferrando sowie dem Heldenbariton Theo Adam als Don Alfonso bei dieser Premiere ebenfalls in top Stimmverfassung. Alle singen drauflos als gäbe es kein Morgen mehr. Es darf erinnert werden, dass Theo Adam zu der Zeit der führende Wotan und Holländer war, M. Price und Fassbaender wohl jeder Aida, Maskenball oder Forza de Destino Aufführung höchsten Glanz verliehen hätten. Diese Così fan tutte als ein einziges großes und unwiederbringliches Fest der Stimmen wird viele Mozart-Freunde und Melomanen in einen Freudentaumel versetzen. Der Chor der Bayerischen Staatsoper und das Bayerische Staatsorchester finden ebenfalls den adäquaten Ton für die sublim-böse Komodie.
Grandios, unverzichtbar, zum Niederknien! Allerdings nicht für musikalische Veganer und Originalklang-Reinheitsapostel geeignet.
Dr. Ingobert Waltenberger