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MILANO/ Teatro alla Scala LADY MACBETH VON MZENSK. Schostakowitschs „Opfer-Täter-Umkehr“ oder des Publikums Mitleid mit einer Mörderin

14.12.2025 | Oper international

13.12. 2025 – Milano/Teatro alla Scala LADY MACBETH VON MZENSK

Schostakowitschs „Opfer-Täter-Umkehr“ oder des Publikums Mitleid mit einer Mörderin

Lady Macbeth de Mzensk (Werk - Dmitri Dmitrievitch Chostakovitch/Alexander  Preis) | Opera Online - Die Website für Opernliebhaber

Eine dreifache Mörderin, eine Person, die sich unliebsamer Gesellen aus dem nächsten Umfeld, die ihre Wünsche und Begehrlichkeiten stören, im Handumdrehen entledigt, und trotzdem Verständnis für ihr Tun?

Dmitri Schostakowitsch schafft es, in seinem 4-aktigen Opus nach Nicolai Leskows gleichnamiger Erzählung ein Werk zu schaffen (Uraufführung 1934), in dem sich der Zuschauer mit der Hauptdarstellerin identifiziert, Verständnis und Mitleid für ihr in ihrer Logik stringentes Handeln entwickelt und sich zu irgendeinem Zeitpunkt plötzlich bewusst wird, dass sie eine Straftäterin, gar eine Mörderin ist. Der Sog der expressionistischen Musik voller unterschiedlicher Klangfarben (Häufig dominieren die Blechbläser, die fragilen Momente sind den Streichern vorbehalten) in größtmöglicher Orchesterbesetzung ist so gewaltig, dass ein Entrinnen nahezu unmöglich ist. Trotz der allumfassenden Präsenz der Hauptdarstellerin gehören die letzten Phrasen dem Chor der Zwangsarbeiter, die in an Mussorgski gemahnenden Klängen ihr unentrinnbares Schicksal beklagen.

An der Scala wurde diese Oper – allerdings in der Zweitversion Katerina Ismailova – 1964 mit Inge Borkh in der Titelrolle zum ersten Mal aufgeführt. Danach fanden in unterschiedlichen Besetzungen Produktionen der ursprünglichen Fassung statt.

Riccardo Chailly hat mit seiner voraussichtlich letzten Scala-Saisoneröffnung viel riskiert und viel gewonnen, indem er das an italienischen Bühnen im Vergleich zu den Inaugurazione-Opern der letzten Jahre selten gespielte Werk für den Sant’ Ambrogio-Tag ansetzte. Der Erfolg war für Dirigenten, Regie und Darsteller überwältigend – somit alles richtig gemacht! Er selbst war nach dem Abbruch auf Grund gesundheitlicher Probleme in der 2. Aufführung der Serie bei der von der Rezensentin besuchten 3. Vorstellung wieder ans Pult zurückgekehrt und meisterte die 3 Stunden höchst anspruchsvoller Musik gemeinsam mit dem blendend disponierten Chor und dem hervorragenden Orchester der Scala überwältigend.

Vasily Barkhatov, dem Wiener Publikum von seinen Inszenierungen von Weinbergs Der Idiot und der Norma jeweils im Theater an der Wien in guter Erinnerung, war die Aufgabe übertragen, ein kongeniales Setting für die Choreographie der zwischen Ausbeutung, Leidenschaft und Verzweiflung schwankenden Kaufmannsgattin Katerina Ismailova zu kreieren. Er schafft eine beklemmende Verhörsituation mit projizierten Versatzstücken aus Polizeiprotokollen. Die Geschichte wird – bis zur Entdeckung der Leiche des ermordeten Gatten Sinowi Ismailov – in Rückblenden erzählt. Dominiert wird das Bühnenbild (Zinowy Margolin) von einem eleganten Speisesaal, die kleineren Räumlichkeiten, die die Spielorte der intimeren Szenen sind, werden in diesen hineingeschoben und lassen somit eine bessere Fokussierung auf die Interaktion der Protagonisten zu. Das letzte Bild beginnt mit einem Coup: Der Lastkraftwagen mit den Kriegsgefangenen bricht krachend seitlich in die ohnehin schon durch den Polizeieinsatz gestörte Hochzeitsidylle ein und bildet dann die Szenerie nach der Verurteilung des Mörderpaares.

Mörderisches verlangt Schostakowitsch von seiner dauerpräsenten Titelheldin: Ihre Entwicklung von einem Opfer der Frauen als Ware betrachtenden Männergesellschaft über die Befreiung daraus im Wege einer – fehlgeleiteten – Emanzipation bis hin zur unglücklich liebenden, den Geliebten aber nicht bei sich halten könnenden Gemahlin ist in 4 Akte vornehmlich höchst dramatische, dann wieder zarte Musik gepackt. Die US-Amerikanerin Sara Jakubiak liefert eine mehr als beachtenswerte Leistung ab: Ihre Stimme voller Attacke fügt sich wie selbstverständlich in den zumeist sehr expressiven Duktus der Musik, hin und wieder gelingen die Höhen nicht unfallfrei, die Darstellung allerdings von Wut, Begehren und Hoffnungslosigkeit ist mehr als überzeugend.

Mit dem Usbeken Najmiddin Mavlyanov hat sie einen vergleichsweise sympathischen Sergei an ihrer Seite, der vor allem die liebevollen Aspekte des subalternen, merkantile Höhenluft witternden Handelsangestellten zur Schau trägt. Er verfügt über eine eher metallische, gut geführte Stimme mit strahlenden Höhen, die in den lyrischen und dramatischen Momenten gleichermaßen funktioniert.

Ekelhaft und brutal übergriffig ist der weißrussische Bass Alexander Roslavets als Boris Ismailov, der jede noch so sadistische Facette des Schwiegervaters der Katerina bis zum Exzess hin auskostet. Stimmlich und darstellerisch präsent hat er das Mitleid nicht auf seiner Seite, wenn er verursacht durch ein mit Rattengift getränktes Pilzgericht sein Leben endgültig aushaucht.

Sinowi Ismailov, dem an seiner Frau sexuell desinteressierten, wohl impotenten Gatten der Katerina, ist von Schostakowitsch keine große Rolle zugemessen. Aufgeblasen, liebesunfähig, aber doch herrisch-beleidigt ist auch sein endgültiger Abgang niemandem eine Träne wert – stimmlich beim Tenor Evgeny Akimov in besten Händen.

Die ukrainische Sopranistin Ekaterina Sannikova liefert als missbrauchte Küchengehilfin Aksinja mehr als eine Talentprobe ab, während Elena Maximovas Sonjetka – die russische Mezzosopranistin wird in der aktuellen Intendantenära an der Wiener Staatsoper leider viel zu wenig eingesetzt – mit ihrem koketten Tun ihren eigenen Untergang und den der Titelheldin gleichermaßen besiegelt.

Sonjetka und Katerina ertrinken bei Barkhatov nicht, sondern laufen von Katerina angezündet als brennende Fackeln über die Bühne. Danach suchen die Zwangsarbeiter ihre Leichen nach Habseligkeiten ab. Starke Bilder an einem starken Abend.

Sabine Längle

 

 

 

 

 

 

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