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MINDEN/ Stadttheater: PARSIFAL (Derniere): der Vorherbestimmte im  Stadttheater Minden, wo Wunder noch geschehen können

25.09.2023 | Oper international

Minden: „PARSIFAL“  20.9. (Derniere): der Vorherbestimmte

im  Stadttheater Minden, wo Wunder noch geschehen können

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 „Zum Raum wird hier die Zeit …“ Dieser Ausspruch des Gurnemanz ist schon beim Ankommen auf der Außenwand des Stadttheaters Minden zu lesen und stellt ein klares Bekenntnis zum Schöpfer des Parsifal dar. Im Rahmen der Mindener Wagner-Projekte auf Initiative der rührigen Präsidentin des Richard Wagner Verbandes Minden, Frau Dr. Jutta Hering-Winckler, in Zusammenarbeit mit dem Stadttheater Minden und der Nordwestdeutschen Philharmonie unter der kundigen Leitung von Frank Beermann und in der Regie von Eric Vigié kam eine Aufführung zustande, die sich in allererster Linie an Wagner selbst orientierte. Und es geschah das Wunder, dass sich das Publikum dem Zauber dieses Stoffes, der die Sinnlichkeit der Musik voll zur Wirkung brachte, vollkommen hingeben konnte. Da wurde nichts hineininterpretiert, keine verkrampft aktuellen gesellschaftsphilosophischen Bezüge hergestellt: der Speer erschien als Speer, der Gral teils schwebend im Lichtstrahl als heiliges Utensil und nicht als verfremdetes Objekt, und der vom Pfeil getroffene Schwan fiel als edler Vogel zu Boden und nicht als sterbender Jüngling in weißem Nachtgewand … Und dennoch kam das Ganze keineswegs konventionell oder verstaubt daher, sondern in einer von stofflicher Erdenschwere befreiten Leichtigkeit, welche die Getragenheit der Musik mit traumhafter Bewegung erfüllte.

Wie war das möglich auf der schmalen Bühne und mit dem Orchester und Chor (coruso e.V. als erster deutscher freier Opernchor) hinter den Sängern und dem Handlungsverlauf?   

Das war zum einen die Idee des Regisseurs und zum anderen das Wirken der beiden Magier der Bildgestaltung, des Videokünstlers Gianfranco Bianchi und des Lichtdesigners Hermenegild Fietz. Beide kommen vom Film. Sie wandten ihre Kunst hier nicht nur als ergänzendes oder interpretierendes Attribut im Hintergrund an, sondern machten sie zum wesentlichen Bestandteil der Inszenierung selbst, indem sie „alle Dimensionen bestehender Möglichkeiten nutzten, um eine Geschichte visuell zu erzählen“. Dadurch gewannen sie nicht nur einen unendlichen Raum  – in Abwandlung: das Bild wird hier zum Raum! –, sondern es gelang ihnen durch raffinierte Überblend-Technik, zeitliche und geistige Grenzen verschwimmen zu lassen.
Dadurch wurde die Parallele zum christlichen Erlöser und zur Figur des Parsifal für das (dankbare) Publikum unmittelbar und ohne Verfremdungseffekte nachvollziehbar, ebenso das Wunder des Grals, die Verbindung der Kundry nicht allein zwischen dem keuschen Reich der Gralsritter und dem trügerischen Klingsors, sondern auch zum gekreuzigten Christus. Die Diskrepanz zwischen Passionsspiel und Operndramatik scheint damit aufgehoben. Traum und Wirklichkeit erscheinen nicht mehr als Gegensätze, sondern regen die Phantasie der schauenden Zuhörer an. Details wie der schwebende Schwan im Garten der Gralsburg, fallende Blätter oder Schneeflocken, flatternde Vögel im Wald, ja, sogar Schmetterlinge, sowie die Ritter in ihrer Vielzahl im Hintergrund, und vorne auf der Bühne die handelnden Personen und kein ablenkendes Getriebe um sie herum, das wirkt in seiner Naturhaftigkeit ausgesprochen natürlich im besten Sinne.

Die Visualisierungen solcherart gehen auch eine unmittelbare Verbindung zur Musik ein. Das Orchester hinter dem transparenten Gaze-Vorhang ging bildlich und klanglich in die szenische Gestaltung über und brachte die Musik Wagners in der warmen Akustik des Mindener Theatersaals zu voller Entfaltung. Dazu die dynamischen Einsätze des stufenförmig darüber befindlichen, nur erahnbaren Chores, welche Musik und Szene in vollkommene Harmonie zueinander setzten. Eine entmaterialisierte Regieauffassung, die imstande ist,  Störfaktoren auszuschließen, die Beweglichkeit des Films zu erzielen und dennoch eine illusionistische Räumlichkeit zu gewinnen, die bisher auf der Opernbühne unerreicht war. Sie könnte auch für andere musikdramatischen Werke paradigmatisch sein.

