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MORITZBURG bei Dresden/ Schlossterrasse u.a.: STREIFLICHTER VOM 28. MORITZBURG FESTIVAL – OPEN AIR

17.08.2020 | Konzert/Liederabende

Moritzburg bei Dresden/Schlossterrasse u. a.: STREIFLICHTER VOM 28. MORITZBURG FESTIVAL – OPEN AIR – 2. ‑ 16.8.2020


Neuer Veranstaltungsort: Die Schlossterrasse. Foto: Steffen Heinicke

Wie so viele Veranstaltungen und Festivals gab es auch beim alljährlich stattfindenden Moritzburg Festival in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie großes Kopfzerbrechen und eine Zitterpartie bei Veranstaltern und Publikum, aber Not macht erfinderisch. Jan Vogler, der Künstlerische Leiter des Festivals und Intendant der Dresdner Musikfestspiele, für die er am 16.7. die Verlängerung seines Vertrages bis 2026 unterschrieben hat, fand mit seinem Team die geniale Lösung, einen „aus der Krise geborenen Glücksfall“, wie er es nannte. Als reines Kammermusik-Festival mit kleiner Besetzung gab es weniger Probleme wegen des geforderten Abstands zwischen den Musikern, lediglich Einschränkungen hinsichtlich der traditionellen Räume. Die meisten der geplanten 22 Aufführungen, bei denen insgesamt 26 Solisten aus aller Welt auftraten, fanden in voller Länge, ohne musikalische Einschränkungen und sogar mit Pausen, „Blumenmädchen“ und „Bühnenarbeitern“ statt – mit Mund-Nasen-Schutz und Handschuhen – alles im Freien, wo alle Vorschriften eingehalten werden konnten.

Bei den anhaltenden hochsommerlichen Temperaturen bot sich diese Variante direkt an. Nur zwei Veranstaltungen – die in der Dresdner Flugzeugwerft und der Kirche Steinbach, mussten abgesagt werden. Die SCHLOSSKONZERTE wurden auf die nördliche Schlossterrasse verlegt, die LESE-KONZERTE aus der Käthe-Kollwitz-Gedenkstätte in den Garten des Hauses, und nur die ÖFFENTLICHEN PROBEN fanden weiterhin in der Moritzburger Kirche statt, allerdings mit eingeschränkter Besucherzahl. Die Open-Air-Konzerte bescherten den Besuchern einen zusätzlichen Kunstgenuss in einer reizvollen, inmitten von 22 Teichen, 13 km nordwestlich von Dresden gelegenen, Kulturlandschaft mit ihren Baudenkmälern und Erinnerungsorten in einer einmaligen Verbindung von Musik, Barockschloss mit gepflegter Parkanlage, idyllischer Natur und romantischer Abendstimmung – ein Ort zum Feiern mit (fast) allen Sinnen wie einst August der Starke mit seinem Sächsisch-polnischen Hof an genau dieser Stelle.

Einziger Risiko-Faktor war das Wetter, und genau am Abend des ERÖFFNUNGSKONZERTES (2.8.) kam der nach anhaltender Trockenheit von Landwirtschaft und Gartenbesitzern heiß ersehnte Regen. Doch alle, alle kamen. Kein Besucher ließ sich abschrecken,  und keiner ging vorfristig nach Hause, denn in seiner Leidenschaft für das Moritzburg Festival lässt sich so leicht keiner vertreiben! Das Publikum sehnte sich nach Livekonzerten (alle Konzerte waren ausverkauft), und die Musiker auf die Wiederbegegnung mit dem Publikum.

„Ich freue mich sehr, dass wir nach langen Monaten von Unsicherheit und Abgrenzung mit dem Moritzburg Festival wieder ein gemeinschaftliches Erlebnis klassischer Live-Musik genießen können„, sagte Sachsens Kulturministerin auf der Nordterrasse des Schlosses, der romantischen Open-Air-Bühne, beim Eröffnungskonzert, wo das Publikum anschließend dem “Gitarrenquintett (op. 143) von Mario Castelnuovo Tedesco und dem “Gitarrenquintett „D‑Dur (G 448), dem „Fandango-Quintett“, von Luigi Boccherini mit Ismo Eskelinen an der Gitarre lauschte, sowie dem „Klavierquintett Nr. 2 A-Dur“ (op. 81) von Antonín Dvořák mit Andrea Lucchesini als Solist. Unter den Mitwirkenden waren international renommierte Musiker wie die Geigerinnen Baiba Skride und Mira Wang, und der neue Chefdirigent des Moritzburg Festival Orchesters, Josep Caballé Domenech, der es sich nicht nehmen ließ, selbst authentisches Flair mit den Kastagnetten einzubringen.

