Moritzburg bei Dresden, Schlossterrasse, Kirche, Schlosspark Proschwitz u. a.: 32. JAHRGANG DES „MORITZBURG FESTIVALS“ – 2. ‑ 18.8.2024
Schloss Moritzburg
Vor 32 Jahren (1993) wurde von drei führenden Musikern der Sächsischen Staatskapelle in dem idyllischen, inmitten einer ausgedehnten Teichlandschaft gelegenen, Ort Moritzburg nahe Dresden mit seinem imposanten, wie im Märchen mitten im See gelegenen Barockschloss das „Moritzburg Festival“ ähnlich dem amerikanischen Marlboro Festival gegründet, um der Kammermusik ein Podium und eine Zukunft zu geben. Seither findet es unter der künstlerischen Leitung von Jan Vogler, Gründungsmitglied, Cellist und Intendant der Dresdner Musikfestspiele, jedes Jahr statt und gilt inzwischen mit seinem lebendigen Innovationsgeist weltweit als eines der renommiertesten Kammermusikfestivals. Es hat seinen festen Platz in der sächsischen Kultur- und der internationalen Festivallandschaft.
Der dynamische Gründungsgeist der Anfangsjahre ist im Zusammentreffen der verschiedenen Generationen bis heute lebendig geblieben. Er verbindet Nationen und Musiker-Generationen, hochbegabte junge Musikerinnen und Musiker und erfahrene, international renommierte Künstler aus allen Ländern der Welt. In diesem Jahr kamen 36 Musiker und Musikerinnen aus 17 Nationen, viele zum ersten Mal. Andere sind schon lange dabei, einige von Anfang an. Sie musizierten gemeinsam klassische, romantische und neue Musik, bekannte und unbekannte Werke der Kammermusik.
Jeden Abend fand ein abwechslungsreiches Kammerkonzert in besonderer Atmosphäre statt, vorwiegend auf der akustisch idealen Nordterrasse des Schlosses, die während der Corona-Zeit als gute Alternative zu den Sälen im Schloss entdeckt und nun zum beliebtesten Aufführungsort des Festivals wurde. Unter freiem Himmel mit romantischem Sommernacht-Flair verspricht es einen besonderen Kunstgenuss im Zusammenwirken von Musik, Architektur und Parkgestaltung. Die Natur wirkt mit, die Vögel zwitschern (und auch die Wildgänse schnattern zuweilen mit). Eventuelle Regenschauer können dem Enthusiasmus der überaus zahlreichen Besucher nichts anhaben. Dennoch musste zuweilen die Schlechtwetter-Variante in der architektonisch interessanten, ebenfalls akustisch günstigen Kirche, wo ursprünglich nur einige Konzerte vorgesehen waren, in Anspruch genommen werden, was jedoch der Qualität der Ausführung und der Stimmung keinen Abbruch tat.
Aus 18 Veranstaltungen mit 30 Solisten kann hier nur querschnittartig eine kleine Auswahl an Konzerten betrachtet werden, um einen Eindruck von dem breiten Spektrum und der Qualität zu geben. Nicht nur hinsichtlich der für die Programme ausgewählten, kontrastierenden Werke, bei denen bekannte und beliebte mit kaum mehr oder noch gar nicht aufgeführten Kompositionen kombiniert und oft wahre Schätze gehoben wurden, sondern auch bei der Besetzung, die von Stück zu Stück wechselt, war unkonventionell für belebende Frische und viel Abwechslung gesorgt.
Die Musikerinnen und Musiker finden sich erst vor Ort zusammen. Viele lernen sich erst in Moritzburg kennen. Ensembles werden nicht eingeladen, so dass jedes Konzert und jedes aufgeführte Stück in eigens dafür ausgewählter Besetzung fernab aller Routine den Charakter einer kleinen „Premiere“ hat, wobei oft ungewohnte, interessante Herangehensweisen entdeckt werden. Trotz des eher „spontanen“ Musizierens ist stets große Sicherheit, Teamgeist und oft eine Wiedergabe „wie aus einem Guss“ zu erleben.
