MÖRBISCH / Seebühne: MY FAIR LADY – Premiere
11. Juli 2024
Von Manfred A. Schmid
Vorbemerkung: Die Allmächtigkeit des burgenländischen Landeshauptmannes ist dabei, Kulturjournalisten arbeitslos zu machen. Hans Peter Doskozil ist nicht nur Landeshauptmann und Kulturlandesrat in Personalunion, sondern fühlt sich nun auch schon zum obersten Kulturkritiker des Landes berufen. Kaum war die Premiere von My Fair Lady zu mitternächtlicher Stunde zu Ende, da stellte Hans Peter Dampf in allen Gassen per Presseaussendung eine in Sekundenschnelle (?) verfasste Rezension des Gesehenen und Gehörten ins Netz. Dass er darin den von ihm selbst zum Generalintendanten bestellten Alfons Haider und damit auch seiner eigenen Kulturpolitik Bestnoten verpasst, mag angesichts der grenzenlosen Selbstherrlichkeit und Selbstüberschätzung kaum verwundern: „Alfons Haider ist mit der zeitgemäßen Interpretation des Musical-Klassikers „My Fair Lady” ein Wagnis eingegangen. Dieser Mut wurde heute eindrucksvoll belohnt! Er und sein Team präsentieren mit diesem Stück modernste zeitgemäße Unterhaltung auf allerhöchstem Niveau – es hat alle Zutaten, um ein Riesenerfolg zu werden: großartige Sänger und Schauspieler, ein beeindruckendes und extrem wandelbares Bühnenbild, charmanten Humor, charaktervolle Choreographien und das einzigartige Ambiente der Seebühne! Es bleibt mir nur zu sagen: Kommen Sie heuer unbedingt ins Burgenland zu den Seefestspielen, „My Fair Lady” ist ein grandioses Ereignis! Unter Harald Serafin wurde Mörbisch als das „Mekka der Operette” bezeichnet, unter Alfons Haider entwickelt es sich gerade zum „Olymp des Open-Air-Musicals” – als zuständiger Kulturreferent erfüllt mich diese Entwicklung mit großer Freude und ich gratuliere herzlich zu dieser kultigen Premiere! (…)”
Ihr Rezensent wird auf dieses hymnische Selbstlob nicht weiter eingehen, sondern seiner Aufgabe als Musik- und Theaterkritiker unvoreingenommen nachgehen. Die burgenländische Hybris, Mörbisch den Status eines „Olymp des Oper-Air-Musicals“ zu prophezeien, wird hier nicht kommentiert, sondern bleibt im Raum stehen. Machen Sie sich am besten selbst ein Bild davon.
Das Musical My Fair Lady aus dem Jahr 1956, mit Musik von Frederick Loewe sowie Texten und Libretto von Alan Jay Lerner, nach Bernhard Shaws Theaterstück Pygmalion, spielt in London im Jahr 1912. Professor Higgins, Sprachforscher aus Berufung und eingefleischter Junggeselle, trifft zufällig auf die Blumenverkäuferin Eliza Doolittle, die nur Cockney spricht. Daraus ergibt sich in weiterer Folge eine Wette mit seinem Freund Oberst Pickering. Higgins will beweisen, dass es ihm gelingt, mit intensivem Sprechtraining aus Eliza binnen weniger Monate eine Dame der Gesellschaft zu machen, was ihm auch gelingt.
Adaptierungen der Originalversion gab es schon immer. So erstellten Robert Gilbert und Gerhard Bronner 1969 eine Version, in der Eliza Wienerisch spricht, erst kürzlich gab es an der Bühne Baden eine „stoasteirische“ Eliza. Regisseur Simon Eichenberger unternimmt in Mörbisch nun den Versuch, My Fair Lady in das Heute zu holen. Eliza – wie auch ihr gesellschaftliches Umfeld – spricht heutiges Wienerisch, genauer gesagt: einen South Simmeringer Dialekt, eine derbe, mit vielen Ausdrücken aus der Fäkalsprache und neuesten Begriffen aus den Sozialen Medien angereicherte Umgangssprache. Diese wird in endlosen Tiraden ausgespielt, häufig auch sehr flott gesprochen. Wer diese speziellen wienerischen Ausdrücke nicht kennt – man denke etwa an die Tausenden per Bus aus allen Ecken Österreichs herangekarrten Besucherinnen und Besucher – wird es wohl nicht immer leicht haben, das Gesagte zu verstehen. Es ist aber vor allem die hinzuerfundene Textmenge, die Probleme und den Abend schier endlos macht. Im Original kurze, britisch-lakonische Dialoge werden in ausuferndes Geplänkel verwandelt, so dass die Vorstellung inklusive Pause und des um eine halbe Stunde verspäteten Beginns – infolge von bis zum Geht-nicht-Mehr auskostenden Bussi-Bussi-Szenen der VIPs und der wortreichen Begrüßungrede Alfons Haiders – dreieinhalb Stunden dauert. Da sehnt man sich nach den unterhaltsamen, mit überraschungsreichen Exkursen gespickten Begrüßungen Harald Serafins.