Die „Feuer-“ bzw. Wasser-Probe“ war bestanden. An den folgenden Tagen war der Wettergott wieder besserer gelaunt und bescherte nach heißen Tagen die berühmten „italischen Nächte“, die Heinrich von Kleist bei seinem Dresden-Besuch rühmte und die die weiteren Open-Air-Konzerte zum Genuss werden ließen, so auch eines der SCHLOSSKONZERTE (8.8.). Es begann mit Gioachino Rossinis “Sonate Nr. 1 G‑Dur“, bei der der erst 19jährige Primarius Kevin Zhu mit ungewöhnlich weichem, singendem, romantisch-klangvollem Ton, den Mira Wang mit frischer, klarer Tongebung der 2. Violine  auffrischte, das Klangbild bestimmte, in das Andrei Ioniță mit gefühlvollem Cellospiel und Janne Saksala mit Akzente setzendem Kontrabass in schönem Zusammenspiel einstimmten. Es war eine feinsinnige, nicht alltägliche Wiedergabe.

An den 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens, der in diesem Jahr zwangsläufig eher ruhig begangen wurde, erinnerte die Aufführung seines berühmten „Streichquartetts c-Moll“ (op. 18 Nr. 4) mit dem in Orchester- und Kammermusik erfahrenen Kai Vogler und dem 20jährigen, noch etwas vorsichtigen Nathan Meltzer, Violinen, Ulrich Eichenauer, der schon 1993 in der ersten Saison des Festivals auftrat, Viola, und Christian-Pierre La Marca, Violoncello. Sie musizierten in jener kongenialen Homogenität, die in diesem Jahr bei fast allen Formationen auffiel, obwohl keine eingespielten Ensembles eingeladen werden, nur einzelne Musiker, die sich immer wieder ad hoc zusammenfinden, was den Interpretationen eine besondere Originalität und Ursprünglichkeit verleiht.

Diese Ursprünglichkeit war auch bei dem “Klarinettentrio a‑Moll (op. 114) von Johannes Brahms zu spüren, mit dem hervorragenden Klarinettisten Wenzel Fuchs, Alessio Bax am Klavier und Jan Vogler, Violoncello, bei dem man sich fragt, woher er die viele Energie und Zeit nimmt, zwei Festivals zu leiten und dennoch seinem Instrument treu zu bleiben, um als Solist oder – wie hier – bei Kammermusik mit hoher Qualität aufzutreten. In einer fein differenzierten Wiedergabe widmeten sich die drei, gut aufeinander eingestellten, Musiker in nicht übereiltem Tempo dem Werk und ließen die Musik feinsinnig und klangvoll ausschwingen, setzten aber auch kontrastierende Akzente in dezenter Steigerung bis zu temperamentvoller Frische – eine intensive, differenzierte Wiedergabe, nach der sie sich bei dem hingerissen lauschenden Publikum mit einer Zugabe aus Beethovens „Gassenhauertrio“ für den herzlichen Applaus bedankten.

Eine Besonderheit dieser Konzerte sind die SCHLOSSKONZERTE MIT VORANGESTELLTEM PORTRÄTKONZERT, von denen das dritte (9.8) eine Begegnung mit dem beim Festival relativ viel beschäftigten 20jährigenen, talentierten Geiger Nathan Meltzer brachte, der gemeinsam mit Lise de la Salle, Klavier im PORTRÄTKONZERT mit Ludwig van Beethovens „Violinromanze Nr. 1 G‑Dur“ (op. 40) und der „Violinsonate Nr. 8 G‑Dur“ (op. 30) „Nr. 3“ mehr als überzeugende Proben seines Könnens gab. Meist wird in den Porträtkonzerten ein Künstler des nachfolgenden Konzertes in einem kurzen Gespräch vorgestellt. Hier ließen beide mit ihrer hervorragenden Interpretation nur die Musik sprechen, womit die vorgesehenen 30 Minuten punktgenau und überzeugend ausgefüllt waren.

