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MORITZBURG bei Dresden/ Schlossterrasse/ Kirche u.a.: 31. JAHRGANG DES „MORITZBURG FESTIVALS“

21.08.2023 | Konzert/Liederabende
Moritzburg bei Dresden, Schlossterrasse, Kirche u. a.: 31. JAHRGANG DES „MORITZBURG FESTIVALS“ – 4. ‑ 20.8.2023

Seit 31 Jahren findet alljährlich in dem idyllischen, inmitten einer ausgedehnten Teichlandschaft gelegenen, Ort Moritzburg bei Dresden mit seinem imposanten, wie im Märchen auf einer, über einem Felssporn künstlich aufgeschütteten, Insel im größten der Seen gelegenen, Barockschloss das „Moritzburg Festival“ statt. Mit seinem lebendigen Innovationsgeist gibt es der Kammermusik ein Podium und eine Zukunft. Unter der künstlerischen Leitung von Cellist Jan Vogler, der auch die Dresdner Musikfestspiele leitet, hat es sich weltweit als eines der renommiertesten Kammermusikfestivals etabliert. Seit seiner Gründung 1993 – ähnlich dem amerikanischen Marlboro Festival – hat es einen festen Platz in der sächsischen Kultur- und internationalen Festivallandschaft.

Der dynamische Gründungsgeist der Anfangsjahre ist im Zusammentreffen der verschiedenen Generationen bis heute lebendig geblieben. Er verbindet Nationen und Musikergenerationen. Hochbegabte junge Musikerinnen und Musiker aus allen Ländern der Welt, von denen viele zum ersten Mal nach Moritzburg kommen, musizieren gemeinsam mit erfahrenen, international renommierten Künstlern, von denen manche schon lange dabei sind. Neue Musik trifft auf ältere aus Klassik und Romantik, z. B. Arnold Schönbergs spätes Streichtrio auf Richard Wagners romantisches „Siegfried Idyll“, Dmitri Schostakowitsch auf Wolfgang Amadeus Mozart und Leonard Bernstein auf Antonín Dvořák.

Einladende Spielstätten prägen die besondere Atmosphäre des Festivals. Seit die Nordterrasse des Schlosses als gut geeignete Ausweichmöglichkeit während der Corona-Pandemie entdeckt wurde, ist sie zum beliebtesten Aufführungsort des Festivals geworden, wo auch in diesem Jahr die meisten Konzerte unter freiem Himmel in romantischer Sommernacht-Atmosphäre stattfinden sollten. Die Akustik ist ideal, die Natur wirkt mit, die Vögel zwitschern und eventuelle Regenschauer können dem Enthusiasmus der zahlreichen Besucher (alle Konzerte sind nahezu ausverkauft) nichts anhaben. Leider musste oft die Schlechtwettervariante in der Kirche in Anspruch genommen werden, die jedoch der Qualität der Ausführung und der Stimmung keinen Abbruch tat.

Jeden Abend fand ein anderes spannendes Konzert statt. Eine kleine Auswahl aus den 18 Veranstaltungen mit 30 Solisten soll hier querschnittsartig einen Eindruck von dem breiten Spektrum und der Qualität der Konzerte geben.

Bei allen Konzerten war für sehr viel Abwechslung gesorgt, nicht nur bei den, für die Programme ausgewählten, kontrastierenden Werken, bei denen bekannte und beliebte mit kaum mehr oder noch gar nicht aufgeführten Kompositionen kombiniert und oft wahre Schätze gehoben wurden, sondern auch bei der Besetzung, die von Stück zu Stück wechselt, was unkonventionell für belebende Frische sorgt. Die Musikerinnen und Musiker finden sich erst beim Festival zusammen. Viele kennen sich vorher gar nicht. Ensembles werden nicht eingeladen, so dass jedes Konzert und jedes aufgeführte Stück in eigens dafür ausgewählter Besetzung fernab aller Routine den Charakter einer kleinen „Premiere“ trägt und oft ungewohnte, interessante Herangehensweisen entdeckt werden können. Trotz des eher „spontanen“ Musizierens ist stets große Sicherheit, Teamgeist und oft eine Wiedergabe „wie aus einem Guss“ zu erleben.