Das ERÖFFNUNGSKONZERT (2.8.) mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Klavierquartett Es‑Dur“ (KV 493), „Die Vier Jahreszeiten“ für acht Violoncelli von Astor Piazolla mit Festivalleiter Jan Vogler am Cello und Teilnehmern des Meisterkurses Neuhardenberg (bei Berlin) sowie dem „Klarinettenquintett h-Moll“ (op. 115) von Johannes“ Brahms und das Konzert am darauffolgenden Abend konnten noch auf der Schlossterrasse stattfinden, das nächste KONZERT (4.8.) musste wegen sehr hoher Luftfeuchtigkeit nach kurzem, aber heftigem Gewitter in die Kirche verlegt werden, schon der Instrumente wegen.
Fünf Musikerinnen und Musiker aus vier verschiedenen Nationen, Kristīne Balanas, Violine, und Margarita Balanas, Violoncello, aus Lettland, Kai Vogler, Violine aus Dresden, die franösisch-ägyptische Bratescherin Sindy Mohamed und der Holländer Pieter Wispelwey, Violoncello, musizierten eines Sinnes und in wunderbarer Harmonie das „Streichquintett E‑Dur Nr. 5“ (op. 11) mit dem bekannten und beliebten „Menuett“ im 3. Satz von Luigi Boccherini (1743-1805), dem italienischen Zeitgenossen Mozarts. Sie musizierten in idealem Zusammenspiel, lyrisch und temperamentvoll mit einer Fülle an Wohlklang vom Anfang bis zum Schluss.
Mit Spannung erwartet, folgte das „Trio für Violine, Klarinette & Klavier“ von Aram Chatschaturjan (1903-1978), dem einst in Ost und West gefeierten armenischen Komponisten, der vor allem mit seinem viel gespielten „Säbeltanz“ aus dem Ballett „Gajaneh“ populär wurde, dessen Opern und Ballette jetzt jedoch weniger aufgeführt werden und dessen Orchesterwerke schon immer seltener zu hören waren. Seine Musik lebt vom impressionistischen Farbenreichtum und folkloristischen Kolorit seiner armenischen Heimat in klassischer Formsprache.
Sein Klarinettentrio entstand 1932 während seiner Studienzeit am Moskauer Konservatorium und trägt bereits die Züge seines spezifischen Kompositionsstils. Seine individuelle Emotionalität war den wuchtigen Anfangstakten von Wu Qian am Klavier und der kühlen Sachlichkeit von ihr und Alexander Sitkovetsky, Violine, vor allem im improvisatorisch anmutenden rhapsodischen 1. Satz, wo eher Lautstärke dominierte, kaum spürbar. Jeder widmete sich virtuos seinem Part ohne verbindende Gemeinsamkeit. Die Klänge wollten einfach nicht so recht zueinander passen.
Nur der Klarinettist Raphaël Sévère hatte das richtige Gespür für Chatschaturjans besondere Mentalität und ließ sie mit ihren nationalen Besonderheiten armenischer Musik vor allem im Scherzo artigen 2. Satz, der vom charakteristischen Klang der Klarinette lebt, in einer Solopassage und im Finale mit der Folge von Variationen ausdrucks- und gefühlvoll lebendig werden. Das Publikum war begeistert.
Anton Bruckner schuf zwischen seiner 5. und 6. Sinfonie ein „Streichquintett F‑Dur“ nach Mozarts Vorbild – neben seinem Streichquartett in c‑Moll eines seiner beiden einzigen Kammermusikwerke, die – wie auch seine Sinfonien – von Umbrüchen und Umarbeitungen geprägt waren. Dennoch ist es ein großer Wurf mit raffinierter motivischer Verarbeitung, spannungsreichen Kontrasten und farbiger Harmonik, ein Meisterwerk, das meisterhaft von Alexander Sitkovetsky und Kristīne Balanas, Violinen, Maxim Rysanov und Ulrich Eichenauer, Viola sowie Pieter Wispelwey, Violoncello, gespielt wurde.
