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MOULINS-SUR-ALLIER: Die Schätze der Opéra Comique und das NUREJEW-Museum

MOULINS:

Lassen sie sich von unserem Frankreich – Korrespondenten WALDEMAR KAMER durch ein wunderbares Theater-Museum in Moulins-sur-Aller führen, mit den aktuellen Ausstellungen: SCHÄTZE DER OPÈRA COMIQUE und das NUREJEW-MUSEUM

DIE EINZELNEN VERLINKUNGEN FÜHREN ZU DEN DETAILS DER AUSSTELLUNGEN, BEGEBEN SIE SICH AUF EINEN VIRTUELLEN RUNDGANG DURCH DIESES MUSEUM UND ZU DEREN OBJEKTEN

 

Das Museumsgebäude in Moulins-sur Allier

Das Museumsgebäude in Moulins-sur Allier

 

Ausstellung „die Schätze der Opéra Comique“ im Centre National du Costume de Scène in Moulins-sur-Allier

Fernab von den großen Metropolen, auf der Bahnlinie Paris-Clermont Ferrand, liegt das Städtchen Moulins-sur-Allier. Dort ließ Ludwig XVI. einen Militärstützpunkt bauen, um die strategisch wichtige Brücke auf der Strasse zwischen Vichy und Lyon zu bewachen. Als das Militär nach dem ersten Weltkrieg diese abgelegene Kaserne aufgab, wurde sie an die Polizei weitergereicht, die jedoch nichts mit diesem großen Bau anzufangen wusste, in dem man auch Kanonen gießen konnte. Der Abbruch war schon längst genehmigt, als 1984 in letzter Minute das Kulturministerium in Paris die Kasernen aus dem 18. Jahrhundert unter Denkmalschutz stellte. Doch was konnte man dort nun tun? Nach zwanzig Jahren Palavern wurde ein einzigartiges Projekt entwickelt, was es nirgendwo anders auf der Welt gibt: ein „Nationales Zentrum für Bühnenkostüme“ unter der Leitung einer überaus starken und dynamischen Frau, Martine Kahane. Frau Kahane war ursprünglich Leiterin der Bibliothek der Pariser Oper und als solche täglich mit der Archivierung (und dem Verschwinden) von Opern- und Ballettaufführungen beschäftigt. Denn in allen Theatern und Opern der Welt werden die Bühnenbilder vernichtet, sobald eine Produktion aus dem Repertoire genommen wird oder als „abgespielt“ gilt. Die Kostüme bleiben im Theater-Fundus, damit man sie noch in anderen Produktionen einsetzen kann. Doch die Anzahl der Kostüme stieg rapide mit der immer größeren Anzahl an Neu-Inszenierungen ab 1950. Denn im neunzehnten und in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurden Produktionen in der Pariser Oper im Schnitt dreißig Jahre lang gespielt. Seit 1950 sind es nur noch drei Jahre. Wohin mit den ganzen Kostümen? Als die Depots der Pariser Oper hoffnungslos überfüllt waren und mehr als 50.000 Kostüme in irgendwelchen Kartons weit weg von Paris lagerten, wurde die Lage brenzlig. So entstand der Gedanke, ein Zentrum für Bühnenkostüme zu gründen. Denn Mode- und Kostümmuseen gibt es viele in Frankreich, Theatermuseen gibt es auch überall in der Welt. Doch nirgendwo ein Ort, in dem tausende von Bühnenkostümen gelagert und restauriert werden können. Dafür wurde 1997 ein moderner Bau neben den alten Kasernen in Moulins entworfen, in dem man ganz genau Temperatur und Feuchtigkeit regeln kann und in dem 10.000 Kostüme unter idealen Bedingungen lagern können. Martine Kahane bekam die schwere Aufgabe, in dem Fundus der Opéra de Paris, der Opéra Comique und der Comédie Française eine Auswahl zu treffen und dem durch sie aufgesetzten „Centre National du Costume de Scène“ eine klare Identität zu geben. Dafür brauchte sie ganze neun Jahre. 2006 wurde das CNCS eröffnet, das seitdem zwei Ausstellungen im Jahr organisiert. Diese sind so interessant, dass viele Besucher bereit sind, dafür drei Stunden Zugfahrt von Paris in Kauf zu nehmen. Auch die Anzahl ausländischer Gäste steigt jedes Jahr.

