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MIKKELI-MUSIK-FESTIVAL 2019

09.07.2019 | Konzert/Liederabende

Mikkeli Musik-Festival 2019 (1. – 5.7.2019)

Das Musik-Festival im ostfinnischen Mikkeli brauchte dringend eine Neubesinnung. 1992 als vorwiegend der Kammermusik gewidmetes Festival gegründet, wurde es 1993 vom St. Petersburger Mariinsky-Theater und seinem Chef VALERY GERGIEV übernommen, der auf der Suche war, wo sein Haus „übersommern“ konnte, zunächst als Ergänzung, später als Ersatz zum Schleswig-Holstein Musik Festival in Deutschland – Mikkeli als finnische Sommerresidenz des Mariinsky-Theaters. Gergiev war es, der Mikkeli zu überregionaler Bedeutung verhalf, indem er Künstler wie die 1994 erst am Beginn ihrer Karriere stehende Anna Netrebko, aber auch die schon arrivierteren Olga Borodina und Dmitry Hvorostovsky einlud, von Instrumentalstars wie Lang Lang, Vadim Repin oder Denis Matsuev ganz zu schweigen – „Valery and his Friends“. Doch in Mikkeli mit seinen beschränkten Auftrittsmöglichkeiten war kein Geld zu machen, ganz im Gegensatz zu solchen Ereignissen, wie die heimischen „Stars der Weißen Nächte“ in St. Petersburg oder Baden-Baden, Verbier etc. So war nicht zu übersehen, dass Valery Gergievs Interesse an Mikkeli immer mehr nachließ und er z.B. in 2018 seine Anwesenheit auf gerade einmal 3 Konzerte in 1 ½ Tagen beschränkte.

Mit dem neuen Festival-Direktor TEEMU LAASANEN, einem Pianisten (pikanterweise auf finnischer Seite der erste Leiter mit professionellem Hintergrund) vollzog sich eine nicht zu übersehende Neugestaltung des Festivals – von einem (internationalen) Gergiev-Festival zu einem mehr national ausgerichteten Mikkeli-Festival. Auf dem Papier nahm sich das Programm interessant aus: neben drei Gergiev-Konzerten mit seinem Freund, dem georgischen Pianisten ALEXANDER TORADZE, seit 1993 ein häufiger Gast in Mikkeli, sowie einigen Preisträgern des kurz zuvor beendeten Tschaikowsky-Wettbewerbs Konzerte, die sich mehr an das einheimische Publikum richteten, besonders bemerkenswert 3 Kinder- bzw. Familienkonzerte, für den am hiesigen Musik-Institut lehrenden offenbar eine Herzensangelegenheit. Die Frage war nur, ob das Publikum diese wohlgemeinte Initiative mit einem guten Besuch honorieren würde. Anzeigen vor Beginn des Festivals, bei denen gerade für diese Familienkonzerte zwei Karten zum Preis von einer angeboten wurden, ließen befürchten, dass es um das Interesse des einheimischen Publikums nicht gutstünde.


Mikaeli, das Konzerthaus in Mikkeli, idyllisch an einem See gelegen. Foto: Archiv Sune Manninen

Leider bewahrheiteten sich diese Befürchtungen, denn gerade die Kinderkonzerte, die dem neuen Direktor besonders am Herzen zu liegen schienen, waren relativ schlecht besucht, krankten jedoch auch an Kinderkrankheiten, die sich hoffentlich in der Zukunft beheben lassen. So war das Konzert am 2.7. unter dem Titel „Eirik’s Journey to the World’s End“ mit Klaviermusik von Grieg für die heutigen, an die Dauer von Videoclips gewohnten Kinder einfach zu lang. Hinzu kamen Probleme in der Balance zwischen dem zu dominierenden Piano (TEEMU LAASANEN) und den Schauspielern, die das Erzählen der Geschichte übernahmen. Am selben Abend stand offenbar selbst das finnische Publikum dem Klamauk der „Fabulous Bäckström Brothers Show“ fragend gegenüber. Wenn der Festivalvorsitzende JUKKA TIKKA in seinem Vorwort zum Programmbüchlein die Hoffnung äußerte, durch Konzerte dieser Art ein neues Publikum heranziehen zu können, möchte ich den Erfolg in Zweifel ziehen.

Ohne jeden Zweifel ganz hervorragend die beiden Piano-Recitals: am 3.7. die estnische Pianistin IRINA ZAKHARENKOVA, Musik von Tchaikovsky, Prokofiev und Field unter dem Titel „Russian Calendar“ zusammengefasst, und einen Tag später der Jazz-Pianist IIRO RANTALA, der sich bei „My Finnish Calendar“ zudem als ein launiger Moderator erwies.