Warum man die Sprache in das heutige Wien versetzt, als Ort der Handlung aber weiterhin an London festhält, ist schwer zu begreifen. Das an sich gelungene Bühnenbild von Walter Vogelweider mit Big Ben, U-Bahnstation Tottenham Court, Pub, schwarzem Taxi und der Royal Ascot Pferderennbahn, lässt den Verdacht aufkommen, dass das verantwortliche leading team doch nicht ganz an die angestrebte Einwienerung des Musicals glaubt und damit ein Grundproblem der Inszenierung aufzeigt: Das Musical, mit dem Schwerpunkt auf die gesellschaftliche Bedeutung der richtigen Sprechweise, ist handlungsgemäß eine urbritische Angelegenheit, die im Stück im Sinne des großen irischen Spötters George Bernhard Shaw mit charmantem Augenzwinkern vorgeführt wird. In Österreich, einem Land, in dem eine eher konservativ eingestellte Landeshauptfrau „Her mit der Marie!“ gesagt hat, sprachliche Feinheiten und Dünkel dieser Art jedenfalls kein Thema.
Das schwelende Misstrauen in das Musical äußert sich auch darin, dass Regisseur Eichenberger, der auch für die Choreographie verantwortlich zeichnet, neue Szenen einfügt, so etwa die Ballnacht, bei der Eliza der High Society vorgestellt wird. Vom dabei erzielten Erfolg berichten Higgins und Pickering in der Originalfassung nur beim morgendlichen Heimkommen, während in der Mörbischer Version dieser Event mit ungarischen Klängen und Walzermusik und einem skurrilen Wirrkopf namens Zoltan Karpathy (grandios Roman Frankl) aufgemotzt (musikalische Einrichtung Christian Frank), ausgespielt wird. Durchaus untrhaltsam, aber im Grunde genommen ein ebenso unnötiger Ballast wie der entfesselte Torero-Tanz (Köstüme Claudio Pohle) nach dem ersten von Eliza perfekt gesprochenen Satz „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühn“.
Anna Rosa Döller ist eine recht bezaubernde Eliza Doolittle, allerdings mit einer – trotz elektronischer Verstärkung – doch eher kleinen Stimme. Ihr sehnsuchtsvoll-euphorische Bekenntnis „Ich hätt‘ getanzt heut‘ Nacht“ geht so etwas unter.
Mark Seibert als noch ziemlich junger Prof. Higgins punktet mit Erfahrung und Können, ist aber für die Rolle des spröden, kauzigen Gelehrten nicht unbedingt die beste Besetzung. Ramin Dustar verleiht dem Oberst Pickering in einem ansonsten eher doch wienerischen Milieu wohltuendes britisches Flair. Wenn schon in London, dann wenigstes auf die feine, trockene, englische Art.
Als Elizas Vater Alfred P. Doolittle kann Herbert Steinböck mit seiner komischen Darstellung punkten. Gesanglich könnte sein „Hei, heute morgen mach‘ ich Hochzeit“ ausgefeilter sein, ist dafür aber von viel Tamtam umgeben. Warum ausgerechnet bei einem Männer-Polterabend ein paar Tänzer ihre Hemden ausziehen müssen, um ihre Waschbrett-Bäuche zur Schau stellen, entzieht sich meiner Phantasie.
Zu den erfreulichen Pluspunkten der Aufführung zählen Dominik Hees als sympathischer, fein schwärmerisch singender Freddy und Marika Lichter in der Sprechrolle der Mrs. Higgins mit nüchterner, realistischer, unaufgeregter Weltsicht. Ein angenehmer Ruhepol im allgemeinen Gewirr.
Auf viele der Ausschmückungen und szenischen Erweiterungen in dieser Inszenierung könnte man gerne verzichten. Auf eine aber auf keinen Fall: Dolores Schmidingers herrliche Auftritte als Queen! Umwerfend komisch, einfach ein Vergnügen und für sich allein schon fast einen Besuch der My Fair Lady in Mörbisch wert.
Die musikalische Leitung von Michael Schnack am Pult des Orchesters funktioniert gut, was auch für den Chor gilt. Der Applaus des Publikums fällt freundlich bis begeistert und wohl auch etwas ermüdet aus, was nach dreieinhalb Stunden Dauer kaum eine Überraschung ist.