Der finnische Tenor Jussi Myllys mit schönem, nicht zu heldischem Tenor verkörpert den naiven Jüngling Parsifal überzeugend mit seiner glatten blonden Hängefrisur und dem schlichten Bauerngewand, an dessen Gürtel blutbefleckte weiße Schwanenfedern hängen, die im  3. Akt der Erlösung und des gereiften Mannes in gewonnener Erkenntnis (Maske: Renata Jeschkowsky und Team; Garderobe: Yasmin Nommensen und Team) wieder schneeweiß sind. Für die innere und äußere Wandlung braucht es da keinen Doppelgänger, sondern nur ein bisschen Maske.

Stimmlich und schauspielerisch eindrucksvoll als Kundry ist die französische Sängerin Isabelle Cals, die sowohl das Mezzo- als auch das Sopranfach abdeckt. Sie verbindet das Tierhafte im 1. Akt, wo sie an einem symbolischen langen roten Band hängt, mit der Verführungskunst im 2. Akt in Klingsors Zauberreich sowie im 3. Akt mit der schlichten, innigen Haltung einer dienenden Maria Magdalena, die ihre Erlösung findet.

Wandelbar und ehrfurchtgebietend ist auch der belgische Bass Tijl Faveyts als Gurnemanz. Nach einer intensiven internationalen Karriere mit einem breit gefächerten, jedoch Wagner-lastigen Repertoire ist er seit 2019/20 Ensemblemitglied an der Komischen Oper Berlin. Von der Länge seiner Rolle her gesehen, ist er das eigentliche Zentrum des Werkes und macht ebenfalls eine Wandlung vom dogmatischen Ordnungshüter der Gralsritter zum erkennenden Bewahrer des Gralswunders durch. Er ist von ganz starker Bühnenpräsenz.

Das lässt sich in anderer Weise auch von dem hessischen Bass Renatus Mészár als Zauber-Fürst Klingsor sagen, der den reinen Tor wie einst Amfortas zu überwinden trachtet, um selbst die Herrschaft über den Gral zu erlangen. Neben den großen Wagner-Partien seines Faches (König Marke, Wotan, Wanderer, Amfortas, Holländer und Hans Sachs)  hat er auch sonst ein breites Rollenrepertoire und ist hier zudem von starker Bühnenpräsenz.

Stimmlich in Ordnung, aber nicht nur von der Rolle her, die den Gralskönig als Verlierer zeigt, ist der Bariton  Roman Trekel als Amfortas weniger eindrucksvoll. Mit kahlem Haupt wirkt er schon von seiner Erscheinung her älter als sein Vater Titurel, der von dem schwedischen Bass John Sax in der Gralsszene stimmgewaltig zu sehen und zu hören ist. Hier kommen auch die Stimmen der Knaben, der Jünglinge und der Ritter zu schöner Geltung. Und als Stimme aus der Höhe lässt die tschechische Mezzosopranistin und Altistin  Lucie Ceralová mit warmer klarer Klangfarbe aufhorchen. Sie tritt im Weiteren noch als Zaubermädchen im Klingsor-Akt auf.

Auch die Gralsritter, der belgische Tenor Willem van der Heyden und der finnische Bariton Juho Stèn kommen in dieser Inszenierung mit mehr Profil als gewohnt zur Geltung. In Doppelrollen als Knappen und als Klingsor`sche Zaubermädchen, die hier nicht Blumenmädchen heißen, sind Nienke Otten, Tiina Penttinen und Amelie Müller zu sehen und zu hören. Als weitere Knappen ergänzen  die Tenöre Nils Sandberg und der Südafrikaner Musa Nkuna

Als zombiehafte Zaubermädchen sind noch Julia Bauer, Christine Buffle und Lilli Wünscher zu nennen. Sie sind keine harmlosen Blumenmädchen, sondern schleppen die von Parsifal abgeschlagenen Köpfe und Gliedmaßen von ihren Gespielen, Klingsors verzauberten und besiegten Rittern, umher, um sich wenig später Parsifal schmeichelnd an den Hals zu werfen und sich um ihn zu zanken. Ziemlich morbide und schaurig-schön!

Insgesamt eine Aufführung, bei der keine Wünsche offen blieben und die mit jubelndem Beifall und ,standing ovations’ bedankt wurde. Und dieser Dank galt nicht zuletzt auch Wagner!                                                                                            

Ursula Szynkariuk

 

 

 

 

 

 

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