Sie brachten Bruckners Streichquartett in ausgeglichener Gemeinsamkeit zum Klingen, musizierten mit ausgewogenem dichtem Klang, feiner Melodik und Tongebung, schönen solistischen Passagen von zweiter Viola (Eichenauer) und erster Violine (Sitkowetsky), arbeiteten schöne Melodiebögen heraus, ließen manchen Satz grandios und das Streichquartett am Schluss sehr lange, schön und leise ausklingen. Die fünf Musizierenden waren ganz auf einer Wellenlänge, fanden zu interessanten Klangwirkungen von bizarrer Schönheit zusammen und spürten Bruckners Klangwelt mit viel Einfühlungsvermögen nach.
Ein weiteres KONZERT (7.8.) musste ebenfalls von der Nordterrasse in die Kirche verlegt werden. Es begann mit einer unbekannten, doch recht ansprechenden Komposition eines hier weitgehend unbekannten Komponisten, des Italieners Richard Drigo (Riccardo Drigo) (1846-1930) aus Padua, einst ein bekannter Dirigent und Komponist von Opern und Ballettkompositionen, der über Jahrzehnte in St. Petersburg an der italienischen Oper und danach am berühmten Marijnsky-Theater wirkte, und nach der Oktoberrevolution nach Padua zurückkehrte. Sindy Mohamed, Viola, Jan Vogler, Violoncello, und Martin James Bartlett, Klavier, widmeten sich der melodiösen Schönheit dieses ansprechenden Trios im spätromantischen Stil und mit leichten Anklängen an schöngeistige Unterhaltung mit viel Stilgefühl, Wohlklang und Charme.
Mit herzhaften Klängen begann danach das „Streichquintett Nr. 6 Es‑Dur (KV 614) von Wolfgang Amadeus Mozart für zwei Violinen mit der, während des Festivals viel beschäftigten, Kristīne Balanas und Alexander Sitkovetsky, doppelt besetzter Viola mit Sindy Mohamed und Ulrich Eichenauer und Violoncello von Margarita Balanas. Es ist mehr, als nur schöngeistige musikalische Unterhaltung auf allerhöchstem Niveau. Bei Mozarts Musik ist es eigentümlich, dass man während der Aufführung eines seiner Werke oft den Eindruck hat, Mozart würde plötzlich selbst den „Zauberstab in die Hand nehmen“ und die Ausführenden leiten, wie ein Rezensent in früheren Jahren schrieb. Ganz gleich, wie es begonnen hat, ging auch hier die herbere Tongebung in die für Mozart typischen geschmeidigen Klänge über. Wie in einer schöngeistigen Unterhaltung kommunizierten die fünf Instrumentalisten miteinander, hielten Zwiesprache, heiter, fröhlich, aber auch nachdenklich und zuweilen auch leidenschaftlich und mit Vehemenz
Sehr energisch begann in der gleichen Tonart auch das „Klaviertrio Nr. 2 Es‑Dur“ (op. 100, D 929) von Franz Schubert, vor allem bei den ersten Takten am Klavier unter dem allzu kraftvollen Anschlag von Wu Qian, die allerdings im weiteren Verlauf der Aufführung auch feinere, leisere Töne mit sehr geläufigen Fingern anzuschlagen vermochte und mit flüssigen Läufen aufwartete. Kai Vogler, ein hervorragender Violinist und Pieter Wispelwey, ein ebensolcher Cellist, musizierten mit ihr wie ein eingespieltes Team – ohne Noten (!) -, obwohl sie sich doch nach alter Sitte erst beim Moritzburg Festival zum gemeinsamen Musizieren zusammengefunden hatten.