Das ERÖFFNUNGSKONZERT (4.8.) mit Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierquartett g‑Moll“ (KV 2478), den „Bachianas Brasileiras“ Nr. 1 für acht Violoncelli von Heitor Villa-Lobos und dem „Streichsextett Nr. 1 B‑Dur“ (op. 1) von Johannes Brahms konnte noch auf der Nordterrasse des Barockschlosses stattfinden und wurde im Rahmen des „ARD Radiofestivals“ live übertragen. Die Ausführenden, vertraute „alte Bekannte“, wie Festivalleiter Jan Vogler, Mira Wang, Leiterin der Moritzburg Festival Akademie, Gründungsmitglied Ulrich Eichenauer und Sindy Mohamed, sorgten gemeinsam mit jungen, talentierten Künstlern, den Teilnehmern eines Cello-Workshops des Kooperationsprojektes „Meisterschüler-Meister“ auf Schloss Neuhardenberg bei Berlin, für  sehr eindrucksvolle musikalische Momente.

 An den nachfolgenden Tagen spielten zwar die Künstler ebenso eindrucksvoll, aber das Wetter nicht mehr mit. Die Konzerte mussten wegen zu hoher Luftfeuchtigkeit und Regenschauern in die Kirche verlegt werden, die ebenfalls über eine gute Akustik und Konzertatmosphäre verfügt. Das betraf auch das KONZERT (6.8.) mit nicht alltäglichen Werken von Claude Debussy, Carl Maria von Weber und Felix Mendelssohn-Bartholdy.

 Mit Musizierfreude und Können begannen die französische Flötistin Magali Mosnier mit ihren aufführungspraktischen Erfahrungen, Sara Ferrández mit Natürlichkeit und dem warmen Klang ihrer Viola sowie die geniale junge belgische Harfenistin Anneleen Lenaerts, seit 2010 Soloharfenistin der Wiener Philharmoniker, die „Sonate für Flöte, Viola und Harfe“, die C. Debussy 1915 mitten im 1. Weltkrieg als dritte und letzte vollendete Sonate eines geplanten Zyklus von „Six sonates pour divers instruments“ schrieb, um sich in bewusster Rückbesinnung und Anlehnung an die damals kaum mehr beachtete Welt der französischen Barockmusik des 18. Jahrhunderts von seinen, durch Krankheit und Krieg ausgelösten, Depressionen zu befreien und auch seiner patriotischen Gesinnung als bewusst französisch empfindender Musiker Ausdruck zu verleihen.

Die drei Musikerinnen trafen genau den Duktus dieser Sonate. Aus einzelnen, wie verloren im Raum stehenden Tönen bauten sie allmählich einen breiten melodischen Fluss auf. Leicht versonnen und doch hellwach spürten sie Debussys ganz persönlicher Intuition nach und gestalteten die Sonate ganz im Sinne ihres spezifischen Charakters mit Transparenz und Frische.

Im ersten Satz, einer Pastorale, in diesem Fall ein Naturstück im Stil eines Prélude non mésuré, fingen sie mit den arabesken Läufen und Verzierungen, aus denen sich die Melodik aufbaut, die romantische Atmosphäre der Naturmythen einer Nymphe Syrinx ein. Im zweiten Satz mit den typisch barocken Rhythmen eines Menuetts, dem beliebtesten französischen Hoftanz des Ancien régime in moderner Transformation, nahm der Dialog zwischen den drei Instrumenten spielerische Züge an und ließ im Finale, einem schnellen Tanzsatz, die spanisch-mediterranen Einflüsse erkennen. In ihrem, wie zufällig wirkenden, aber perfekten Zusammenspiel brachten sie die Sonate, die einen Ausnahmerang im Schaffen Debussys einnimmt, mit einem besonderen Zauber zum Klingen.

