Minden Stadttheater Der Ring des Nibelungen – jetzt das gesamte Bühnenfestspiel
zweiter und letzter Zyklus 26. September bis 6. Oktober 2019
Wenig vergleichbare Erlebnisse kann Theater bieten, als wenn innerhalb kurzer Frist hintereinander aufgeführt wird das Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner mit seinem Vorabend Das Rheingold und den drei Tagen Die Walküre, Siegfried und Götterdämmerung.
Dies wurde jetzt wieder nachvollziehbar sogar im kleinen Stadttheater Minden (Intendantin Andrea Krauledat). Als das Riesenprojekt dort vor vier Jahren mit der Aufführung des Rheingold begann, waren doch leise Zweifel zu hören, ob es bis zur Götterdämmerung weitergeführt werden könne. Nicht nur gelang dies grandios, sondern als gewaltiger krönender Abschluß konnte in diesem Jahr zweimal das gesamte Werk zyklisch aufgeführt werden.
Mehr als bei Aufführung der einzelnen Teile wurde deutlich, daß die stimmige Inszenierung von Gerd Heinz eben nicht nur für den jeweiligen Abend, sondern von Beginn an auf die gesamte Handlung konzipiert war. Der das Bühnenbild von Frank Philipp Schlössmann beherrschende jeweils in verschiedenen Farben leuchtende Ring im grossen Viereck (Licht Michael Kohlhagen) paßte als Rahmen für alle vier Abende, ergänzt durch zahlreiche, den szenischen Erfordernissen und der verhältnismässig kleinen Spielfläche angepaßte Einbauten, über Treppen zu erreichende Anbauten und Unterbauten. Den größten Teil der Bühne nahm wie bei allen bisherigen Wagner-Aufführungen das hinter einem Gazevorhang sichtbare Orchester ein.
„Das Rheingold“. Copyright: Friedrich Luchterhandt
Der zeitlich kurze Abstand zwischen den Aufführungen machte auch die Entwicklung der Kostüme parallel zu geschichtlichen Epochen noch sinnfälliger (auch Frank Philipp Schlössmann) , nämlich vom vorzeitlichen Einheitsgrau im Rheingold, über das teils vornehme Mittelalter in der Walküre, über Techniker und Jäger in zerstörter Natur im Siegfried bis hin zu schwarzer Kleidung und moderner Nachrichtentechnik wie Laptops für die Nornen in der Götterdämmerung. Als am meisten Leidtragende und Hauptakteurin behielt einzig Brünnhilde ihr leuchtend – rotes Kleid bei allen ihren Auftritten bei bis auf ein weisses Hochzeitsgewand für die kurze Zeit als Gunthers Braut. Auch die über der Bühne auf dem Gazevorhang gezeigten Videos von Matthias Lippert zeigten eine ähnliche Entwicklung. Die zeigten ausser dem bis zum Schluß immer wieder aufleuchtenden Ring erklärende Motive wie Stacheldraht, Spinnen, Hunde und Pferde, fallende Felsbrocken oder Regenbogen bis zu Algorithmen (vielleicht auch Runen?) zu Beginn der Götterdämmerung.
Durch die Nähe der Spielfläche konnte der Regisseur in ausgefeilter Personenführung durch kleine Gesten die Emotionen der Mitwirkenden dem Zuschauer viel direkter vermitteln, als wenn diese ein grosser Orchestergraben trennt. Dabei gelang es, neben den ja auch manchmal etwas heiteren alltäglichen Verhaltensweisen darzustellen, daß es um den monumentalen Kampf zwischen verderblicher Macht des Goldes und menschlicher Zuneigung ging und nicht nur um ein auf Pump gekauftes Haus.
Bei Besprechung aller Teile und jetzt natürlich vor allem beim gesamten Ring wurde zu Recht immer gepriesen die Leistung der aus Herford stammenden Nordwestdeutschen Philharmonie.
Einstudiert und geleitet von Frank Beermann wurde sie im Laufe der Aufführungen in Minden sich immer steigernd zu einem hervorragenden Wagner-Orchester, das durch die Platzierung sichtbar hinten auf der Bühne dem Besucher das musikalische Geschehen zusätzlich optisch verstärkte. Dies galt in ganz besonderem Masse für die Zwischenspiele, insbesondere natürlich im Siegfried und der Götterdämmerung. Besonders erwähnt sei der Beginn des Rheingold mit den hier sichtbaren Kontrabässen, der typische düstere Klang der Bläser etwa in den Vorspielen des Siegfried , immer wieder Einsätze der Klarinetten und Baßklarinetten oder das kantable Spiel der Violinen etwa im dritten Akt Siegfried oder der Celli beim Morgengrauen der Götterdämmerung. Auch gelobt seien Soli einzelner Instrumente stellvertretend für viele das Solo des Cello in der Walküre, die immer makellos gespielten Hornrufe Siegfrieds oder die eigens angefertigten drei Stierhörner in der Götterdämmerung. Die Tempi differenzierte der Dirigent je nach Handlung zwischen ziemlich rascher Bewegung und Ruhepunkten, etwa der Fast-Stillstand zum Ende des Vorspiels der Götterdämmerung, in der dann später symphonische und polyphone Strukturen deutlich wurden. Ein Höhepunkt dieser Art war die vom hier sichtbaren Orchester gespielte Trauermusik zum Tode Siegfrieds.