Im anschließenden SCHLOSSKONZERT begeisterten Alessio Bax und Lucille Chung am Klavier mit der „Petite Suite“ zu vier Händen von Claude Debussy, bei der sie das spezifische Flair dieser heiter-leichten Suite mit musikalischen Assoziationen der Freizeitvergnügungen der Pariser Gesellschaft beim Rudern, Baden, Trinken und Tanzen wie auf einem impressionistischen Gemälde samt einem Blick in vergangene Zeiten bis hin zum Versailler Hof nachschöpferisch einfingen. Bei ihrem gemeinsamen, völlig konformen Spiel, bei dem der eine die Passagen des anderen auffing und fortführte, so dass sich der Part des einen in dem Part des anderen wiederfand, sich gegenseitig ergänzend, umfangend und gemeinsam weiter entwickelnd, zwei Pianisten wie ein gemeinsamer Organismus.

 Wenn sich der Abend über die Landschaft senkt, zieht Stille ein, und man wird umso aufnahmefähiger für die Musik, hier zwei großartige Werke, zwischen denen bedingt eine Beziehung besteht. Das 1886 entstandene „Klavierquartett Nr. 2 g‑Moll“ (op. 45) von Gabriel Fauré, dem bedeutendsten Vertreter einer eigenständigen französischen Musik, die sich nach 1871 auch in dem damals völlig von deutschen Vorbildern (Mendelssohn, Schumann, Brahms) bestimmten Genre der Kammermusik lossagte und auf die nationalen Wurzeln der französischen Instrumentalmusik besann, weist dennoch gewisse Parallelen zu Johannes Brahms auf. Es werden durchaus Anregungen aus der „Musique germanique“, wie die Viersätzigkeit und der romantische Charakter der Sätze aufgenommen, aber in freier, eigenständiger Weise verarbeitet.  

Mit rauschendem, orchestralem Klang begannen Alessio Bax, Klavier, Bomsori Kim, Violine, Karolina Errera, Viola und Andrei Ioniță, Violoncello, das Quartett und widmeten sich in kongenialem Zusammenspiel der ausgewogenen Stimmverteilung mit differenziertem Klang. Bax dominierte, wie es das Werk verlangt, am Klavier und brillierte mit den kaskadenartigen Figuren. Die Streicher stellten das getragene Hauptthema des 1. Satzes in einträchtigem Unisono vor und sorgten dafür, dass es im weiteren Verlauf immer wieder hindurchschimmerte. Karolina Errera verlieh der klagenden Bratschenmelodie, die sich zur Barcarole entwickelt, den entsprechenden wehmütigen Klang. Nach den „Wogen“ des 1. Satzes passten die geisterhafte Stimmung des 2. Satzes und die Imitation der Glockenklänge im 3. Satz, eine Erinnerung Faurés an seine Kindheit in den Pyrenäen, zur Abendstimmung, bis das, mit klassischer Schönheit in Ruhe und Beschaulichkeit vorgetragene Quartett im Walzergestus des 4. Satzes endete.

Das heimliche Vorbild dazu, das „Streichsextett Nr. 2 G‑Dur“ (op 36) von Johannes Brahms, das seit seiner ersten Veröffentlichung hoch in der Gunst des Publikums steht und seinen Ruhm mitbegründete, wurde von Kai Vogler mit seinen Erfahrungen aus seiner Tätigkeit als 1. Konzertmeister der Sächsischen Staatskapelle mit fein abgestufter, inniger Tongebung angeführt und zusammen mit Nathan Meltzer, Violine, Lars Anders Tomter und Ulrich Eichenauer, Viola, Henri Demarquette, Violoncello und Christian-Pierre La Marca, Violoncello, mit durchsichtigem, vielfältig schillerndem Klangbild bis zum großartigen Tutti gesteigert, wobei das Thema des 1. Satzes piano von Instrument zu Instrument in fließenden Übergängen weitergereicht wurde.

Im beseelten 2. Satz huldigten die Musiker dem Klangzauber mit zarten Streichern, bei denen es die Bratsche mit ihrem berühmt-berüchtigten Part nicht leicht hat, bis zu ungehemmter Musizierlaune a la Zingarese im „Trio“, die an Brahms‘ „Ungarische Tänze“ erinnerte, und ließen das schmerzlich-wehmütige Poco Adagio und die subtile, changierende Harmonik mit ihren Hell-Dunkel-Effekten in Moll in zarter Wehmut erstehen, wobei auch die für Brahms untypische emotionale Seite (aus ganz persönlichen Gründen) aufleuchtete.

