MILOŠ FORMAN
Erinnerungen an Amadeus-Dreharbeiten
„Das Stück sowie der Film Amadeus ist nur eine aus verschiedenen fiktiven Versionen, die über Mozarts Tod in den Wiener Couloirs in Umlauf waren.“
Mit Miloš Forman sprach Markéta Jůzová.
Milos Forman im Jahr 2009. Foto: Wikipedia
Im Jahr 2013 hat Miloš Forman für seine Verdienste um die Verbreitung Mozarts die Goldene Mozart-Medaille der Stiftung Mozarteum erhalten. In diesem Jahr feierte der weltbekannte Filmregisseur seinen 85. Geburtstag. Wie erinnert der amerikanische Filmemacher tschechischen Ursprungs in dieser Zeit an Amadeus-Dreharbeiten?
Während der Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika wurde er für seine Arbeit an den Filmen „Einer flog über das Kuckucksnest“ (1976) und „Amadeus“ (1985) mit zwei Oscars ausgezeichnet.
Sein Film „Amadeus“ wurde damals mit acht Oscars als einer der besten Filme aller Zeiten gewürdigt …
Herr Regisseur Forman, das Theaterstück „Amadeus“ und seine filmische Adaptation vom britischen Autor Peter Shaffer ist eine dramatische Fiktion, die auf der wahren Lebensgeschichte des genialen österreichischen Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart basiert. Peter Shaffer gewann den Drehbuch-Oscar und zusammen mit dem tschechischen Musik-Popularisator Zdeněk Mahler und mit dem britischen Dirigenten Sir Nevill Marriner, dem Spezialisten der Musik des 18. Jahrhunderts, machten sie sich um eine glaubwürdige Rekonstruktion der musikalischen Epoche verdient. Wie nahmen Sie Mozarts Musik aus der Sicht des Regisseurs wahr?
Die klassische Musik vereint sich ideal mit der modernen Filmerzählung. Besonders, wenn es um einen historischen Film geht. Die Musik von Wolfgang Amadeus Mozart trug in hohem Maße zur emotionalen Wahrnehmung des Films bei.
Sie verwendeten in „Amadeus“ zum ersten Mal in Ihrer Filmkarriere eine retrospektive Erzählung. Warum benutzten Sie Salieris Beichte bei dieser filmischen Methode?
Ich blieb getreu dem Konzept des Theaterstückes „Amadeus“ von Peter Shaffer, bei dem der alte Salieri seine Geschichte direkt ins Publikum erzählt. Ich ersetzte nur den Theaterzuschauer durch den Priester, so dass Salieris Reden zur Beichte wird. Es wäre zu theatralisch, wenn Salieri von der Leinwand direkt zum Kinozuschauer spräche.
Für den Filmrealismus wählen Sie sehr sorgfältig die Besetzung. Die Schauspieler schätzen hoch Ihre Arbeitsmethode, bei der sie eigene Gefühle zum Ausdruck bringen können. Sie heben Ihren außerordentlichen professionellen Instinkt hervor. Sie studierten an der Filmfakultät der Akademie der musischen Künste in Prag nicht Filmregie, aber Szenaristik und Dramaturgie. Welche sind die wichtigsten Prioritäten für Sie bei der Besetzung von Schauspielern?
Im Fall des Films „Amadeus“ hielt ich es für wichtig, dass für die Zuschauer recht unbekannte Schauspieler Salieri und Mozart spielten. Ich wollte nicht, dass die Zuschauer bekannte Gesichter von populären Schauspielern sehen, sondern dass sie sich mit Mozart und Salieri identifizieren können.
Der amerikanische Schauspieler Tom Hulce wurde für die Rolle „Amadeus“ zum Oskar nominiert. Wo entdeckten Sie ihn und wie wichtig waren für Sie zeitgenössische Lithographien mit dem Abbild von Wolfgang Amadeus Mozart?
Für die beiden Hauptrollen testete ich über einhundert Schauspieler. Tom Hulce kam Mozart am nächsten – sowohl mit seinem Gesicht, als auch seinem Talent. Es ist interessant, dass Mozart auf jeder der zeitgenössischen Lithographien anders aussieht, so dass niemand weder ihn, noch Salieri im Voraus kannte. Daher konnte man sich mit ihnen im Film besser identifizieren.