 Für das 1819 in einem Dresdner Privatkonzert mit unmittelbarer Wirkung uraufgeführte „Trio für Klavier, Flöte & Violoncello g-Moll“ (op. 63) von Carl Maria von Weber, das bedeutendste Klaviertrio vor Franz Schubert, das teilweise schon an dessen spätere Kammermusik erinnert, aber dennoch allmählich an Beliebtheit verlor und jetzt als Entdeckung wieder großes Interesse fand, gesellten sich zu der Flötistin Magali Mosnier Illia Ovcharenko am Klavier und Jan Vogler, der neben der Leitung der Dresdner Musikfestspiele und des Moritzburg Festivals sowie solistischer Auftritte immer noch Zeit und Energie findet, zu seinem „singenden“ Violoncello zu greifen und sich – bei Bedarf auch spontan – in ein Kammermusik-Ensemble nahtlos einzufügen.

Über dem getragenen, tief melancholischen, düsteren, wehmütigen Grundton, der entsprechend dem Grundthema „Schäfers-Klagelied“ das Trio durchzieht und vom „singenden“ Cello und lebhaft fließendem Klavier mit geheimnisvollen Akkorden immer wieder in die dunkleren Regionen führt, bestimmte die Flöte, das „Instrument der Schäfer“, mit geschmeidigem, betörendem Ton den besonderen Reiz dieses breit gefächerten, romantischen Werkes, wendete den Ausdruck ins Brillante und stimmte freundlich, versöhnlich und optimistisch.

Wie in einem guten Gespräch korrespondierten die drei Instrumente miteinander in der zeittypischen romantischen Verquickung von biographischen Zügen, Liebes-Sehnsucht und Volkslied-Charakter, bei der immer wieder die Melodie eines von Goethe neu getexteten, damals in vielen Varianten verbreiteten Volksliedes, das auch Clemens Brentano in „Des Knaben Wunderhorn“ aufnahm, hindurchscheint, bis es in einem Variationensatz kulminiert.

Fein differenziert, mit Präzision und Frische, ausgewogen und mit vielen Klangschattierungen wurde spielerisch und kraftvoll, liedhaft, tänzerisch und voller Lebensfreude, vehement und mit Feingefühl musiziert, wobei auch die Nähe zum Freischütz anklang. Das Trio begeisterte so sehr, dass am Schluss ein leiser „Nachklang“  aus dem Publikum nicht zu überhören war.

Als Zwanzigjähriger begann Felix Mendelssohn-Bartholdy sein „Streichquintett Nr. 1 A‑Dur“ (op. 18), dem sich Kai Vogler, ein ebenso engagierter Musiker wie sein Bruder Jan Vogler, Violine, Mira Wang, Violine, Sindy Mohamed und Sara Ferrández, Viola, sowie Bruno Philippe, Violoncello mit Enthusiasmus, innerer Harmonie und schöner Gemeinsamkeit wie ein lange eingespieltes Ensemble widmeten, obwohl sie sich – wie alle Kammermusik-Ensembles – erst während des Festivals zusammenfanden. Im gegenseitigen Aufeinander-Hören und sich mit gleichem oder ähnlichem Werkverständnis In-die-Musik-Vertiefen war stets alles im Fluss, schwebend und in ausgewogener Klangfülle, einschließlich des für Mendelssohn so typischen „geisterhaften“ Schwebens von Naturgeistern und Elfen.

Ein weiteres, für die Nordterrasse vorgesehenes KONZERT (8.8.) musste wegen Wind und Kälte ebenfalls in die Kirche verlegt werden, was aber der Qualität der Ausführung keinen Abbruch tat. Mit Musikalität und Leidenschaft, Frische und Präsenz brachten Magali Mosnier mit ihrem perfekten Flötenspiel, Mira Wang mit klangschöner Violine und Sandra Lied Haga, sehr zuverlässig am Violoncello, zwei der „Londoner Trios Nr. 1 C‑Dur und Nr. 3 G‑Dur“ (Hob. IV) zu Gehör, die Joseph Haydn auf seiner zweiten Englandreise für einen dilettierenden Adligen, der selbst komponierte und passabel Flöte spielte, schrieb.

