14.7.: SEEFESTSPIELE MÖRBISCH – DER KÖNIG UND ICH (Premiere)
Wir erinnern uns: im vergangenen Jahr erzielten die Seefestspiele Mörbisch mit Bernsteins „West Side Story“ einen Sensationserfolg, der in der Geschichte des Festivals alle Rekorde brach – und zeitgleich wurde die Intendanz ausgewechselt, weil man für das „Mekka der Operette“ einen Kurswechsel für notwendig erachtete in Richtung Musical. Reflexionen über die Logik (oder Unlogik) solcher Dispositionen haben wir an passendem Ort bereits zeitnah angestellt. Für den neuen künstlerischen Leiter, Generalintendanten Alfons Haider hieß es unter diesen Bedingungen allerdings nun nicht nur, sich mit der ersten Produktion seiner Amtszeit vorzustellen, sondern – in gewisser Weise – auch, sich im Vergleich mit dem abgelösten Team und seinem Konzept zu bewähren. Hic Mörbisch, hic salta, sozusagen. Gelungen ist ihm dies nur teilweise …
© Seefestspiele Mörbisch
Natürlich war es im Grund längst an der Zeit, nach „My Fair Lady“ und eben auch der „West Side Story“ anstelle der x-ten Auffrischung von „Wiener Blut“ auch Werken wie dem Klassiker von Rodgers & Hammerstein über die britische Lehrerin und den zwischen den uralten Traditionen seines Landes und seinem Willen zu Reform und Modernisierung hin und her gerissenen Königs von Siam auf der Seebühne Raum zu geben. Gehört „Der König und ich“ doch zu den Exemplaren des Genres, für die man den Unterschied zur mitteleuropäischen Operette in Wirklichkeit ohne Weiteres gar nicht so leicht angeben kann. Auch können sich die Ausstatter (Bühne: Walter Vogelweider, Charles Quiggin/Ales Valasek Kostümer) bei der Entfaltung des fernöstlichen Flairs von Siam im 19. Jahrhundert auf einer so riesigen Bühne austoben wie sonst kaum wo.
Doch birgt die Story selbst einige Tücken, die dem Regisseur Simon Eichenberger seine Arbeit nicht gerade erleichtert haben, sodass man am Ende zwar sicher nicht bereut, „wieder da“ gewesen zu sein, aber jene beschwingte Hochstimmung nicht verspürt, die man sonst vom Neusiedler See mit nach Hause genommen hat. Es gibt keine Liebesgeschichte im herkömmlichen Sinn, die Emotionen wecken würde, die Sterbeszene des Königs wirkt ohnehin immer etwas „aufgesetzt“, nur wenige größere Ensemble-Szenen bieten sich an, um sich etwa auch choreographisch ausschlachten zu lassen, womit alles in allem der gewohnte Wow-Effekt des sommerlichen Spektakels ausbleibt. Dazu kommt, dass die Regie zur Personenführung – mit wenigen Ausnahmen – im Wesentlichen die Weite des Bühne kaum nutzt und die Szenen vor allem im zentralen Teil der Bühne arrangiert.
Die untertänigen Frauen am siamesischen Hof werden (wie vom Libretto natürlich vorgegeben) kommentarlos als naiv kichernde Hühnchen vorgeführt, was heutzutage (zum Glück) aber offenbar nur mehr bedingt als unterhaltsam erlebt wird und das Publikum kaum zum Lachen anregt. Die in dem Plot eigentlich auch angelegte Frage der Diversität der Kulturen (im Stück wird die Überlegenheit der westlich-kolonialen Lebensart als selbstverständlich vorausgesetzt) wird überhaupt nicht gestreift – dass solches möglich gewesen wäre, ohne gleich in ein Regietheater mit erhobenem Zeigefinger zu verfallen, hat das Stadttheater Klagenfurt in der vergangenen Saison mit „Annie Get Your Gun“ unter Beweis gestellt.
Wobei man dort auch die unterdessen vielerorts gelebte Praxis übernommen hat, bei amerikanischen Musicals den gesprochenen Text auf Deutsch, die aus Filmen etc. bekannten Songs aber auf Englisch vorzutragen. Das wäre auch für „The King and I“ in Mörbisch günstig gewesen: eine Projektionsfläche für Untertitel wäre ohnehin zur Verfügung gestanden, auf der man aber vor allem für einen anwesenden Bauunternehmer und Kaufhaus-Besitzer Werbung eingestellt hatte. Man hätte dem Publikum und den Sängerinnen und Sängern manche Knüttelreime und –übersetzungen erspart (wie z.B. „Allianz“ auf „Tanz“ … im Original treffen „dance“ und „romance“ aufeinander, oder, an anderer Stelle: „Es ist ein Durcheinander“ für „It’s a puzzlement“, mit allen Stolperern, die sich daraus in der Umlegung des Textes auf den Rhythmus der Gesangslinie ergeben).