Die Rolle des mittelmäßigen italienischen Komponisten Antonio Salieri spielte der US-amerikanische Schauspieler F. Murray Abraham, der dadurch den Oscar als bester Hauptdarsteller gewann. War die Darstellung seiner Filmrolle einfacher für Ihre Regieleitung?
F. Murray Abraham ist ein hervorragender Schauspieler und es reichte vollauf, ihm zu erklären, dass Salieri zu Anfang der Erzählung Mozart bewundert, aber dann sich seine Bewunderung für ihn langsam zur Eifersucht und schließlich zum Neid ändert. Den Rest der Rolle stellte der Schauspieler schon selbst dar.
Unter dem Einfluß des Films „Amadeus“ glauben viele Leute, dass Antonio Salieri den Tod Mozarts herbeiführte. Warum entschieden Sie sich für diese Version?
Viele Leute, die Mozart mit seinem Talent und seiner geführten Lebensweise provozierte, nahmen an seinem Tod Anteil. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Salieri Mozart „physisch tötete“, wenn auch z. B. Alexander Sergejewitsch Puschkin davon überzeugt war. Er schrieb sogar ein Theaterstück darüber.
Aus dem Tagebuch, in das Freunde von Ludwig van Beethoven Neuigkeiten aus dem Wiener Leben niederschrieben, erfahren wir, dass Salieri an der Neige seines Lebens sich für Mozarts Tod entschuldigt hatte, aber zu dieser Zeit nahm Salieri niemand mehr ernst.
Das Stück sowie der Film „Amadeus“ ist nur eine aus verschiedenen fiktiven Versionen, die über Mozarts Tod in den Wiener Couloirs in Umlauf waren. Weder im Stück, noch im Film, wird Salieri nicht als Mörder bezeichnet. Salieri behauptet sogar in den letzten Szenen, dass nicht er, aber Gott selbst Mozart tötete, dass er dem genialen Komponisten die Fertigstellung der Komposition verhinderte, weil Salieri ihm die Komposition stehlen und sie als eigenes Werk herausgeben wollte.
Schrieben Sie während der Vorbereitung auf den Film ein Regiebuch mit Szenen oder suchten Sie direkt auf dem Platz der ausgewählten Lokation ein Arrangement?
Es ist für mich immer leichter, meine Vision in die Realität vor meinen Augen umzusetzen als es zu versuchen, die Realität in irgendwelchen am Tisch ausgedachten Vorstellungen hineinzuzwängen.
Ihr tschechischer Kollege Theodor Pištěk gewann den Oscar für das beste Kostümdesign. Seine prächtigen Kostüme trugen wesentlich zum Erfolg des Films bei. Akzeptierten Sie immer seine Ideen und Entwürfe?
Theodor Pištěk ist ein so hervorragender Kostümbildner, dass ich mich nicht traute, ihm da hineinzureden.
Es ist Schade, dass Sie den Film auch in Salzburg nicht drehen konnten. Wienerische Außen- und Innenbereiche fanden Sie viel zu teuer, so wählten Sie Prag als Hauptort der Dreharbeiten. Die Metropole verlieh dem Film eine tolle Atmosphäre des 18. Jahrhunderts und Authentizität von Mozarts Wirkung im Nostitzschen Theater (dem heutigen Ständetheater). Für Sie persönlich bedeuteten die Dreharbeiten nicht nur die Rückkehr ins Heimatland, sondern auch die Arbeit mit Ihren hervorragenden tschechischen Kollegen. Mit welchen Gefühlen drehten Sie den Film in der kommunistischen Atmosphäre des Lebens in der tschechoslowakischen Hauptstadt?
Mit Rücksicht zur Architektur des 18. Jahrhunderts konnte der Film in Wien, Budapest oder Prag gedreht werden. In Wien gefiel das Drehbuch den zuständigen Beamten ganz und gar nicht, so dass sie mir nicht erlaubten, Materialien im Archiv der Erzdiözese Salzburg zu studieren. Überdies wäre Wien unchristlich teuer. Budapest willigte ein und die Stadt wäre billiger als Prag, aber ihre Architektur des 18. Jahrhunderts ist mit modernen Gebäuden sehr verwoben. In Prag dagegen findet man viele Örtlichkeiten, wo man mit der Kamera einen 360 Grad-Schwenk machen kann, ohne ein Filmfenster wechseln zu müssen. In Prag verläuften die Dreharbeiten in Ruhe. Selbstverständlich waren wir uns bewusst, dass die Geheimpolizei uns bei jedem Schritt folgte, aber das hinderte uns nicht, weil sie auch wussten, dass, wenn sie uns Prügel zwischen die Beine geworfen hätten, würde die tschechische Bank unsere dortigen Gelder verlieren.