Es gibt zahlreiche Interpretationen dieses Trios, sehr feinfühlige, liebliche, wo sich die Musiker gegenseitig die Bälle zuspielen und Wert auf Geschmeidigkeit und fließende Melodiebögen legen. Hier kamen auch die weniger lieblichen und elegischen Passagen, die an Schuberts Seelenleben und Empfindungen denken ließen, zum Ausdruck. Es wurde flüssig, zügig, mitunter vielleicht etwas zu kräftig und zu temperamentvoll und auch etwas zu laut gespielt.
Es gab vehemente, ausdrucksstarke und temperamentvolle Passagen (3. Satz), stark emotional geprägt, und weniger lieblich, aber hier traten die internen Strukturen klar hervor, wurde man sich Schuberts genialem Ideenreichtum bewusst, der sich im kontrastreichen Gegen- und Miteinander der Instrumente, die einzeln aus dem Gesamtklang heraus in den Vordergrund traten und wieder zusammenfanden und sich gegenseitig ergänzten, bewusst. Eine schöne Passage folgte auf die andere. Über dieser vielleicht etwas ungewohnten, aber interessanten Interpretation lag ein Hauch von Frische und Sachlichkeit – eine ein wenig andere Lesart, anders als gewohnt, aber durchaus interessant und eindrucksvoll.
Einen besonderen Kunstgenuss in der Verquickung von Musik, Baukunst, bildender Kunst und Natur versprach das „DOPPELKONZERT“ (10.8.) in der Kirche Moritzburg und auf der Nordterrasse mit Besichtigung der Prunkräume des Barockschlosses in der 120minütigen Pause, einschließlich des prächtigen Monströsensaales, wo das Moritzburg Festival einst begann.
Am Anfang dieses Konzertes in der Kirche stand „Die Kunst der Fuge“ (BWV 1080) von Johann Sebastian Bach. Dieses umfangreiche, fragmentarisch überlieferte Werk, das mit seinen Fugen, Doppelfugen, Spiegelfugen usw., in einer eigenen Partiturform notiert, mehr als nur das Aufzeigen der Möglichkeiten polyphoner Stimmführung bei der Komposition von Fugen ist, hat schon immer die Gemüter bewegt. Die einen betrachteten es als eines der bedeutendsten Werke der musikalischen Weltliteratur, das wie Bachbiograph J. N. Forkel 1802 schrieb, „für die große Welt zu hoch“ sei, für andere galt es vor allem im 20. Jahrhundert als Studienobjekt einer theoretisch-mathematischen Kompositionsanleitung. Bis heute bietet es Anlass zu vielfältigen Spekulationen und ist Gegenstand werkanalytischer, musikgeschichtlicher und quellenkritischer Untersuchungen, die sich vor allem mit der Frage der vorgesehenen Instrumente beschäftigen.
Es gibt zahlreiche Bearbeitungen, um dieses Werk „zum Klingen“ zu bringen: für Orgel, für zwei Klaviere, mehrere für Kammerorchester und abwechslungsreiche für unterschiedliche Instrumente in wechselnden Besetzungen und Gruppierungen wie Soloinstrument, Duo, Streichquartett, Quintett, Oktett usw., die alle ihre Vorzüge und Nachteile haben.
Hier wurden aus dem Zyklus von vierzehn Fugen und vier Kanons nur Teile der Originalpartitur gespielt (ca. 60 min), für die Bach bereits die Stimmen ausgeschrieben hatte. Die Klangwirkung war überwältigend. Alexander Sitkovetsky und Kristīne Balanas, Violinen, Lars Anders Tomter, Viola und der kurzfristig eingesprungene Henri Demarquette, Violoncello, musizierten unter der internen, unauffälligen Führung von Tompter sehr ausgewogen, in wie selbstverständlicher Ausgeglichenheit und Gemeinsamkeit und brachten Bachs Vermächtnis in exklusiver Weise zum Klingen, wie es meines Erachtens noch bei keiner Bearbeitung zu hören war.