Diesen Frühling (bis zum 25. Mai) gibt es eine Ausstellung zum 300sten Jubiläum der Opéra Comique in Paris. Agnès Terrier, die hoch gelobte und sehr fähige Chef-Dramaturgin der Opéra Comique, weiß den sehr bewegten Werdegang des Hauses auf eine für sie typische Art zu erzählen: jeder kann der Geschichte folgen, es wird nie langweilig und trocken, und doch bewegt sich alles auf einem historischen und intellektuellen hohen Niveau. Die Autorin, Bühnen- und Kostümbildnerin Macha Makeïeff  sorgt dabei kongenial für das passende Ambiente. Historische Ausstellungen über Theatergeschichte – wir haben Dutzende davon gesehen – können oft furchtbar langweilig sein: ein paar Baupläne, dazu einige Plakate und Bücher, drei Kostüme, ein Sessel und einige Bilder und Porträts von berühmten Interpreten. So sieht es meistens aus. Hier fängt jedoch die Ausstellung mit einer wunderbar beleuchteten Marionettenbühne an, und darf man auf alten Instrumenten die Theatergeräusche des achtzehnten Jahrhunderts produzieren. Ein ausgestopfter Esel steht daneben und hört zu. Jeder Saal ist eine Theaterszene, in der nicht nur ein Paar Kostüme in einer Vitrine stehen, sondern wirklich etwas „passiert“, und viele Tiere und Requisiten das Geschehen sozusagen „kommentieren“. Wir können anschaulich verfolgen, wie die Sängerin und Schauspielerin Justine Favart 1753 neue Maßstäbe in Interpretation und Kostüm setzte mit „Bastien und Bastienne“, die Mozart 1768 zu seinem ersten Singspiel inspirierten. Denn eine „opéra comique“ ist eine Oper, in der auch „Komödie“ stattfindet, also auch gesprochen wird. Weil die Solisten oft mit ihren eigenen Kostümen an- und abreisten, besitzen wir leider nicht mehr das Original-Kostüm von Carmen von 1875. Aber wohl das von einigen Soldaten von der Uraufführung. Und von Mary Gardens Kostüm als Mélisande aus dem Jahre 1902 gibt es auch noch eine Kopie. Carmen und Mélisande werden im Zentrum der nächsten Ausstellung stehen, die Agnès Terrier und die Opéra Comique anlässlich des großen Jubiläums organisieren: im Petit Palais in Paris (bis zum 28. Juni) – wir sind gespannt! Waldemar Kamer

ZUM VIRTUELLEN RUNDGANG LADEN DIE FOLGENDEN LINKS EIN :

Centre National du Costume de Scène: www.cncs.fr

Ausstellung „L’Opéra Comique et ses trésors“ bis zum 25. Mai

Ausstellung „De Carmen à Mélisande, drames à l’Opéra Comique“, vom 18. März bis zum 28. Juni im Petit Palais in Paris, www.petitpalais.paris.fr

 