Das Festival-Programm enthielt in schöner Vielfalt ein breites Spektrum bekannter „Ohrwürmer“ und weniger bekannter Werke berühmter Meister, aber auch sehr selten gespielte Kammermusikwerke, darunter die Uraufführung der verschollen geglaubten Frühfassung des Streichquartetts Nr. 2 von Bohuslav Martinů und die Aufführung von P. I. Tschaikowskys „Streichsextett d‑Moll (op. 70) „Souvenir de Florence“ sowie die „Goldbergvariationen“ von J. S. Bach in einem Arrangement für Streichtrio des russischen Komponisten Dmitri Sitkovetsky (bei Fackelschein).

 In einem weiteren der insgesamt sieben SCHLOSSKONZERTE (13.8.) standen zwei sehr gegensätzliche Werke auf dem Programm, das „akademisch“ geprägte „Streichquintett G‑Dur op. 14 von Sergej Tanejew und das emotionsreiche, von natürlicher Musikalität beherrschte „Oktett F‑Dur“ (D 803) von Franz Schubert.

Musik des russischen Komponisten und Pianisten Tanejew, einem Schüler P. I. Tschaikowskys und Nikolai Rubinsteins (Bruder von Anton R.) und selbst Lehrer von S. Rachmaninow, A. Skrjabin und Reinhold Glière und befreundet mit L. T. Tolstoi und seiner Frau, ist noch immer in den Konzertsälen selten zu finden. Sie ist westlich orientiert (später auch von der nationalrussischen Bewegung beeinflusst) und geprägt von Kompositionslehre, Lehrtätigkeit am Moskauer Konservatorium und einem intensiven Studium der Tradition (G. P. Palestrina, G. F. Händel und W. A. Mozart) und des Kontrapunktes (Tanejew gilt als der bedeutendste Kontrapunktiker der russischen Musik).

Oftmals sind ihm Akademismus und uninspirierte Trockenheit vorgeworfen worden, was bei der vitalen Interpretation an diesem Abend ganz und gar nicht der Fall war. Die Ausführenden engagierten sich für das ernsthaft durchgearbeitete Quintett, angeführt von dem jungen, begabten Nathan Meltzer, der mit sanftem singendem Ton seine Mitstreiter inspirierte. Der versierte Kai Vogler, Violine, Lars Anders Tomter, Viola, sowie Henri Demarquette und Andrei Ioniță, Violoncelli, stellten sich in punktgenauem Zusammenspiel, auch in den, das Stück prägenden, temperamentvollen Phasen auf einen einheitlichen Duktus ein und schenkten den sehr ruhigen Passagen, dem nur (sehr) leichten Anflug an die Salonmusik und den exotischen sowie heiteren Anklängen an die Klassik (Mozart) gebührende Aufmerksamkeit.

Im Gegensatz dazu stand das ganz anders geartete Oktett Franz Schuberts, bei dem sich Wenzel Fuchs mit klangvollem, ausdrucksstarkem Klarinettenklang, David Seidel mit ebensolchem Fagottklang, Tillmann Höfs, Horn, Kevin Zhu mit feinem, singendem Ton seiner Violine, Mira Wang, Violine, Ulrich Eichenauer, Viola, Andreas Brantelid, Violoncello, und Janne Saksala, der mit seinem Kontrabass für entsprechende Ergänzung und „Abrundung“ sorgte, mit großem Engagement einbrachten. In gemeinsamem Streben ließen sie sich von der emotionsgeladenen, innigen Musik Schuberts leiten und fanden sich in einem organischen Ganzen zusammen, wo sich Bläser und Streicher auf wunderbare Weise in Harmonie ergänzten. Das begeisterte Publikum verlangte nach einer Zugabe und bekam sie mit „nochmal Schubert“.

