PHANTOM OF THE OPÉRA
Monte-Carlo 31.Dezember 2023
“RUHE IN DER BUDE”
oder
STILLE IN DER OPÉRA DE MONTE-CARLO
Foto: Erwin Messer
Es ist natürlich höchst respektlos, das unter dem Architekten der Pariser Oper CHARLES GARNIER in nur acht Monaten und 16 Tagen gebaute und 1878 eröffnete Opernhaus als Bude zu bezeichnen. Aber sicher wären die Musiktitanen der vergangenen Jahrhunderte – von MOZART bis MEYERBEER – deren Namen von seinen goldverzierten Wänden strahlen, zuletzt auch irritiert gewesen oder hätten es sogar als respektlos empfunden : Ab Mitte Dezember regierte dort , wo bisher mit Ausnahme des herbstlichen JAZZ-Festivals ihre unsterblichen Melodien ertönten, plötzlich ihr Kollege Musicaltitan Sir ANDREW LLOYD WEBBER . Zwar kam LIVE-Musik, 15 Musiker mit Dirigentem aus dem Graben, aber mit ziemlich unsanfter technischer Unterstützung. Das Ensemble sang beherzt und überzeugend, aber mit Microport ! Anders hätten sie 20 Aufführungen in 16 Tagen auch nicht geschafft, davon viele Doppelvorstellungen . Denn der internationale Mezzostar CECILIA BARTOLI , mit Jahresbeginn 2023 neue Intendantin in Monaco kam, sah und siegte ! Jetzt ist die Auslastung bei den übers Jahr gesehen wenigen Produktionen und moderaten Preisen nicht wirklich ein Thema. Aber sie stellte fest, dass zur Weihnachtszeit die Operntüren bisher fest geschlossen geblieben sind. Um dem 19. November, dem monegassischen Nationalfeiertag , gab es bisher eine Premiere mit drei Wiederholunge , voriges Jahr Don Carlo , rund um eine Gala-Vorstellung mit persönlicher Einladung durch den Palast. Diese war aber 2023 als ein Abend zu Ehren von ENRICO CARUSO mit JONAS KAUFMANN als Stargast schon anders als bisher gewohnt programmiert .
Wieder los ging es üblicher Weise mit einer Neuproduktion erst Ende Jänner .Zu den Feiertagen strömte das Publikum ins geräumigere Grimaldi-Forum zum Ballett. Dort geht es auch heuer hin. Die Vorstellungen sind alle gut besucht bis ausverkauft. Das galt heuer auch für die 524 Plätze der Salle Garnier bei allen Dezember-Vorstellungen . Denn zum Jahresabschluß ließ es die neue Direktion so richtig krachen . Gleich zu Beginn des Abends ertönte ein lauter Knall, als stürzte hinter geschlossenem Vorhang ein riesiger Kristallluster zu Boden . Mit vielen überraschenden Bühneneffekten, sogar einem kleinen Feuerwerk, einer gekonnt eingesetzten Drehbühne und raschen Verwandlungen , bunten Kostümen , einem perfekt eingespielten Ensemble unter der musikalischen Leitung von GIOVANNI MARIA LORI ging es weiter bis zum großen Schlußapplaus. Nach der erfolgreichen Premiere wollte die gesamte Côte d’Azur das tragische Schicksal des PHANTOM OF THE OPERA miterleben.
Das Stück basiert auf den1910 erschienenen Erfolgsroman des gelernten Advokaten , Gerichtsreporter und Bestsellerautor GASTON LEROUX. Als wagemutiger Starreporter und Auslandskorrespondent der größten Pariser Tageszeitung Le Martin wurde er berühmt, mit dem Roman über Le fantôme, der in der Pariser Garnier-Oper spielt und viele historisch belegte und auch erfundene Geschichten rund um den spektakulären Neubau aufnahm, weltberühmt . Er war in späteren Jahren von Paris nach Menton gezogen, von dort nach Nizza, wo er 1927 verstarb. Er führte ein bewegtes buntes Leben, zum dem auch hohe Stapeln Jetons im Casino von Monte-Carlo. gehört haben sollen.
