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MÖRBISCH / Seebühne: DER KÖNIG UND ICH

17.07.2022 | Oper in Österreich

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Copyright: Constanze Körber

MÖRBISCH / Seebühne: Der König und ich

16. Juli 2023

Von Manfred A. Schmid

Auch die dritte Aufführung von Der König und ich auf der Seebühne von Mörbisch, in der opulenten Inszenierung von Simon Eichenberger, im spektakulären Bühnenbild von Walter Vogelweider und prächtig ausstaffiert mit den Kostümen von Charles Quiggin und Ales Valasek, ist so gut wie ausverkauft, wie Generalintendant Alfons Haider in seiner obligaten Begrüßung nicht ohne Stolz feststellen darf. Ein Musical, das 70 Jahre nach der Uraufführung noch immer gespielt wird und das Publikum in seinen Bann schlägt, muss Qualitäten haben. Worin aber liegt das Erfolgsgeheimnis des Musicals von Rodgers und Hammerstein über die Engländerin Anna Leonowens, die vom König von Siam an seinen Hof gerufen wird, um dort seinen zahlreichen Kindern und Ehefrauen, in Wahrheit aber auch ihm selbst, westliche Werte und Gepflogenheiten nahezubringen, um sich in der modernen und sich rasch ändernden Welt behaupten zu können? Sind die in der Story zu findende imperialistische Arroganz gegenüber den asiatischen „Barbaren“, die unverhohlene kolonialistische Tendenz, der Exotismus und Sexismus nicht rettungslos überholt und politisch inkorrekt? Widersprechen der diesem Musical zugrundeliegende „clash of cultures“ und die als Lösung angebotene kulturelle Anpassung nicht der heute geforderten Sensibilität gegenüber autochthonen Zivilisationen und alternativen Gesellschaftsmodellen?

Regisseur Eichenberger lässt sich vor derartigen Überlegungen nicht beirren, sondern erzählt die auf einer wahren Begebenheit fußende, wenn auch romantisch stark verklärte Geschichte, ohne sie zu hinterfragen, als großes Spektakel für die ganze Familie. Im Mittelpunkt steht die wachsende und letztlich doch unmögliche Liebe der englischen, selbstbewussten Gouvernante zum zwischen Tradition und neuen Herausforderungen zerrissenen König von Siam. Milica Jovanovic ist eine mutige, von ihrer Mission überzeugte Anna Leonowens, feministische Züge und Aufbegehren gegenüber ungerechte Geschlechterverhältnisse miteingeschlossen.

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Milica Jovanovic (Anna Leonowens) und Kok-Hwa Lie (König). Foto: Seefestspiele Mörbisch

Kok-Hwa Lie als König stellt einen um Würde und Machterhalt bemühten, ganz und gar nicht unsympathischen Despoten dar, der erkennt, dass seine Welt von außen akut in ihrem Fortbestand bedroht ist. Durch Kompromisse und Annäherungen an fremde Lebensweisen und politischen Gepflogenheiten hofft er sein Land vor einer Übernahme durch ausländische Mächte, vor allem durch England, retten zu können. Allein zu diesem eweck hat er Anna Leonowens als Erzieherin an seinen Hof verpflichtet hat. Fein zeigt Kok-Hwa Lie, niederländischer Muscialstar mit asiatischen Wurzeln, dass in diesem imponierenden Mann wohl auch ein großes Kind steckt, das in Anna neben romantischen Gefühlen auch Mutterinstinkte weckt.

Freilich gäbe es bei einer kritischeren Befassung mit dem vorliegenden Stoff die Chance, anhand der tragischen Liebesgeschichte von Tuptim (berührend Marides Lazo) eine alternative Geschichte zu erzählen, in der eine Frau die Initiative ergreift und einen selbstbestimmten Weg einschlagen will. Tuptim wird dem König als Geschenk des Herrschers von Burma überreicht, ist in Wahrheit aber in Lun Tha (Robin Yujoong Kim) verliebt. Beide fliehen und werden dabei erwischt.  Diese Schlüsselstelle wird von der Regie allerdings nicht genützt, sondern nur als Episode am Rand erzählt. Immerhin scheiden sich im Umgang mit dieser Affäre zwei Geister: Anna will Tuptim helfen und setzt sich, als sie hart bestraft werden soll und der König selbst zur Peitsche greift, für das unglückliche junge Mädchen ein, während Thiang, die Hauptfrau des Königs, Tuptims Flucht verrät und diese damit erst zum öffentlichen Skandal macht, den der König nicht auf sich sitzen lassen kann bzw. will.

Leah Delos Santos gestaltet Lady Thiang als komplizierten, zwiespältigen Charakter, schwankend zwischen Liebe und Hass, Pflicht und Auflehnung, Ordnung und Chaos. Einerseits ist sie Annas Verbündete, wenn es darum geht, den Frauen mehr Rechte und Achtung einzuräumen. Andererseits steht sie – als Opfer einer patriarchalischen Gesellschaft – ihr auch feindlich und wohl auch eifersüchtig gegenüber. Im Lied „Something Wonderful“ billigt sie dem Schutzwall, den Lady Thiang um sich aufgebaut hat, etwas Durchlässigkeit zu, ansonsten aber macht sie ihn dicht, sobald sie Sicherheit, Verpflichtung und Ordnung bedroht sieht.

Etwas entschärft werden die heute eher als untragbar enpfundenen Zustände immerhin durch Humor und Komik, dazu zählt etwa die abwechslungsreich gestaltete Vorstellrunde der Kinder des Königs vor ihrer Lehrerin sowie die witzige Szene, als der König die biblische Geschichte von der Erschaffung der Welt gemäß Moses studiert und daran einiges auszusetzen hat, etcetera, etcetera, etcetera …

Choreografisch gelungen (Alonso Barros) ist auch die von Tumptim dramatisierte Einlage, in der sie den Gästen aus Übersee ihre Version von Onkel Toms Hütte vom Harriet Beecher Stowe präsentiert, auch wenn diese etwas zu lang geraten ist. Überhaupt hätte der 2. Akt nach der Pause von einigen Strichen profitieren können.

Die plötzliche Erkrankung des Königs, die zu seinem unerwarteten Tod führt, kommt  überaschend. Darauf hätte man z. B. in der großen Tanzszene knapp davor vorbereitend eingehen können, wenn Anna und er durch den Saal wirbeln. Ein vorübergehender, kleiner Schwächeanfall hätte genügt.

Unbestritten liegt der Erfolg dieser Neuproduktion vor allem an der großartigen Musik, die mit Songs wie „Shall We Dance?“, „Getting to Know You“ und „Whistle a Happy Tune“ – in Mörbisch auf Deutsch gesungen – einige hell leuchtende Evergreens des Musicals made in USA zum Klingen bringt. Geboten wird gute Unterhaltung für alle Sinne, bei der weder die Augen noch die  Ohren zu kurz kommen. Mörbisch und Musical: Ein Anfang ist gemacht. Ob daraus mit der Zeit der Ruf als „Mekka des Musicals“ in Österreich und im deutschsprachigen Raum entstehen kann, bleibt abzuwarten. Mamma Mia, für nächstes Jahr angekündigt, hat gute Musik und als Film mit Meryl Streep die Kassen klingeln lassen. Abba ein richtiges Musical ist es nicht.

 

 

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