Parallel zum 28. Festival erarbeiteten in diesem Jahr aus gegebenem Anlass nur 16 junge Musiker (statt 30) aus 13 Nationen in der 11. Moritzburg Festival Akademie unter der Direktion von Mira Wang ein umfangreiches Repertoire, nicht wie üblich, unter Anleitung der Festivalteilnehmer, sondern wegen der erforderlichen räumlichen Trennung zwischen Festival- und Akademieteilnehmern unter der alleinigen Leitung von Caballé-Domenech, und erhielten in zwei, zur Tradition gewordenen, Veranstaltungen ein Podium, um ihre guten, zum Teil schon sehr reifen Leistungen zu präsentieren.

 

Ungezwungen und niveauvoll ging es beim 11. PROSCHWITZRER MUSIK-PICKNICK (9.8.) im Park des Schlosses Proschwitz zu. „Füllen Sie Ihren Picknickkorb, entführen Sie Ihr Silberbesteck und tauchen Sie ebenso stil- wie genussvoll ein in das erlesene Ambiente des pittoresken Schlossparks“ hieß es in der Ankündigung zu dieser traditionellen Matinee am Sonntagvormittag. Stil- und genussvoll sind diese Open-Air-Konzerte immer, vor allem auch hinsichtlich der erstaunlichen Darbietungen der jungen Künstler. Da es keine Konzertbestuhlung gibt, lagerten die Besucher auf der weiträumigen Wiese des gepflegten Schlossparks und lauschten trotz intensiver Sonneneinstrahlung den Klängen aus dem 18. ‑ 20. Jahrhundert, vom  Galanten Stil bis zur Moderne, in sehr unterschiedlichen kammermusikalischen Besetzungen mit reinen Streicher- und Bläser- bis hin zu gemischten Formationen, von Duo über Trio, Quartett, Quintett und Oktett bis zum Nonett.

Dass genau 13 Stücke und Komponisten ausgewählt wurden war kein schlechtes Omen, denn die meisten wurden mit großer Ernsthaftigkeit und Können dargeboten. W. F. Bach war mit zwei liebevoll, mit zartem Klang gespielten, Duos für Flöte und Oboe vertreten, Joseph Haydn, mit seinem „Flötenquartett op. 6 Nr. 1“, mit der, leise, mit romantisch singendem Ton, die lyrische Seite betonend, der bunte Reigen eröffnete wurde, L. Boccherini mit seinem, mit zartem Klang der Violinen und kräftigerem von Viola, Violoncello und Kontrabass gespielten „Streichquartett“ op. 39/1, L. v. Beethoven, mit seinem „Streichtrio Nr. 4 op. 9 Nr. 3, bei dem die Ausführenden von der Bühne auf die Wiese in den Schatten flüchteten, um ihre wertvollen (Leih-)Instrumente, die zwar unter der Sonne Italiens „geboren“, aber empfindlich gegen allzu viel Sonne sind, zu retten, und dennoch, obwohl die 1. Violine etwas zurückhaltend wirkte, schon mit der Perfektion gestandener Musiker auftraten, sowie F. Mendelssohn-Bartholdy mit seinem „Streichquartett“ op.44 Nr. 2, bei dem, stilvoll vom Primarius angeführt, in gutem, gemeinsamem Quartettspiel eine reife Leistung geboten wurde.

Des Weiteren standen auf dem Programm: A. Dvořák, bei dessen technisch perfekt musiziertem „Streichquintett“ (op. 97) der slawische Charakter nur vage hervorkam, J. Ibert, dessen simple, „leicht schräge“ „Trois Piéces“ als reife, schon fast professionelle Leistung geboten wurden, P. Hindemith, dessen lustiger, sehr einfach gestrickter „Kleiner Kammermusik“ sich fünf sehr gute Holzbläser mit viel Engagement und beachtlicher Differenzierung widmeten, F. Poulenc, dessen „Movements Perpétuels“ mit ihrem durchgängig motorischen Rhythmus, sehr gut gespielt von neun Musikern von Violine bis Horn, das Programm aufmischten, D. Schostakowitsch bei dessen, „Streichquartett Nr. 8“, die dem Stück immanente Ernsthaftigkeit und Trauer noch wenig zum Tragen kam (erst bei der zweiten, kompletten Aufführung (10.8.), E. Schulhoff, von dem drei, schon recht professionell muszierende Damen das „Divertissement für Oboe, Klarinette und Fagott“ mit kleinen Solopartien und guter interner Abstimmung boten und abrut wie ein Fragezeihen enden ließen, und W. Lutoslawski, der mit dem, von neun Streichern und Holzbläsern engagiert gespielten, „Dances Preludes“ vertreten war.

