Anne Frank als Musical zum Erinnern (Stadtgalerie Mödling, 27.01.2023, teatro)

Aus dem berühmten Tagebuch der Anne Frank ein Musical zu machen, erfordert Mut: Groß der Respekt vor diesem wahnsinnig schweren (und leider Gottes tatsächlich ereigneten) Stoff; groß auch das Misstrauen des Publikums. Zu Recht fragt man sich, wie sich Musiktheater dieses Grauen des Holocausts annehmen kann. Die Musicalgruppe teatro gibt in der Stadtgalerie Mödling darauf eine befriedigende Antwort.

Unter der Initiative von Intendant Norberto Bertassi und der Umsetzung von Raffaele Paglione (Musik) und Norbert Holoubek (Buch, Regie) zeigt das Musical Anne Frank eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Niemals brutal, aber sehr wohl eindringlich wird Annes Geschichte nacherzählt und nachempfunden. Mit dem Hauch einer Kulisse, gestapelten Kisten, und sparsam verwendeten Projektionen wird die intime Atmosphäre des Hinterhauses in Amsterdam erzeugt. Keine Spur von Längen in der Handlung, eine präzise Personenführung und sorgfältiger Umgang mit dem Thema Holocaust (Fotos, Andeutungen von SS-Schergen, vereinzeltes Eindringen der Nazis in die „heile“ Welt der versteckten Franks) zeichnen die Regie aus. 

Das teils junge und beruflich aufstrebende, teils professionelle Ensemble komplettiert den positiven Gesamteindruck. Die Darsteller sind authentisch, lassen Emotionen zu und vermitteln diese auch, harmonieren miteinander und bewegen sich gesanglich in einem tollen Niveau, wobei Volksopernensemblemitglied Juliette Khalil in der Titelrolle brilliert.

Einiger textlicher und dramaturgischer Unsauberkeiten zum Trotz zeigt die Musicalgruppe in Mödling anlässlich des Holocaust Memembrance Day ein höchst aktuelles, ergreifendes, (un)politisches Stück, das den Horizont des Begriffes Musical auf jeden Fall erweitern sollte. Künstlerische Erinnerungskultur auf höchstem Niveau!

Ella Wolff