Bach selbst ist eben nicht zu „toppen“. In ungeahnter Klangfülle ergoss sich ein Reigen schöner Melodien mit Hilfe kunstvoll verarbeiteter, ineinander verschlungener, mit- und gegeneinander geführter Stimmen, mal die eine, mal die andere hervorhebend, voller Vitalität und Dynamik und einem ausgewogenen Maß an Lautstärke, aber auch innerer Harmonie, die auf den modernen Menschen beruhigend wirkt.
Hier standen nicht nur die Strukturen, sondern auch die klangliche Schönheit im Vordergrund. In dieser, von Verständnis und Einfühlungsvermögen in diese musikalische Welt getragenen, Interpretation erschloss sich die „Kunst der Fuge“ nicht nur in vielen Variationen polyphoner Verarbeitung, sondern auch Klangschönheit, die mit diesen Mitteln erreicht werden kann. Es ist eben nicht nur trockene Theorie, sondern eine „Anleitung“, mit den Mitteln strenger Kunstformen, auch schöne Klanglichkeit zu erreichen. Der Schluss bleibt bekanntlich offen, da Bach bei Beginn der großen, alles zusammenfassenden Fuge über die Tonfolge„B-A-C-H“ vom Tod überrascht wurde.
Eingestimmt durch den anschließenden Weg zum Schloss und Besichtigung der umfangreichen Prunkräume mit ihrer opulenten barocken Innenausstattung, folgte auf der Nordterrasse in lauer Abendluft die „Sonate Nr. 5 Es‑Dur“, die der zwölfjährige Gioachino Rossini zusammen mit fünf weiteren Sonaten innerhalb von drei Tagen auf dem idyllischen Landsitz der Eltern seines Kontrabass spielenden Freundes in ausgelassener Stimmung komponierte und mit seinem Freund und dessen beiden Geige bzw. Cello spielenden Cousins aufführte.
Obwohl er später in das Autograph schrieb: „sechs schreckliche Sonaten … im äußerst jugendlichen Alter geschrieben, als ich noch nicht einmal Harmonielehre-Unterricht hatte“, vermitteln sie immer wieder heiter-ungezwungene Stimmung und faszinierte mit ihrer Frische und eigenwilligen Ideen, aber auch der ungewöhnlichen Dichte und Reife des Geniestreichs eines Zwölfjährigen. Rossini hat wahrscheinlich stark untertrieben, wenn er schrieb: „… in elender Weise aufgeführt … mit mir an der zweiten Violine … ich war der schlechteste“. Mira Wang, Violine, war gewiss nicht die Schlechteste – ganz im Gegenteil! Mit dem etwas zurückhaltenden Chad Hoopes, Violine, dem bewährten Henri Demarquette, Violoncello, und Alexander Edelmann, Kontrabass, entstand eine mit sichtbarer Freude ausgeführte, launig-spritzige Wiedergabe. Wenn da auch einmal die Graugänse hinein schnatterten und die Geräusche einer Party hinter dem Teich mitunter ein wenig störten, blieb doch der wichtigste Eindruck der einer heiteren, musikalisch gestalteten Sommernacht.
Heitere Ausstrahlung vermittelte auch das „Streichsextett d-Moll“ (op. 70) „Souvenir de Florence“ von Pjotr Iljitsch Tschaikowski, das in Florenz in einer für den Komponisten frohen und erfüllten Zeit entstand. Hier gesellten sich zu Chad Hoopes, der das Stück solistisch eröffnete, und Mira Wang Lars Anders Tomter und Sindy Mohamed, Viola, Jan Vogler, Violoncello und Margarita Balanas, Violoncello, hinzu. Sie brachten die freudvollen Impressionen der ambitionierten kammermusikalischen Komposition mit melodischem Charme und deutlichen Strukturen ausdrucksstark und mit Vehemenz zum Klingen – ein schöner heiterer Abschluss dieser langen, kunst- und erlebnisreichen Sommernacht.
