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MIKULOV/Nikolsburg/ Amphitheater: WAGNER IM MÄHRISCHEN WEINVIERTEL. TEIL 1 „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“

19.08.2020 | Oper

 

Wagner im mährischen Weinviertel

Im Amphitheater von Mikulov, das über 2000 Plätze bietet, aber nur im Mittelteil mit vielen Freiräumen zwischen diversen Personen und Personengruppen besetzt war, hat sich etwas abgespielt, worum Bayreuth die hübsche tschechische Stadt nur beneiden kann. Das dank Corona mit Stars aufwartende Unterfangen hatte zwei leidenschaftliche Streiter um dieses Event: den Tenor Peter Svensson und die Festspielpräsidentin Dr. Eva Walderdorff, eine offensichtlich glühende Wagnerianerin, die vor jeder Aufführung ihre Begrüßungsworte mit vorgelesenen Wagner-Zitaten würzte und die man vor, während und nach den Aufführungen vor Begeisterung überschwappen sah. Svensson, durch weltweite Auftritte in des Meisters Heldenrollen in Durchhaltekraft geschult, ließ neben seiner Begeisterung stets auch Vernunft walten. Es gab keine Klagelieder, wenn es wieder einmal zu regnen begann. Und wenn, wie bei der „Tristan“-Premiere am 15.8., jeder Akt unterbrochen werden musste, so wurde guten Mutes angesagt, dass man sich in Geduld üben möge, denn vor allem die Streichinstrumente würden auch durch wenige Tropfen so geschädigt, dass sie unbrauchbar würden.

 

Ein weit größeres Hindernis war der Ausfall des Brünner Orchesters, das engagiert worden war, weil zum geplanten Zeitpunkt der Saisonbeginn im Opernhaus noch nicht vorgesehen war: 5 Tage vor der Eröffnungspremiere von „Tristan und Isolde“ wurde es für den vorgezogenen Saisonbeginn abberufen.  Es gelang Svensson, ein Wiener Orchester für „Tristan“ zu finden und ein Symphonieorchester aus Györ für den „Holländer“. Beide hatten diese Wagner-Opern noch nie gespielt. 5 Tage vor dem Aufführungstermin erhielten sie die Noten zum Eigenstudium und für die konzentrierten Proben. Am Tag der geplanten „Tristan“-Premiere (13.8.) fand die sogenannte Generalprobe statt, die die erste Probe zusammen mit den Sängern war. Bis zur verschobenen Premiere auf den Zweittermin, den 15.8., durften die Musiker dann noch proben.

Beide Dirigenten haben Unglaubliches geleistet. Der Musikdirektor des Festivals, Matthias Fletzberger aus Wien, bewies ebenso gute Nerven wie ein Können, das zusammen mit den überaus willigen Instrumentalisten zu einem wirklich beachtlichen Ergebnis führte. Ebenso der junge Ungar Levente Török,  dem ein konzentrierter, packender „Holländer“ gelang, nachdem es zwei Stunden geschüttet hatte, „mit Gewitter und Sturm“, und es noch einer Trockenlegungsstunde bedurfte, ehe man im Freien die Instrumente aufstellen und -legen konnte und für die Zuschauer die Sitzplätze mit Plastikunterlagen einigermaßen benützbar  gemacht hatte. Der „Tristan“, der in jedem Akt unterbrochen werden musste, zerfiel dann natürlich und nachdem man sich entschlossen hatte, den 2. Akt zu kürzen und vom 3. Akt nur das Vorspiel und das Finale ab Tristans Vision von der nahenden Isolde zu spielen, hörte man dennoch keine Klagen, es gab nur Freude, dass die Aufführungen überhaupt zustande kamen. Ende der Vorstellung: 1 Uhr früh.

Der Großteil des Publikums kam in Autobussen aus Wien. In Tschechien war überhaupt keinerlei Werbung für dieses Festival gemacht worden. Wer im städtischen Verkehrsbüro diesbezüglich vorsprach, dem wurde gesagt: „Das machen alles die Österreicher, das geht uns nichts an.“

Dass es bei Freilichtaufführungen Geräusche zu verkraften gilt, die durch vorbeifahrende Autos, von einem benachbarten Kinderspielplatz oder einer Weinstube, oder auch von Flugzeugen, vorbeifliegenden Vögeln oder bellenden Hunden in der Nachbarschaft unvermeidlich sind, ist klar. Vermeidbar wären sicher die lauten Gespräche des technischen Personals im Hintergrund der mittleren Sitzreihen, die den Verdacht nahe legten, dass diese Herren keine Ahnung von den aufgeführten Stücken hatten, um zu wissen, dass es in Opern auch piano-Stellen und andere delikate Momente und Szenen gibt.