Neben den bekannten Komponisten-Namen gab es auch eine Entdeckung, das gefällige, sehr melodische und unterhaltsame „Oktett F‑Dur“ (op. 80) des ziemlich unbekannten Heinrich Hofmann (1842-1902), bei dem vier Streicher und vier Holzbläser die melodischen Linien stimmungsvoll nachvollzogen.

Trotz ein wenig zu viel Sonne gab es sehr gute und überdurchschnittliche Leistungen, ausgezeichnete Bläser und sehr gute Streicher, mitunter aber auch etwas zurückhaltende,  mit sehr schönem Ton spielende, Erste Geiger und meist ein sehr gut abgestimmtes Zusammenspiel. Die jungen Musikerinnen und Musiker ließen sich von keiner  äußeren Störung beeindrucken, auch nicht vom Wind, der mit einem Blatt und schließlich einem Notenblatt spielte. Moderatorin und Mitgastgeberin, Prinzessin Alexandra, hatte auch gleich ein Gedicht über fallende Blätter parat.

Wieder in Moritzburg auf der Schlossterrasse, erfreute sich die zweite Veranstaltung der jungen Musiker, die bis in die späten Abendstunden dauernde, LANGE NACHT DER KAMMERMUSIK (10.8.) großen Zuspruchs, obwohl sich am Vormittag ein heftiges Gewitter mit Wolkenbruch und Blitzeinschlag über dem Ort entladen hatte. Petrus hatte ein Einsehen mit den jungen Leuten und beließ es am Abend bei ein paar Regentropfen, die bald versiegten, und dichtem, malerischem Nebel über den Teichen.

Wie in Proschwitz begann der Abend mit dem “Flötenquartett“ (op. 5 Nr. 1) von Joseph Haydn, nur dass die beiden, dort nicht gespielten Sätze erklangen, wobei wieder der schon versierte junge Mario Bruno mit seinem kantablen Flötenspiel auffiel, der einzige Italiener (der allerdings aus Deutschland angereist war). Aus welchen Gründen auch immer, standen teilweise die gleichen Werke und Komponisten in den gleichen Besetzungen wie in Proschwitz auf dem Programm: Dvořák, Ibert, Boccherini, Poulenc, Lutoslawski, Mendelssohn-Bartholdy, Beethoven und Hindemith, komplett mit allen Sätzen oder den gleichen oder anderen. die in Proschwitz noch nicht zu hören waren. Wer das Glück hatte, beide Veranstaltungen zu erleben, konnte manche Komposition vollständig hören, wenn auch an verschiedenen Tagen, und mitunter auch mit qualitativem Fortschritt bei der Ausführung. Schulhoff und W. F. Bach entfielen.

Dafür wurde Franz Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ im Arrangement von Gustav Mahler mit doppelt besetzter 1. Violine, dreifach besetzter 2. Violine, Viola und Violoncelli ebenfalls doppelt besetzt, und Kontrabass unter der Leitung von Josep Caballé-Domenech aufgeführt. Es heißt, dass es bei mehr als neun Musikern eines Dirigenten bedarf, wobei es auch Ausnahmen gibt. Verändert Mahlers Arrangement bereits dieses so innige Streichquartett, so wirkte hier der viel beschäftigte Matthew Chin als Primarius zu zaghaft. Möglicherweise ist Schubert von ausländischen Musikern schwerer zu verstehen als andere Komponisten. Caballé-Domenech betonte sehr die Todesangst und Todesnähe, fast sich in Sphären verlierend, obwohl in Schuberts Streichquartett weder Tod noch Mädchen programmatisch geschildert werden und es innermusikalischen Gesetzen und Ausdrucksformen folgt. Selbst das Gedicht von Matthias Claudius, das Schuberts Kunstlied zugrunde liegt und dessen Einleitung im 2. Satz variiert wird und dem Quartett den Namen gab, enthält auch Tröstliches. Der Tod stellt sich vor: „…Bin Freund, und komme nicht, zu strafen…“.