Ihr Film gewann auch zwei Oscars für das beste Szenenbild und für das beste Make-up. Bei der Vorbereitung auf die Dreharbeiten ließen Sie sich inspirieren in den Galerien…
Der Kameramann Miroslav Ondříček studierte in den Galerien Bilder von Jakub Schikaneder.
Seit Ihrer Jugendzeit kennten Sie seinen tschechischen Kameramann Miroslav Ondříček. Was schätzten Sie besonders an ihm während der Dreharbeiten zum Film „Amadeus,“ wofür er erstmals für den Oscar nominiert wurde?
Seine Augen. Wie farblich und bildlich sah er die Geschichte und die Zeit, in denen sich die Handlung des Films abspielt.
Die Tonaufnahme ist eine der Besten in der Geschichte der musikalischen Kinematographie. Auch in der Kategorie „Bester Ton“ gewannen sie den Oscar, für den besten Schnitt hatten sie die Nominierung für den Oscar. Wie drehten Sie die Opernszenen?
Die Opernszenen drehte ich mit mehreren Kameras gleichzeitig, weil man von Tänzern und Sängern nicht fordern kann, dass sie ihre Auftritte z. B. zehnmal nacheinander wiederholen würden.
Der Film „Amadeus“ wurde durch Oscar in der Kategorie „Der beste Film“ ausgezeichnet. Die goldene Statuette erhielt der Hollywood-Produzent Saul Zaentz, der eng mit Ihnen bei Filmen wie „Einer flog über das Kuckucksnest“ und „Goyas Geister“ zusammenarbeitete. Wie würden Sie Ihre Zusammenarbeit charakterisieren?
Die Zusammenarbeit mit dem Produzenten Saul Zaentz verläufte in unbedingter Harmonie. Überdies schätze ich in hohem Maße seine Zustimmung bei der Besetzung der Hauptrollen mit unbekannten Schauspielern, für die sich alle Hollywood-Studios weigerten, den Film zu finanzieren, und er musste das Geld für den Film auf eigene Faust organisieren.
Den Oscarprämierten Film „Amadeus“ drehten Sie im Jahr 1984, erst nach siebzehn Jahren veröffentlichten Sie in den Kinos seine längere Version unter dem Namen „Amadeus – Director´s Cut“. Warum stellten Sie nicht schon früher sie vor?
Das war meine eigene Entscheidung, welche ich heutzutage bedauere. Wenn man einen Film macht, so weiss man nie, wie es ausgeht, bis wann man einen Film den Zuschauern laufen lässt.
In der Zeit, als „Amadeus“ in den letzten Phasen der Vollendung war, brach die Ära der musikalischen Videoklips an, bei denen Musik und Schnitt im Rock-Tempo laufen, und ich geriet in Panik.
Mein Film handelt vom klassischen Komponisten mit Perücke und Kostüm und über klassische Musik. Der Film war damals über drei Stunden lang. Ich befürchtete, dass es niemand so lange heutzutage im Kino aushält. Und so schnitt ich alles heraus, was die Handlung nicht voran brachte.
Nachdem man sich dazu entschied, den Film auf DVD zu veröffentlichen, gab ich alle ausgeschnittenen Szenen wieder zurück, denn der Zuschauer kann den Film zu Hause stoppen, macht sich vielleicht eine Tasse Kaffe und kann ihn dann weiterschauen. Nach dem DVD-Erfolg fügte ich alle ausgeschnittenen Szenen zum Film wieder ein und der Film läuft in den Kinos wie „Director´s Cut“.
In Prag fand die Weltpremiere des Films „Amadeus – Director´s Cut“ im Jahr 2002 im Ständetheater statt. Wie nahmen Sie sie in der Umgebung Ihres Heimatlandes wahr?
Die Premiere dieses „Director´s Cut“ fand in Prag statt, im Ständetheater, wo Mozart persönlich die Weltpremiere seiner Oper „Don Gionvanni“ dirigierte. Peter Shaffer brach vor Rührung in Tränen aus, und ich fast auch.
Was bedeutet Ihnen Mozart heute?
Mozart ist für mich einer der Gipfel der klassischen Musik.
Markéta Jůzová.