Erfreulich war, daß für fast alle Rollen von Beginn bis zum Schluß dieselben Sänger verfügbar waren. Davon waren zwei insofern Stars des ganzen Rings, da sie in allen vier Teilen auftraten. Das galt vor allem für Thomas Mohr in den Rollen von Loge, Siegmund und der beiden Siegfriede. Da gelangen schnelles Parlando im Rheingold , Legato-p-Kantilenen etwa in der Walküre und im dritten Aufzug Siegfried. Als Gunther verkleidet konnte er in der Götterdämmerung wenige Takte in seinem früheren Stimmfach Bariton singen. Für Wälse-Rufe und beide Siegfriede verfügte er über scheinbar unerschöpfliche heldentenorale Stimmreserven.
„Die Walküre“. Copyright. Friedrich Luchterhandt
Über diese aber als Bariton verfügte auch Renatus Mészár als kraftvoll-überheblicher dann immer verzweifelter werdender Wotan, als etwas humorvoller, zum Schluß dramatischer Wanderer und in der Götterdämmerung als eitler Schwächling Gunther. Perfekt paßte er das Timbre seiner Stimme der jeweiligen Situation an.
Als erst übermütig und jugendlich, dann ergreifend und gedemütigt im Spiel und in Bezug auf den kleinen Theaterraum sehr hochdramatisch aber sehr präzise und mit leuchtender Stimme singend gestaltete Dara Hobbs die zentrale Partie der Brünnhilde. Das beeindruckte besonders bei der Erweckung im Siegfried, in den Verzweiflungsausbrüchen im zweiten Aufzug und dem feierlichen Schlußgesang im dritten Aufzug der Götterdämmerung bis zum stimmlich zurückgenommenen lang angehaltenen „Ruhe du Gott“ um dann noch einmal Grane vom hohen b zum tiefen es herunterwiehern zu lassen. Magdalena Anna Hofmann war stimmlich ergreifend als Sieglinde besonders im intensiven hehrsten Wunder. Zusätzlich übernahm sie die undankbare Rolle der Gutrune. Urmutter Erda war Janina Baechle.
Eindringlich sang Heiko Trinsinger im Rheingold als Alberich den unheilbringenden Fluch und übernahm diese Partie jetzt auch im Siegfried und der Götterdämmerung. Mime spielte intensiv und sang dazu passend wie schon vor zehn Jahren in Dortmund Jeff Martin. Mit ganz grosser Bassstimme und wenn nötig ebensolcher Bosheit darin gestaltete Andreas Hörl den Hagen.
Zwei kürzere aber entscheidende und publikumswirksame Rollen übernahm Kathrin Göring als selbstbewußte Fricka und verzweifelte Waltraute. Neben den eckigen Bewegungen und passenden Koloraturen als Waldvogel trat Julia Bauer auch noch auf als Freia, eine Walküre, eine Rheintochter und dritte Norn. Christine Buffle und Tiina Penttinen ergänzten als Rheintöchter und Nornen das grosse Ensemble.
Wieder setzte sich der mächtig und exakt singende Mannenchor in der Götterdämmerung hinter dem Orchester platziert aus ausgesuchten Laien und professionellen Sängern zusammen, einstudiert unter der Bezeichnung Wagner Chor 2019 Minden vom Kantor Thomas Wirtz.
„Götterdämmerung/ 3. Aufzug. Copyright. Friedrich Luchterhandt
Der Untergang Walhalls wurde ausreichend akustisch durch das jetzt in passender Beleuchtung sichtbare Orchester dargestellt. Zum Erlösungsmotiv betraten dann alle Mitwirkenden unerkannt die Bühne. Nach dem abschliessenden Des-Dur-Akkord erhob sich nach kurzer Besinnungspause ganz starker Beifall mit vielen Bravos der zum Teil weit, sogar aus Australien und Schottland angereisten Zuschauer. Dieser galt natürlich vor allem dem Dirigenten, dem Orchester, allen Sängern aber auf ausdrückliche Aufforderung durch alle auch der Initiatorin des Wagner-Theaters im kleinen Minden, Frau Dr. Jutta Hering-Winckler, der Vorsitzenden des örtlichen Wagner-Verbandes. Auch dank ihres persönlichen Einsatzes konnten neben öffentlichen Mitteln wenige grosse und über 200 kleine Spender zur Finanzierung des gewaltigen Vorhabens gewonnen werden. Traurig wäre das, traun, wenn für diesen Aufführungen im Mindener Modell (kleine Spielfläche vorne nahe am Zuschauer – grosses Orchester sichtbar dahinter) mit soviel ehrenamtlichem und privatem Engagement Waltrautes Ankündigung gelten müßte noch einmal zum letzten Mal!
Sigi Brockmann 8. Oktober 2019