Am nächsten Vormittag lud das traditionelle PROSCHWITZER MUSIK-PICKNICK (11.8.) in den Park des Schlosses Proschwitz bei Meißen mit den Teilnehmern der, 2006 gegründeten, von der Geigerin Mira Wang geleiteten, Moritzburg Festival Akademie ein. Junge Musikerinnen und Musiker aus allen Ländern der Welt präsentierten ein unter Anleitung der Festivalkünstler erarbeitetes Programm aus Kammermusik- und Orchesterliteratur, das bei schönstem Sommerwetter in den verschiedensten kammermusikalischen Besetzungen präsentiert wurde.
Es gibt keine Konzertbestuhlung. Die Konzertbesucher lagern ungezwungen auf der Wiese mit eigener Campingausrüstung oder Decke – ein echtes Picknick, wobei zuweilen das „pick“ (Essen), das „nick“ (Schläfchen) aber kaum zu beobachten war, so spannend waren die Darbietungen der jungen Künstler.
Die Bandbreite reichte von Wolfgang Amadeus Mozarts einziger, für den kaiserlichen Hof geschriebenen Bläsermusik, der „Serenade“ (KV388), um eventuell dort eine Anstellung zu erlangen, über das „Streichsextett“ aus „Capricio“ von Richard Strauss, bekannte und unbekannte Kompositionen von Erwin Schulhoff, Sergeij Prokofjew, August Klughardt, Manuel de Falla, Samuel Coleridge-Taylor, Niels Wilhelm Gade und der ungewöhnlichen Musik von Witold Lutoslawski bis zu einer minimalistischen Jazz-Improvisation in rasantem motorischem Rhythmus für Flöte, Violoncello und Kontrabass von einer jungen Akademie-Teilnehmerin, die zuvor in einem „klassischen“ Stück, der „Suite in Olden Style (op. 24) des französischen Komponisten Vincent d’Indy, mitgewirkt hatte. In ungewöhnlicher Besetzung für Violoncello und Kontrabass erklang auch ein „Duett“ von Gioachino Rossini, dargeboten mit Charme und Können.
Obwohl meist nur einzelne Sätze aus Serenade, Sonate, Streichsextett Streichoktett, Bläserquintett, Klarinettenquintett usw. erklangen, waren mehr als drei Stunden (mit Pausen) angefüllt mit guter Musik, sehr ernster und heiterer. Eine schöne Ergänzung war die neu eingeführte „Pausenmusik“, bei der zwei junge Bläser fröhlich-volkstümliche Weisen zum physischen und psychischen „Sammeln“ der Besucher am Beginn und nach den beiden Pausen boten.
Die ausführenden jungen Musikerinnen und Musiker waren ohnehin sehr konzentriert. Sie zeigten in diesem Jahr ein ungewöhnlich hohes Leistungsniveau. Allein, in welch hoher Qualität das „Streichoktett C‑Dur (op. 7) von George Enescu dargeboten wurde, verlangt höchste Bewunderung. Als es zum ersten Mal aufgeführt werden sollte, brachen die Musiker damals nach nur wenigen Proben wegen zu großer Schwierigkeiten ab. Die jungen Musiker studierten es jetzt in der kurzen Probenzeit während der Moritzburg Akademie bis zu Ende ein und führten das äußerst schwierige Werk in ausgezeichneter Qualität auf.
Festivalleiter Jan Vogler trifft bei seinen Auftritten als Solo-Cellist mit den namhaften Orchestern der Welt oft ehemalige Teilnehmer der Festival Akademie als Orchestermitglieder wieder, die sich noch begeistert an ihren Aufenthalt in Moritzburg erinnern.