Das übrige Personal vor und hinter der Bühne bestand größtenteils aus Freunden bzw. Angehörigen der Leitung. Programmhefte zu drucken hatte man nicht geschafft. Es mussten die gedruckten Vorschauen und das Internet herhalten, oder man erfragte die Namen der Akteure. Das war aber das mindeste Problem.


Das Holländer-Schiff. Foto: Sieglinde Pfabigan

 

14.8.: Premiere „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“

Vor wechselnden Projektionen von heftig bewegtem Meer und Gewölk, alles farbreich und fantasievoll, spielte sich die Handlung auf der breite Bühne sehr verständlich ab. Die Chorsänger mit Notenbüchern in Händen und in nicht eben sehr verständlichem Deutsch waren im Hintergrund der Bühne aufgereiht. Einfache schwarze Kostüme waren auch im „Tristan“ die Regel. Die spinnenden Damen drehten imaginär ebenfalls stehend ihre Räder.

Aber die Solisten machten in beiden Wagner-Opern alles nicht nur wieder gut, sondern konnten größtenteils  begeistern. Auch Sänger mit etwas schwächeren Stimmen waren als Figuren präsent.

Schon während der Ouvertüre traten Senta und Mary auf. Marisa Altmann-Althausen als Betreuerin Sentas und der Spinnerinnen schritt bedeutungsvoll mit einem großen Buch in den Armen quer über die Bühne und gesellte sich zu der auf einem kleinen Hügel sitzenden Tochter Dalands, die ebenfalls in einem großen Buch las. Anna Gabler, ein hübsches, schlankes Mädchen, glaubhaft als große Träumerin, deutete bereits an, worauf sie ihr Hauptaugenmerk zu lenken gedachte, während die anderen profanen Tätigkeiten nachgingen. Mit ihrem schlanken, höhensicheren Sopran entführte sie uns in ihre Traumwelt, die ihr weder der wohlmeinende Vater, der schon etwas bejahrte, aber sehr bühnenpräsente  Franz Hawlata, noch der liebende Erik, der schönstimmige Michael Heim, ausreden konnten. Die gute Mary, deren Rolle hier durch den Regisseur sehr aufgewertet wurde, legte den Verdacht nahe, dass ihr Sentas Traumwelt auch nicht ganz gleichgültig war. Ihre schöne Mezzostimme suggerierte aber mehr Vernunft als der helle, exponierte Sopran der Dalandstochter.


Die Spinnstube. Foto: Sieglinde Pfabigan

Bereits bis zu diesem Zeitpunkt hatten auch die „Bühnenbilder“ für visuelle Überraschungen gesorgt. Farbenreich, gespenstisch, dann wieder quasi Zugänge zu fantastischen Welten eröffnend, deutete ein plötzlich stillstehender Schiffsbug im Hintergrund die musikalisch ja eindeutig deklarierte Ankunft des Gespensterschiffes an. Bei leerer Bühne und orchestral anhaltender Spannung. Dann passierte etwas noch nie Erlebtes. Aus dem Hintergrund rechts von der Bühne erschien Tomasz Konieczny in einem hellen Anzug, wie erstarrt ob seiner nunmehr unleugbaren Einsamkeit. Nach all den grausamen Jahren auf wilden Meeren ein Mensch wie du und ich. Das spielte der Sänger mit einer derartigen Konzentration aus, dass es einem heiß und kalt über den Rücken lief, während er sich ganz, ganz langsam Schritt für Schritt der Mitte zu wagte. „Die Frist ist um...“ Das hörte sich so grausam wie hoffnungslos an. Und Koniecny bewies mit seiner unwahrscheinlichen verbalen Intensität, hinter der unsägliche Gefühle und Gedanken spürbar sind,  dass es die denkbar grausamste Existenz ist, die ihm zuteil ward. Das Orchester begleitete ihn nicht nur, sondern half mit, seinen Lebensbericht anschaulich zu machen. Zu diesem eindringlichen Monolog bedarf es nicht der schönsten aller Baritonstimmen, im Gegenteil, die Härte und Eindringlichkeit dieser speziellen Stimme passte genau zur Aussage dieses grausamen Monologs. Dass der Sänger sich fast jeder Gestik enthielt, vielmehr alles nur vokal, dur h seine Haltung und mit dem passenden Gesichtsausdruck zum besten gab, erhöhte die Wirkung. „Wenn alle Toten auferstsehn, dann werde ich in Nichts vergehen, Ihr Welten, endet euren Lauf! Ew’ge Vernichtung, nimm mich auf!“ – Während die Mannschaft aus dem Schiff das leise wiederholte, konnte das Publikum seine Anerkennung dieser sängerdarstellerischen Meisterleistung nicht mehr zurückhalten und bejubelte den Sänger.