Die drei Musikerinnen spielten die kurzen, lebhaften und im besten Sinne unterhaltsamen Stücke sehr harmonisch und ausgesprochen klangschön, frisch und gegenwärtig und brachten Haydns Einfallsreichtum und seinen untrüglichen Humor in schöner Weise zur Geltung. Ursprünglich für zwei Flöten und Violoncello komponiert, entfalteten die drei Musikerinnen in der hier erklungenen Version den Reiz dieser Trios und sorgten für fülligeren Klang als in der Originalfassung.

Ganz im Element neuerer, temperamentvoller Musik waren Nikolaus Branny am Klavier, Stella Chen, Violine und Bruno Philippe mit seinem Violoncello bei Leonard Bernsteins „Klaviertrio“, das dem begeisterten Publikum besonders gefiel. Bernstein schrieb es als 19jähriger Harvard-Student mit einer Fülle frischer und begeisterter Ideen als eine Melange aus klassischer Musik, Jazz, Blues und jüdischer sowie osteuropäischer Musik, all den typischen Elementen, die später seinen Musikstil so populär machten. Nikolaus Branny führte als Akademieteilnehmer schon sehr sicher und ausdrucksstark das Trio vom Klavier aus an und bot damit ein zuverlässiges Fundament, in das die beiden „gestandenen“ kongenial Musiker einstimmten.

Als drittes Werk des Abends sollte das „Klavierquintett Nr. 1 A‑Dur (op. 5) von Antonín Dvořák erklingen, das nach seiner Uraufführung aus der Öffentlichkeit wieder verschwand. Obwohl noch nicht ganz ausgewogen und mit wagnerischer Leitmotiv-Ästhetik wäre es interessant gewesen, da es Dvořáks typisch optimistischen Grundton zeigt. Im Vorfeld der Aufführung gab es jedoch Probleme, so dass man sich dann doch lieber für das zweite, im Verlauf von 30 Jahren Moritzburg Festival schon „hundertmal“ gespielte „Klavierquintett Nr. 31“ entschied.

Schon oft gehört, aber immer wieder neu erlebt, begeisterte es auch an diesem Abend, vor allem, weil es von Momo Kodama, Klavier, Mira Wang und Stella Chen, Violinen, Sara Ferrández, Viola und Zlatomir Fung, Violoncello, mit so viel Leidenschaft, Enthusiasmus und Engagement musiziert wurde. Wie Stella Chen (Violine) und Sandra Lied Haga gab auch Zlatomir Fung bei diesem Konzert sein Festivaldebüt und fügte sich problemlos in das gemeinsame Musizieren ein.

 

„WIE DES ABENDS SCHÖNE RÖTE“, eine Verszeile aus den „Liebeslieder-Walzern“ (op. 52) von Johannes Brahms, gab dem, für die Nordterrasse des Schlosses vorgesehenen KONZERT (12.8.) mit diesen und den „Neuen Liebeslieder-Walzern“ (op. 65) für Gesangsquartett mit Klavierbegleitung sowie den „Gesangsquartetten“ (op. 31, 64 und 92) den Titel und assoziierte unwillkürlich Serenadenstimmung in lauschiger Abendstimmung mit Sonnenuntergang, zumal diese Kompositionen für die Aufführung im Freien prädestiniert erscheinen, aber „bei Gewitter und Sturm“ musste auch dieses Konzert wieder in die Kirche verlegt werden, obwohl das Konzert am Abend zuvor bei lauer Sommerluft im Freien stattfinden konnte.

Brahms liebte es, am Klavier in beschwingten Rhythmen und Walzermelodien zu schwelgen, was im musikalischen Schwung der aufgeführten Kompositionen seinen Niederschlag fand und Ausführende wie Zuhörer beflügelte. Die Textgrundlage bildet nicht nur bei den „Liebeslieder-Walzern“ (op. 52) und den, aufgrund des großen Erfolges hinzu komponierten, „Neuen Liebeslieder-Walzern“ (op. 65) die Sammlung „Polydora – ein weltpolitisches Liederbuch“ mit Nachdichtungen russischer, polnischer und ungarischer Volkslieder von Georg Friedrich Daumer, einem heute kaum mehr bekannten fränkischen Poeten und Gelehrten, dessen Volksliedübersetzungen Brahms zu dieser beschwingten, im besten Sinne unterhaltsamen und kunstvollen, vor allem aber „zündenden“ und mitreißenden Liebes- und naturlyrischen Gesängen inspirierten.