Das „Nurejew-Museum“

Zwanzig Jahre nach dem Tod von Rudolf Nurejew (1938-1993) wurde im CNCS in Moulins sein letzter Wunsch erfüllt: ein Nurejew-Museum. In drei Sälen werden das Leben, die Karriere und die Pariser Wohnung evoziert, die ursprünglich als Museum dienen sollte. Auf Wandtafeln kann man den verschiedenen Stationen von Nurejews Leben folgen, einige Plakate erinnern an seine größten Triumphe. Auch seine Liebe zur Musik wird erwähnt, mit einem Harmonium, einem Metronom und seinem Taktstock als Dirigent für sein letztes Konzert in Wien sechs Monate vor seinem Tode: Arien von Rossini und Mozart mit Jochen Kowalski im Palais Auersperg am 28. Mai 1992. Das Ganze wird geschmackvoll präsentiert durch Ezio Frigerio, nach Martin Kamer und Nicholas Georgiadis der langjährige Bühnen- und Kostümbildner von Nurejew. Einige wunderschöne Kostüme seiner Gattin Franca Scuarciapino sind auch zu sehen. Das letzte Exponat, das auch Ezio Frigerio entworfen hat, ist das Gipsmodel für Nurejews Grab in Paris.

Es ist eine lange und traurige Geschichte. Als Nurejew am 6. Januar 1993 in Paris verstarb, war er nicht nur einer der bekanntesten Tänzer des 20. Jahrhunderts, sondern anscheinend auch der Bühnenkünstler der „zusammen mit den Beatles am meisten verdient hat“ (wie er es mir selbst einmal gesagt hat). Wie viele Leute, die in ihrer Jugend Armut gekannt haben, war Nurejew stolz auf seinen Reichtum, den er gerne zur Schau stellte. Er besaß nicht nur eine große Wohnung in Paris am Quai Voltaire, mit Blick auf den Louvre, sondern auch eine in London (in Richmond Park, wo er Nachbar von Marlene Dietrich war), eine Wohnung im Dakota House in New York (der teuersten Adresse der Stadt mit Blick auf Central Park) und natürlich eine Wohnung in Monaco („wegen der Steuern“). Für die Ferien kaufte er sich eine kleine Insel nicht weit von Capri und eine halbe Insel in St Barth in der Karibik. Anscheinend besaß er auch noch eine Farm in Virginia, doch ich vermute, dass nur seine Anwälte und die vielen Schmarotzer, die ihn umgaben, dort ihre Ferien verbrachten. Denn wie viele reiche Leute wurde Nurejew kontinuierlich von einer Horde Menschen umgeben, aus denen man nie richtig schlau wurde. Tagsüber arbeitete er hart und gerne mit großen Künstlern wie Erik Bruhn – in Nurejews Augen der „technisch beste Tänzer des zwanzigsten Jahrhunderts“ (und auch seine größte Liebe) – und der wunderbaren Margot Fonteyn, der er „mehr verdankte als er sagen konnte“. Doch abends war er mit obskuren Typen unterwegs, die ihm erklärten wie man Geld anlegt ohne Steuern zu zahlen. Nurejew, ab 1982 Österreichischer Staatsbürger und der einzige Angestellte der Pariser Oper mit offiziellem Wohnsitz in Monaco, liebte komplizierte Strukturen, die niemand durchschauen konnte. Genauso wie er gerne in seinen Choreographien gewisse Tanzpässe unnötig verkomplizierte, nur um das technische Können des Tänzers auf die Probe zu stellen.

Seine nun in Moulins evozierte Pariser Wohnung war sein ganzer Stolz. Er ließ sie 1979 prächtig durch den italienischen Designer Renzo Mongiardino einrichten, so wie dieser es auch für die Agnellis, Rothschilds, Thyssens und für Onassis getan hatte. Für diesen „Palast“ war kein Teppich zu teuer – Nurejews größte Sammlerleidenschaft – und kein Männerakt zu geschmacklos. Denn wie es der Bühnenbildner Jacques Dupont ausdrückte: „Rudolf hat die tartarische Vorliebe für barbarische Pracht“. Auf N°23, Quai Voltaire, fühlte man sich wie in einem Märchen von 1001 Nacht, verstärkt durch die Vorliebe des Gastgebers, in schillernden orientalischen Seidenkostümen und wertvollen japanischen Kimonos zu erscheinen (von denen jetzt zwei in Moulins zu sehen sind). Und genau so wollte Rudolf Nurejew, dass man sich in einem prächtigen Museum an ihn erinnert. Er schrieb wörtlich in sein Testament: „ It is my wish (…) for he perpetuity of my name in museum or gallery exhibition form, as a memory of my life style [sic] and carrier [sic] as a person and as a dancer and in which I have engaged myself in the field of choreographic art and music“.