Das Thema wurde mehrmals vertont und verfilmt. Das erfolgreichste Musical basierend auf seiner Geschichte ist zwar in 27 Ländern aber noch nie in Frankreich aufgeführt worden. Vielleicht war es der englische Text des damals erst 25 jährigen Librettisten CHARLES HART mit Co-Autor RICHARD STILGOE, der 1986 zum ersten Mal in Her Majesty’s Theatre in London ertönte, der die Intendanten abhielt, an den man sich in französischer Umgebung trotz internationalem Publikum erst gewöhnen muß. Vielleicht war es auch nicht vorstellbar, in der echten Garnier-Oper ein Musical zu programmieren. In einem anderen Saal hätte auch die beste Dekoration nur ein mattes Abbild des originalen Baujuwels gegeben. Und das Musical hat in Frankreich auch nie so richtig Fuß gefasst, wie zum Beispiel in Wien oder Hamburg. Erst im Jahr 2016 faßte das Théâtre Mogador den Plan einer Erstaufführung. Aber der Titelheld war scheint es unwillig, sein Zuhause im Kellerlabyrinth des berühmten Opernhauses in Richtung eines Varietétheaters zu verlassen. Ein Brand brach aus, die Bühne und die Requisiten der geplanten Produktion wurden zerstört und das Projekt auf unbestimmte Zeit verschoben. So kam das Phantom über hundert Jahre später zu einem Zweitwohnsitz , einer „Residence secondaire, am Mittelmeer“, wie es die neue Intendantin formulierte, mit der Sorge, dass hier dem auch sehr prachtvollen Luster mit 400 Lampen kein Schaden zugefügt würde.
Die Inszenierung entstand, für die Rechte sicher sehr wichtig, in Coproduktion mit Temple live Entertainment Ltdt Broadway ITALIA Srl in Übereinstimmung von The Really Usefull Group, die für die Originalproduktionen in London und am Broadway steht. Im Juli 2023 wurde sie zum ersten Mal in Triest gezeigt.
Die internationale Besetzung war dem gewagten Experiment würdig , auch wenn sich die native speakers mit den Akzenten der Muttersprachen bei den anderen Sänger nicht immer harmonisch verbanden. Die beiden „Opernstars“ im Ensemble, Anna Corvino als plötzlich krächzende Diva Carlotta und Gian Luca Pasolini als Ubaldo Piangi spielten und sangen in den Opernszenen der Handlung mit italienischem Schmelz . AMELIA MIRO als Christine, die eigentliche Hauptrolle des Stückes , vom Komponisten seiner damaligen Ehefrau SARAH BRIGHTMAN auf den Leib geschrieben, spielte und sang berührend . Sie war ihrem Partner RAMIN KARIMLOO ,der schon auf vielen internationalen Musicalbühnen große Erfolge gefeiert hat, eine kongeniale Partnerin.
Am Silvesterabend war der Opernsaal in direkter Nachbarschaft zum Casino für einen Galaabend mit maskiertem Publikum und erhöhten Preisen zum letzten Mal bis auf den letzten seiner etwas unbequemen roten Polstersesseln gefüllt. Viele aus dem Publikum waren zum ersten Mal in diesem Haus. Als sie über die Stiegen auf den großen Platz hinaus strömten, war fast kein Durchkommen mehr. Ein Silvesterabend in Monte Carlo war 2023 für viele Touristen gemischt mit den Einwohnern von Ligurien bis Nizza ein festes Ziel. Es gab zwar nicht das berühmte Feuerwerk am Hafen, statt dessen nur eher bescheidene bunte Wasserspiele im Salzwasser-Schwimmbecken RAINER III, aber das war der Umwelt geschuldet . Die Skyline, der üppige Weihnachtsschmuck, die großen Jachten dahinter das Mittelmeer boten trotzdem einen großen Schauwert , der den Zauber der Opernwelt weiterführte.
Foto: Erwin Messer
Nach dem 6. Jänner , wenn die Beffana auch den italienischen Kinder ihre Geschenke gebracht hat, wird es wieder ruhiger an der Küste. In der Oper ist ab 24. Jänner die Tradition wieder gefragt. Es geht gleich ganz weit zurück, zu einem Meister, der 252 Jahre, ein Viertel Jahrtausend früher als sein Vorgänger im Spielplan geboren ist : GEORG FRIEDRICH HÄNDEL – GIULIO CESARE IN EGITTO mit der Hausherrin als Cleopatra.
Das Phantom muß sich erneut auf den Weg machen. Nicht direkt nach Paris, sondern dieses Mal wieder nach Österreich. Denn die erfolgreiche Neuproduktion von CAMERON MACKINTOSH kommt nach Großbritannien, USA und Australien zum ersten Mal im deutschrachigen Raum hier auf die Bühne – im Wiener Raimundtheater . Die Premiere ist für den 15. März geplant. Nach dem bedeutenden Sydney Opera House , mit fünf Sälen richtig groß dimensioniert und sicher riesigen Kellerräumen , wird sich das Phantom im „alten Wien“ vielleicht ganz wohl fühlen.
Ulrike Messer-Krol