Dazwischen erklangen heiter und nachdenklich „Drei Quartette“ (op. 31) mit Texten von J. W. v. Goethe („Wechsellied zum Tanze“) und Josef Wenzig mit freundlichem Humor und „Neckereien“ der Gleichgültigen, des Zärtlichen und anderen Liebenden, „Drei Quartette“ (op. 34) mit romantischen Stimmungsbildern neben Daumer von J. O. Inkermann und Friedrich Schiller sowie „Vier Quartette“ (op. 92) nach Hermann Allmers, Friedrich Hebbel und Goethe mit einem heimlichen nächtlichen Liebesabenteuer und melancholischen Gedanken über die Vergänglichkeit. Waren die Texte dieser Miniaturen über Liebe, Gefühle, Eifersucht und Sehnsucht und auch ein bisschen Ironie beim Gesang auch nur schwer zu verstehen, standen sie doch in gedruckter Form zur Verfügung.

Die vier Gesangssolisten Christiane Karg, Sopran, Patricia Nolz, Mezzosopran, Benjamin Bruns, Tenor und Dominik Köninger, Bariton, die schon länger zusammenarbeiten, gestalteten den Abend trotz immer gleicher Besetzung abwechslungsreich und spannend zwischen Vehemenz und volkstümlichem Charakter, leidenschaftlichem Liebesglühen und liebenswürdigem Augenzwinkern. Jeder der Ausführenden setzte sich mit viel Engagement ein, gleich ob zu viert im Quartettgesang, zu zweit oder in den solistischen Passagen. Trotz unterschiedlicher Timbres harmonierten sie in perfekter gegenseitiger Abstimmung, verbanden sich die Stimmen zu einem komplexen Ganzen.

Die Klavierbegleitung, die bei der Uraufführung der „Liebeslieder-Walzer“ von keinen Geringeren als Brahms selbst und Clara Schumann vierhändig ausgeführt wurde, hatten jetzt keine Geringeren als Louis Lortie und sein Schüler Paolo Bressan übernommen, die den Gesang instrumental unterstrichen und die vokalen Intentionen am Klavier auch mit sehr schönem Aus- und Nachklang fortsetzten.

Was so leicht und gefällig anzuhören scheint, ist für die Interpreten mit hohen gesangstechnischen Anforderungen verbunden, die das Gesangsquartett zusammen mit den mitgestaltenden Pianisten virtuos und mit scheinbarer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit meisterte und die kurzen Stücke mit ihrem anspruchsvollen Charakter und ausgeprägter Chromatik mal ernst, mal heiter wie die Liebe selbst, in lebensnaher Atmosphäre erleben ließ.

Christiane Karg führte mit ihrem sauberen Sopran und guter Gesangstechnik das Quartett differenziert und nuancenreich an. Patricia Nolz bereicherte es mit ihrer warmen, wohlklingenden und ausdrucksstarken Mezzosopranstimme. Wie in der Romantik üblich, gaben die hohen Stimmen der beiden Frauen den Ton an, während der Bass mit seiner sicheren Tiefe vor allem bei seiner Solopassage aus der vorwiegend untermalend ergänzenden Funktion heraustreten und Brenjamin Bruns als Tenor mal ernst, mal heiter, mal verhalten, mal kraftvoll mitgestalten konnte.

„Nun, ihr Musen, genug!“ setzte eine Goethe-Vertonung den Schlusspunkt. Für den überaus begeisterten Applaus bedankten sich alle Ausführenden sinnreich mit der Wiederholung von „Nachtigall, sie singt so schön“ aus den „Liebeslieder-Walzern“

Manche Besucherin, mancher Besucher kannte die „Liebeslieder-Walzern“ (nur) mit Chor und/oder hat sie selbst mitgesungen. Brahms tolerierte zwar diese Ausführung, favorisierte aber die Originalbesetzung als Quartett, bei der die genialen Strukturen deutlicher hervortreten können, aber auch hohe Anforderungen an die Ausführenden gestellt werden. Hier war sie eine Bereicherung für die Konzertbesucher.