Doch nach seinem Tod kam alles anders. Wir hatten ihn kaum zu Grabe getragen, da entstand ein Streit in einer Heftigkeit, den sich auch der streitsüchtige Rudolf nicht hätte vorstellen können. Plötzlich standen sich mehrere Rudolf-Nurejew-Gesellschaften gegenüber, mit ebenso vielen „Testamentsvollstreckern“, die alle das riesige Erbe einforderten. Der unerbittliche Streit, in dem die fernen Verwandten auch kräftig mitmischten, wurde schließlich geschlichtet, indem man alles verkaufte und die „Beute“ unter sich verteilte. So wurde im Januar 1995 die „Nurejew-Sammlung“ in London und New York versteigert, trotz Proteste der Bürgermeister von Paris und Sankt Petersburg, die beide in ihrer Stadt ein Nurejew-Museum öffnen wollten. Lange schien es so, als ob es mit Hilfe von Prinzessin Caroline etwas Prächtiges in Monaco werden würde. Doch nach fünfzehn Jahren wurde es dann dank Martine Kahane zumindest überhaupt etwas in Moulins. Die Schweitzer Nureyev Foundation hatte die Schlacht um das Erbe gewonnen und gab die Tanz-Manuskripte an das Centre National de la Danse und die persönliche Dokumentation an die Bibliothèque Nationale (beide in Paris). Der Rest an Fotos, Plakaten, Kostümen und all das, was man in einem Museum ausstellen kann, wurde 2008 verteilt zwischen dem kleinen Theatermuseum in Ufa in Baschkirien (heute Baschkortostan) in Ost-Russland, wo Rudolf aufwuchs und dem nun gegründeten „Nurejew-Museum“ im Centre National du Costume de Scène in Moulins. Das CNCS veranstaltete 2009 eine große Nurejew-Ausstellung (mit vielen Leihgaben), die 2010 in Sankt Petersburg und 2012 in San Franzisko zu sehen war. In der Zwischenzeit wurden 400m2 des CNCS zu einem kleinen „Museum“ umgebaut, dass im Oktober 2013 eröffnet wurde.

Als mir die heutige Direktorin des CNCS (Martine Kahane ist inzwischen im verdienten Ruhestand) mit Stolz erzählte, dass sie in Moulins nun 30 Bühnenkostüme von Nurejew und 15 Objekte aus seiner Pariser Wohnung besitzen, stockte mir der Atem. Ist das alles, was übrig geblieben ist von einem der berühmtesten, reichsten und prachtliebenden Künstlern des zwanzigsten Jahrhunderts? Von einem „Palast aus 1001 Nacht“, aus dem ein stolzes Museum werden sollte, und von mehr als hundert Kostümen, an denen Rudolf so leidenschaftlich hing, dass er sie sogar manchmal selber flickte, um noch länger in ihnen tanzen zu können? Denn sie waren sein eigentliches Zuhause. Er meinte: „Ich habe keine Heimat. Jedes Land ist nur ein Ort für mich, an dem ich tanzen kann.“. Zum Glück werden seine Ballette weiter in Paris, Wien und an vielen anderen Orten gespielt. Sie sind das eigentliche „Nurejew-Museum“, nicht diese drei dunklen Säle in einer abgelegenen Kaserne, die Nurejews letztem Wunsch, für den er viele und viele Millionen hinterließ, nicht gerecht werden.

 Bericht von Waldemar Kamer – Paris

 ZUM VIRTUELLEN RUNDGANG LADEN DIE FOLGENDEN LINKS EIN:

„Collection Noureev“ im Centre National du Costume de Scène: www.cncs.fr

The Rudolf Nureyev Foundation: www.nureyev.org

 

 

 

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