Höhepunkt für alle 36 Teilnehmer der Moritzburg Festival Akademie war wie in jedem Jahr das gemeinsame Orchesterkonzert „MORITZBURG FÜR ALLE“ (17.8.) im Kulturpalast in Dresden, der mit seinen 1760 Plätzen vielen Besuchern die Möglichkeit bietet, am Moritzburg Festival teilzunehmen. Auf dem Programm stand Vertrautes und Neues, Traditionelles und in die Zukunft weisendes, ausgewählt für die jungen Leute mit ihren unterschiedlichen Interessen, Vorlieben, Mentalität und Tradition, in der sie aufgewachsen sind.
Obwohl sich die jungen Musiker aus den unterschiedlichsten Nationen, Schulen und Ausbildungsmöglichkeiten kurzfristig zusammenfinden und naturgemäß nicht die perfekten Einsätze eines Spitzenorchesters bringen können (die selbst bei einem Spitzenorchester nicht immer selbstverständlich sind), war doch ein sehr erfolgreiches Zusammenwirken und hohes Leitungsniveau mit dem Moritzburg Festival Orchester zu erleben, dem sehr sorgfältige, ernsthafte Probenarbeit unter der zielstrebigen und verständnisvollen Leitung des spanischen Dirigenten Josep Caballé Domenech, der diese Konzerte schon viele Jahre leitet, vorausging.
Das führte auch bei der eingangs musizierten Ouvertüre zur Oper „Cosi fan tutte“ von Wolfgang Amadeus Mozart in einem frischen, lebendigen, gut differenzierten Orchesterspiel bei flotter Tempowahl und perfektem individuellem Können jedes Einzelnen zu einem erfolgreichen Zusammenwirken der Teilnehmer. Es wurde sehr sauber und mit der richtigen Diktion musiziert. Wenn auch kurzfristig das Tempo etwas verzögert oder die Bläser ein wenig zu schnell erschienen, wurde der positiven Gesamteindruck nicht getrübt.
Bei „Sound and Fury“, einer 2019 komponierten, in sechs Abschnitte unterteilten Komposition ließ sich die sehr erfolgreiche, 1980 in England geborene, in den USA lebende Komponistin Anna Clyne von Shakespeares „Macbeth“ und der „Sinfonie Nr. 60 von Joseph Haydn inspirieren. Es ist ein fantasievolles Stück voller suggestiver Kraft, emotional und meditativ, mit abwechslungs- und finessenreicher Orchestrierung, bei dem rhythmische Elemente und zarte Melodielinien in harmonischer Entwicklung, fast romantisch anmutend, im Widerstreit mit dynamisch aufgeregten, nervösen Reizungen für Macbeths innere Zerrissenheit zwischen Machtanspruch und Skrupel und auch fast schwermütig anmutenden Klängen einsetzt sind. Vielleicht ist das der Schlüssel einer modernen Musikentwicklung, behutsam gute Traditionen aufzugreifen und zu eigenem starkem Ausdruck zu verdichten.
Im fünften Abschnitt wurde Macbeths Monolog „Tomorrow, and tomorrow …“ von einem der jungen Teilnehmer mit normalen (nicht gerade gut verständlichen) englischen Worten (leider keine moderne Art von Parlando) zur Musik zitiert, die stark emotional weiterging und mit einem perfekten gemeinsamen schlagartigen Schlussakkord des jungen Orchesters endete.
Jung war auch Richard Strauss, als er gerade einmal 18jährig sein „Konzert für Horn & Orchester Nr. 1 Es‑Dur“ (op. 11) schrieb und seinem Vater, dem bekannten Hornisten und Mitglied des Münchner Hofopernorchesters, Franz Strauss, zum 60. Geburtstag widmete. Interpretiert wurde es jetzt von einem erfahrenen Solisten, dem versierten Stefan Dohr, der sich mit Leidenschaft und musikalischem Gespür, Feingefühl und strahlendem, gut differenziertem Klang und auch feinem Piano ausdrucksvoll dem Werk widmete und mit den jungen Musikern und dem Dirigenten im Einklang, die oft die melodischen Linien weiterführten, musizierte.