Ein besonderes Festival-Ereignis ist bei jedem Jahrgang das „PROSCHWITZER MUSIKPICKNICK“ (13.8.) im Schlosspark Proschwitz bei Meißen mit den Teilnehmern der, 2006 gegründeten Moritzburg Festival Akademie, für die die Geigerin Mira Wang als Direktorin verantwortlich zeichnet und in diesem Jahr aus ca. 400 Bewerbungen Musikstudentinnen und -studenten aus 16 Nationen für die zur Verfügung stehenden  41 Plätze ausgewählt hat. Angeleitet von den Festivalkünstlern erarbeiteten die ausgewählten Glücklichen ein intensives Programm aus Kammermusik- und,Orchesterliteratur, das in kammermusikalischen Besetzungen im Proschwitzer Schlosspark bzw. mit dem Moritzburg Festival Orchester (19.8.) im Kulturpalast Dresden (19.8.) präsentiert wurde.

Bei strahlendem Sonnenschein versammelten sich große und kleine Konzertbesucher auf der Wiese des Schlossparks und lauschten Teilen aus Werken bekannter und unbekannter Komponisten des 18.- 20. Jahrhunderts, von Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges über W. A. Mozart, L. Boccherini, G. Rossini, M. Mussorgski und A. Dvorak bis D. Schostakowitsch, W. Schneider, W. Pircher, G. Bacewicz, einer polnischen Komponistin, und – The Beatles. Der Wind spielte zuweilen auch mit – mit den Notenblättern, aber das störte niemand. Obwohl meist nur ein oder zwei Sätze gespielt wurden, dauerte das Konzert über zwei Stunden (mit zwei 15minütigen Pausen), so lang war die Liste der mit Teamgeist und während der Akademie beworbenem Können erarbeiteten aufführungswürdigen Stücke.

Bei den Besetzungen dominierten in diesem Jahr die Streicher mit drei Streichquintetten und einem Streichoktett. Es gab aber auch leistungsstarke Bläser und Bläsergruppen, wie eine Formation mit Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Horn. Eine besondere Auffrischung und Bereicherung erfuhr das Musik-Picknick durch mehrere seltene und scheinbar kuriose Besetzungen, wie ein Quartett für vier Violinen und eins für vier Violoncelli, ein Duo für Violoncello und Kontrabass, eins für zwei Violinen und eins für zwei Trompeten, alles sehr interessante Stücke, die gekonnt ausgeführt, überraschten und gut klangen, einschmeichelnd und klangvoll, mit warmem Ton, melodiös oder temperamentvoll, energisch, mit Vehemenz und manchmal auch ein wenig „schräg“, mit einem Quäntchen Wehmut oder Schalk, vor allem aber schon recht professionell.

Manche jungen Musiker traten mehrfach in unterschiedlichen Formationen auf und bewiesen damit ihre Vielseitigkeit. Als Novum sagten sich die jungen Künstler bei diesem Musik-Picknick auch selbst an, deutsch oder englisch. Man wird sie alle wiedertreffen als Solisten oder in einem Orchester, denn die bei dieser Akademie erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten werden ihnen bei ihrem künstlerischen Weg sehr hilfreich sein.

Mit „MORITZBURG FÜR ALLE“ lockte ein ORCHESTERKONZERT (19.8.) in den Kulturpalast Dresden mit dem – wie in jedem Jahr – neu formierten Moritzburg Festival Orchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Josep Caballé Domenech, der es auch in dieses Mal wieder verstand, die Teilnehmer der Moritzburg Festival Akademie mit ihrer sehr unterschiedlichen Ausbildung und Mentalität bei Werken, die berühmte Komponisten aus Deutschland und Böhmen für England und Amerika schrieben, zu einem sehr frischen, lebendigen, gut differenzierten Orchesterspiel zu einen, bei dem zuweilen auch erstaunliches solistisches Können aufmerken ließ.