Zum Höhepunkt gestaltete sich das „Streichquartett Nr. 8“ von Dmitri Schostakowitsch in voller Länge. Während in Proschwitz nur die ersten beiden Sätze von Marie-Therese Schwöllinger, Lydia Stettinius, Jiliang Shi und Benjamin Lund Tompter eher leicht genommen wurden, erreichten die vier hier eine Reife der Interpretation, die die ganze Tragik und Trauer des unter dem Eindruck der Berichte von der Bombennacht auf Dresden und Schostakowitschs Abschied von Gohrisch, seinem gastlichen Aufenthaltsort in der Umgebung Dresdens, entstandenen Quartetts in ihrer Tragweite erfasste.

Wie in Proschwitz beendete auch hier das „Oktett F‑Dur (op. 80) von Heinrich Hofmann, jetzt mit allen drei Sätzen, die lange Kammermusiknacht, bei der es keine „Längen“ gab.

Zum ABSCHLUSSKONZERT (16.8.) versammelten sich noch einmal Künstler des Moritzburg Festivals und der Festival Akademie auf der Schlossterrasse, um Camille Saint-Saëns „Klavierquintett a‑Moll“ (op. 14) und Felix Mendelssohn Bartholdys „Streichoktett Es‑Dur2 (op. 20) aufzuführen und sich von den treuen, durch nichts zu erschütternden Besuchern zu verabschieden.

Das Moritzburg Festival war das erste Musikfestival in Sachsen, das nach langer, Corona-bedingten Pause wieder zu seinen Konzerten und öffentlichen Proben (wenn auch mit einigen Einschränkungen) einlud. Es war ein gelungenes Wagnis trotz mancher Störfaktoren wie Regen, Gänsegeschnatter, krächzende Krähen, Mückenstiche, überfliegender Hubschrauber und Feuerwehr-Fehl-Alarm. Weder die Ausführenden noch das Publikum ließen sich davon erschüttern, zumal sich die  Akustik auf der Schlossterrasse als erstaunlich gut erwies. Die dicken Türme des Schlosses schirmten vieles ab. Man befand sich wie in einem geschützten „Wohnzimmer“ und doch in der Natur, die nun einmal nicht mehr nur leise ist.

Schließlich überwogen die positiven Faktoren, die perfekt ausgesteuerte Tontechnik, bei der kein Ton verlorenging und in keiner Phase der Eindruck der künstlichen Verstärkung entstand, wenn nicht gerade der Wind hindurchblies, was nur selten geschah. Die Musiker wurden von dem Blick in die idyllische Landschaft inspiriert. Die Besucher waren angetan von der unmittelbaren Verbindung von Musik, Bauwerk und Natur mit dramatischer Wolkenbildung, malerischen Sonnenuntergängen und Sternhimmel. Insgesamt kamen 4000 begeisterte Besucher. Das nächste Moritzburg Festival findet auf jeden Fall statt – drinnen oder draußen (oder beides) – vom 8. ‑ 22.8.2021.

Zuvor wird am Sonnabend, den 22. August 2020, 20 Uhr ein neuer, virtuellen Konzertsaal, die „DREAMSTAGE“ als weltweit zugängliche Spielstätte der Dresdner Musikfestspiele mit einem Konzert des Cellisten Jan Vogler und seiner langjährigen Bühnenpartnerin, der Pianistin Hélène Grimaud, eröffnet. Für ihr Dreamstage-Debüt streamen sie für ein weltweites Publikum aus dem Saal des Bard College in Annandale-on-Hudson/New York ein Programm, das Robert Schumanns „Fantasiestücke“ (op. 73), Johannes Brahms‘ „Sonata“ (op. 38) und Dmitri Schostakowitschs „Sonate für Cello und Piano“ (op. 40) vereint. Hélène Grimaud ist an diesem Abend zum ersten Mal überhaupt in einem Livestream zu erleben. Jan Vogler setzt als Cellist, Intendant und Mitbegründer des Streaming-Startups Dreamstage nun fort, was er mit den 24-Streamings „Music Never Sleeps NYC“ und „Music Never Sleeps DMF“ im März und Mai 2020 bereits erfolgreich „geprobt“ hat. Die Eröffnung dieses virtuellen „Konzerthauses“ ist auch eine Premiere für die Dresdner Musikfestspiele. Ab 2021 sollen regelmäßig die Live-Veranstaltungen in Dresden via Dreamstage einem weltweiten Publikum zugänglich gemacht werden.

 

 

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