Nach der Pause erklang noch einmal Richard Strauss. Jan Vogler, ein Allround-Genie, der neben der Leitung zweier Festivals auch noch Zeit und Kraft für solistische Auftritte mit seinem Cello findet, machte die Konzertbesucher mit der wenig bekannten, aber hörenswerten „Romanze für Violoncello & Orchester F‑Dur“ des jungen Richard Strauss bekannt, die in unmittelbarem Umfeld zum Hornkonzert für einen Kollegen seines Vaters, einen Cellisten des Hofopernorchesters, 1887 entstand und nach einigen erfolgreichen Aufführungen unveröffentlicht und unbeachtet blieb, bis sie erst 1986 posthum publiziert und von Jan Vogler aufgeführt wurde, der sie auch jetzt mit ihrem spätromantischen Klangzauber zum Klingen brachte und die sanglichen Melodiebögen in kongenialem Zusammenwirken mit dem Orchester entfaltete – eine sehr erfreuliche Entdeckung in adäquater Interpretation.
Eine lyrische Musiksprache unserer Zeit begegnete dem Zuhörer in dem augenzwinkernden, im neoklassizistischen Stil geschriebenen Stück „Score“ des Grammy-nominierten und meist aufgeführten aktuellen Tonschöpfers Amerikas, Jonathan Leshnoff (*1973). ein sehr vitales Werk, bei dem zwei musikalische Ideen, eine Folge von schnellen Arpeggien, die munter durch die verschiedenen Holzbläser-Gruppen wandert, und eine beschwingte Melodie in einem virtuosen Wechselspiel konkurrieren, bis sie zum Schluss miteinander verschmelzen.
Mit Mozart begann das Konzert und mit Mozart wurde es auch beschlossen. Den bekrönenden Abschluss bildete die Sinfonie Nr. 35 D‑Dur (KV 385), die „Haffner-Sinfonie“, die W. A. Mozart 1782 anlässlich der Erhebung des Salzburger Bürgermeisters Sigmund Haffner in den Adelsstand schrieb und aus einer ursprünglichen Serenade schließlich in eine Sinfonie umwandelte, nicht zu verwechseln mit der bekannten „Haffner-Serenade (KV 250), die er zuvor für die Hochzeit von Haffners Schwester 1776 komponierte.
Die jungen Musiker vertieften sich mit Hingabe in die Musik und gaben ihr Bestes. Sie erreichten einen Orchesterklang von fast professioneller Homogenität und Kongenialität mit guter Balance zwischen Streichern und Bläsern, sauber ausgeführten Details und einer ansprechenden Gesamtkonzeption. Caballé Domenech gelang es, mit seiner inspirierenden Leitung, die jungen Musiker mit ihren erstaunlichen, aber sehr individuellen Leistungen zu Teamgeist, professionellem Miteinander im Orchester und einer gültigen Wiedergabe der Sinfonie zu vereinen, die sich, differenziert und sensibel gestaltetet, hören lassen konnte.
Für den begeisterten Applaus bedankten sich Dirigent und Orchester mit Rossini als Zugabe.
Mit dem ABSCHLUSSKONZERT, das traditionsgemäß am Vormittag des letzten Festivaltages (18.8.) in der Kirche stattfand, ging das Moritzburg Festival mit dem „Klavierquartett c‑Moll“ (op. 13) von Richard Strauss, der Uraufführung eines „Streichoktetts“ von B. Scheer und dem „Streichoktett Es‑Dur“ (op. 20) von Felix Mendelssohn Bartholdy zu Ende. Ca. 6300 Besucher haben ausgewählte Kammermusik in der zauberhaften Atmosphäre von Architektur, Kunst und Natur genossen. Das nächste Moritzburg Festival findet in der Zeit vom 8. bis 24.8.2025 statt, man sollte es sich schon vormerken.
Ingrid Gerk