Für London schrieb Carl Maria von Weber nur wenige Wochen vor seinem Tod die romantische Oper „Oberon“, die dort mit enthusiastischem Jubel aufgeführt wurde. Inzwischen verblasste ihr Ruhm wegen der Handlung aus magischem Feenwesen, mittelalterlichem Rittertum und Motiven aus „Tausendundeiner Nacht“, aber die Ouvertüre, die die Handlung konzentriert und effektvoll vorwegnimmt, avancierte zum Publikumsliebling. Die jungen Musiker vertieften sich mit Hingabe in die Musik und gaben ihr Bestes. Obwohl sie „von allen Enden der Welt“ kommen, erreichte der Orchesterklang eine nahezu professionelle Homogenität. Die Bläser hatten es bei extrem schwülem Wetter nicht leicht, was sich bei minimalen Unebenheiten des Horns zeigte, die aber sehr schnell „abgefangen“ wurden. Allgemein meisterten alle Bläser ihre Einsätze sehr gut, allen voran die Flöte. Nach anfänglichem verhalten-vorsichtigem Spiel steigerten sich auch die Streicher zu entsprechender Kongenialität.

Max Bruch schrieb sein selten zu hörendes „Konzert für zwei Klaviere und Orchester as‑Moll“ (op. 88A) aus der Not heraus infolge von Erstem Weltkrieg und Inflation für ein amerikanisches Klavierduo, die beiden Schwestern Sutro, obwohl er das Klavier gern als „öden Klapperkasten“ bezeichnete. Davon war im Konzert jedoch nichts zu spüren. In ungewöhnlicher Tonart war ein sehr ansprechendes, im besten Sinne schöngeistig unterhaltsames und ausdrucksstarkes spätromantisches Konzert in verschiedensten Stimmungen und mit zahlreichen musikalischen Einfällen zu hören, das der versierte Louis Lortie und die junge Tiffany Poon, beide schon öfters beim Moritzburg Festival mit dabei, an zwei Steinway-Flügeln im kongenialen Zusammenklang mit dem Orchester gestalteten.

Für den begeisterten Applaus, der vor allem den Ausführenden galt, aber auch der Freude über das nur noch sehr selten zu hörende Konzert Ausdruck verlieh, bedankten sich die beiden Solisten vierhändig mit einem „Slawischer Tanz“ von Antonín Dvořák, einer perfekten Einstimmung auf seine „Sinfonie Nr. 7 d‑Moll“ (op. 70), die nach der Pause erklang.

Hier bot das sehr junge Orchester ebenfalls eine reife Leistung, auch hier gelang es Caballé Domenech, die jungen Musiker mit ihren erstaunlichen individuellen Leistungen zu Teamgeist, einem professionellen Miteinander im Orchester und einer gültigen Wiedergabe der Sinfonie zu vereinen, die sich mit differenziert und sensibel gestaltetem “Adagio“, tänzerisch beschwingtem „Scherzo“ und schwungvoll mitreißendem „Finale“ hören lassen konnte.

Mit einer passenden Zugabe, einem „Slawischen Tanz“ von Dvořák, dieses Mal in Orchesterfassung, bedankten sich Dirigent und jugendliches Orchester für den herzlichen Applaus.

Mit dem ABSCHLUSSKONZERT (20.8.) in der Kirche, bei dem I. Strawinsky („Drei Stücke für Streichquartett“), J. Suk („Klavierquartett Nr. 1 a‑Moll“ (op. 1) und F. Mendelssohn-Bartholdy („Streichoktett Es ‑Dur“ (op. 20) auf dem Programm standen, ging das auch in diesem Jahr sehr erfolgreiche Moritzburg Festival mit seinen hochwertigen Interpretationen in der Atmosphäre des märchenhaften Schlosses, der im Baustil angepassten Kirche, der Natur und des beschaulichen Ortes Moritzburg, das Musiker und Gäste gleichermaßen immer wieder in seinen Bann zieht, zu Ende. Das Moritzburg Festival im nächsten Jahr sollte man sich deshalb schon vormerken.

Ingrid Gerk

 

 

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