Tomasz Konieczny, Anna Gabler. Foto: Gesine Görlich-Fletzberger/ Weinviertler Festspiele

Mit Erleichterung fand man in die normale Welt in der Bucht Sandwike zurück und freute sich auf die Landung von Dalands Schiff mit seiner Besatzung. Besonders hervorzuheben ist noch die schöne Tenorstimme des Steuermanns, der den Auftritt des geheimnisvollen Fremden verschlafen hat: Aleš Briscein, einer der wenigen Einheimischen auf der tschechischen Bühne.

Der Dialog zwischen Daland und dem Holländer über den Reichtum des Fremden und dessen vom Vater deutlich deklarierter Bereitschaft, ihm seine Tochter zur Frau zu geben, geriet so hintergründig, wie Wagner sie gedacht hat.

 Gott sei Dank wurde die Oper pausenlos durchgespielt.

Die schwächste Leistung in beiden Opern bot der Chor. Da müssen sich die Verantwortlichen wohl fürs nächste Mal etwas Besseres einfallen lassen. Dass man akzentfrei in einer fremden Sprache singen kann, beweist heute jeder professionelle Opernchor, und auch an musikalischer Präzision muss da noch viel gearbeitet werden.  Anna Gabler führte uns mit ihrer präzise gesungenen und gut erträumten Geschichte vom verdammten Seemann glaubwürdig ins Wagnersche Phantasiereich zurück und Michael Heim als schön und kraftvoll singender Erik durfte einem leid tun, weil er offenbar viel zu realistisch  im Leben stand.

Im Mittelpunkt des 2. Aktes standen natürlich die beiden Protagonisten, die in der langen Zwiesprache innerlich zusammenfanden. Kniecznys Stimme wurde weicher, sobald er den „heil’gen Balsam“ für  seine Wunden intonierte, und Anna Gabler glaubte man: „Von mächt‘gem Zauber überwunden“ zu sein.

Dass es im 3. Akt keinen Chor des Holländers gab, war dem Unwetter geschuldet. Die engagierte Sängergruppe konnte kurzfristig nicht anreisen, weil der zweistündige  Regenguss ihr Auto außer Kraft gesetzt hatte. Das Orchester musste instrumental die Mannschaft des Holländers ersetzen…Dirigent und Musiker bewiesen wieder einmal, dass sie alles können. „Hollohoe! Hoe! Hoe!“ 

Ein schön gesungenes, für Erik trauriges  Duett und sein abermaliges Liebesgestandnis führten zum tragischen Ende.

Nach Offenbarung seiner wahren Identität veschwand der Titelheld von der Bühne und Senta sank auf dem Hügelchen an der linken Bühnenseite zusammen. Der leise Schluss ließ uns wieder erbeben.

 Richard Wagners erster ganz großer Wurf unter all seinen fürs 19. Jahrhundert ungewöhnlichen Stoffen und von ihm daraus dramatisch geformten Geschichten hat wieder einmal seine Wirkung getan. Ein mitgerissenes Publikum bestieg nach heftigem Schlussapplaus mit vielen „Bravi“ die diversen Autobusse.

Ich erfreute mich noch eine Weile hinter der Bühne an Gesprächen mit den glücklichen Künstlern, die alles gut überstanden hatten. Vom japanischen Regisseur Isao Takashima, der perfekt deutsch spricht, erfuhr ich, dass er sowohl in seiner Heimat als auch auf mehreren anderen Kontinenten Opern inszeniert hat und Jahrzehnte lang in Bayreuth, noch unter Wolfgang Wagner und Harry Kupfer, als Regieassistent gearbeitet hat.
Dann trat ich in Begleitung einer ebenfalls in Mikulov übernachtenden Wienerin den Heimweg durch die menschenleere Stadt zu meinem Hotel an, wo ich um 2 Uhr früh mein  Zimmer  mit dem Blick auf die wunderschöne, immer noch beleuchtete Burg von Mikulov betrat.

 Sieglinde Pfabigan

 

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