Die größte Schwäche der Produktion ist allerdings, dass man den zweiten Teil, namentlich die Aufführung von „Onkel Toms Hütte“ vor den britischen Gesandten, nicht radikal gestrafft hat. So werden erfahrene „Mörbischer“ im Vergleich diesmal beim Schlussapplaus beim Publikum erhebliche Ermüdungserscheinungen wahrgenommen haben, wenn auch die finalen Wasserspiele, die wegen der Trockenheit das traditionelle Feuerwerk ersetzen, durchaus ansehnlich ausgefallen sind.
Ensemble auf der imposanten siamesischen Szenerie © Constanze Körber
Das Stück selbst sieht man natürlich immer gerne wieder einmal und erfreut sich vor allem an den vertrauten Melodien, wenn man sich freilich auch musikalisch darauf einstellen muss, dass – rein gesangstechnisch gesprochen – nun die kopfig-hellen, immer ein wenig überartikuliert klingenden Stimmen dominieren, die ihre Substanz nicht mehr (wie in Oper und klassischer Operette üblich) den körpereigenen Resonanzräumen, sondern der elektronischen Verstärkung verdanken, auf die sie auch in kleinerem Ambiente angewiesen sind als auf der Mörbischer Seebühne, wo eine gewisse technische Unterstützung unausweichlich ist. Dies einmal vorausgesetzt (und akzeptiert) ist Milica Jovanovic eine vielleicht etwas jugendliche, aber jedenfalls sympathische Anna Leonowens, deren heller Sopran vor allem dort zur Geltung kommt, wo wirklich „gesungen“ wird – während sie im Parlando und im „Angriffsmodus“ hörbar an ihren Grenzen anstreift. Ihr Gegenüber ist der Niederländer Kok-Hwa Lie, der als König bei aller Eitelkeit und allem autoritärem Gehabe auch den liebenswürdig-unbeholfenen Mann glaubhaft machen kann, der in den Frauen Beschützerinstinkte weckt.
Bei der Lady Thiang der Philippinin Leah Delos Santos war dieser in besonderer Weise ausgeprägt, ihr Plädoyer für den weichen Kern des manchmal so hart(näckig)en Königs zog auch musikalisch besondere Aufmerksamkeit auf sich. Wie dies auch beim Lun Tha des US-Amerikaners Robin Yujoong Kim der Fall war, der im Duett mit der heimlich Geliebten Tuptim (man müsste fast sagen: als der Sänger im Ensemble) einen fülligen Tenor hören ließ, mit dem er am Neusiedler See 2019 bereits als Sou Chong reussiert hat. Seine Angebete, die Kanadierin (mit ebenfalls philippinischen Wurzeln) Marides Lazo, war ihm dabei – noch dazu in einer ohnehin nicht besonders dankbaren Rolle – angesichts elektronisch auch noch verstärkter technischer „Unebenheiten“ nicht wirklich ebenbürtig.
Unter dem restlichen großen Ensemble, in dem sich auch einige aus diversen ORF Casting Shows bekannte Namen finden lassen, zogen natürlich „die Kinder“ alle Aufmerksamkeit (und Sympathie) auf sich. Sie sind der Joker des Stücks und konnten auch diesmal wieder auf ganzer Linie punkten; besondere Erwähnung verdient dabei Samuel Wegleitner als darstellerisch souveräner und auch stimmlich erstaunlich sicherer Louis.
Michael Schnack hatte die musikalische Leitung über das Orchester und auch den restlichen großen Apparat der Produktion durch den Abend inne; er betonte die gefällige „Note“ der zahlreichen Hits; ob man diese lieber mit mehr „Schmalz“ gehört hätte, ist letztlich vermutlich Geschmacksache.
Nun denn. Die Prominenz war nach ihrem „Einsatz“ im benachbarten St. Margarethen am Vortag neuerdings zahlreich erschienen und sorgte für das nötige Premierenflair, das auch der neue „Hausherr“, wohl in Fortsetzung der legendären Serafin’schen Tradition, in seiner Begrüßungsansprache zu verbreiten bemüht war: dessen spitzbübischer Witz ist freilich bei aller Anstrengung nicht jedem gegeben. Das Jahr 1 nach Edelmann bot solide Unterhaltung in gewohnt opulenter Ausstattung, eine Entscheidung, ob Mörbisch zu einem „Mekka des Musicals“ werden wird bzw. es überhaupt der richtige Ort ist, um im unterstellten Antagonismus „Musical oder Operette“ Fakten zu schaffen, lässt sich aus dem Erlebten nicht ableiten.
Wobei die Fragen, die sich angesichts des beunruhigend niedrigen Wasserspiegels am Neusiedler See (die Seebühne steht fast auf dem Trockenen) angesichts der in Mitteleuropa herrschenden Dürre (et cetera, et cetera, et cetera) stellen, in Wirklichkeit wahrscheinlich ohnehin andere sind …
Valentino Hribernig-Körber