Im ersten der drei Gergiev-Konzerte sollte eigentlich als Solist Alexander Toradze mit Shostakovich’s 2. Klavierkonzert auftreten, doch seine Absage (wie es hieß, habe sein Arzt ihm die Flugreise verboten), hatte urplötzlich ein logisches Programmkonzept zur Folge: Wagner – Liszt (sein Schwiegersohn) – Bruckner (sein Bewunderer). Den Klavierpart im 2. Liszt-Klavierkonzert hatte der Grand-Prix-Gewinner des kurz zuvor beendeten Tchaikovsky-Wettbewerbs übernommen; und ich bin sicher, dass der erst 22jährige ALEXANDRE KANTOROW binnen Kurzem eine ähnliche Weltkarriere starten wird wie 8 Jahre zuvor Daniil Trifonov.


Alexandre Kantorov und Valery Gergiev bei der Probe (Foto: Archiv Sune Manninen)

Ein Virtuose, aber auch zu sehr sensiblen Tönen fähig, der die Begeisterung des Publikums mit seiner Zugabe (2 Sätze aus Stravinskys Feuervogel) aufschäumen ließ. Im Hauptteil dann Bruckners 7. Sinfonie, offenbar als Generalprobe für Gergievs Konzert in St. Florian, Linz, dann allerdings mit den Münchnern Philharmonikern. Obwohl Musiker und Dirigent erst wenige Stunden zuvor eingetroffen und nach einer kurzen Einspielprobe (zunächst von der Konzertmeisterin der 1. Geigen, Olga Volkova, begonnen) aufs Podium geschickt wurden, gelang eine großformatige Wiedergabe dieser Sinfonie, bei der besonders die relativ langsamen Tempi auffielen, die aber jederzeit mit Leben erfüllt wurden.


Der finnische Dirigent Sasha Mäkilä, der für Valery Gergiev die Probe von Sibelius‘ Zweiter Sinfonie leitete (Foto: Archiv Sune Manninen)

Am 4.7. dann das Konzert weiterer Tchaikovsky-Wettbewerbs-Gewinner bzw. Finalisten: der Geiger SERGEY DOGADIN, der bereits vor 8 Jahren den 2. Preis gewonnen hatte, diesmal als Gewinner nach Hause ging, mit Meditation sowie Valse-Scherzo von Tchaikovsky sowie als besondere Geste Gergievs an ein finnisches Publikums Tchaikovskys Rokoko-Variationen mit SENJA RUMMUKAINEN, die Sechste geworden war.

Wer sich mit Valery Gergiev beschäftigt, weiß, dass dieser Dirigent viele Facetten hat. So lässt es sich auch beim Thema Proben nicht auf eine Methode reduzieren. Es gibt den Gergiev, der manche Werke, wie z.B. Tchaikovskys Fünfte und Sechste, Mussorgskys Bilder einer Ausstellung, Rimsky-Korsakovs Sheherazade zumindest mit seinem Mariinsky-Orchester so gut wie nie probt. Es gibt aber auch den Detailfuchser, der einige Sätze penibel im Detail probt und von den Musikern erwartet, dies auf den Rest der Sinfonie übertragen. In Mikkeli ergab sich die pikante Situation, dass Gergiev von der Anwesenheit des jungen finnischen Dirigenten SASHA MÄKILÄ wusste, der das Orchester schon einige Male in St. Petersburg geleitet hatte. Ihm überließ er die Vorbereitung der Musiker auf die 2. Sinfonie von Sibelius, die er dann im Konzert probenlos übernahm. Es gibt Werke von Sibelius, zu denen Gergiev einen unmittelbaren Zugang hat, wie dessen 1. Sinfonie oder das Violinkonzert, während ihm die meisten anderen Werke weniger liegen. So sehr mir üblicherweise Gergievs Sibelius gefällt (Ausnahme Finlandia, das er wie eine Rossini-Ouvertüre dirigiert), so wenig konnte ich diesmal mit seiner „rush and ready“-Interpretation anfangen. Natürlich weiß ich, dass bei Gergiev Proben nicht dazu das sind, eine Interpretation zu erarbeiten – diese entsteht bei ihm im Konzert, doch der Kontrast zwischen dem finnischen Sibelius von Sasha Mäkilä und dem russischen von Gergiev war diesmal schmerzlich groß.

Den Abschluss bildete am 4.7. eine „Grand Opera Gala“. Angekündigt waren Gewinner bzw. Preisträger des Tchaikovsky-Wettbewerbs, doch es war mehr ein Konzert von Teilnehmern am „Atkins Young Artists Program“ vom Mariinsky-Theater. Preisträger waren lediglich die Soprane AIGUL KHISMATULLINA (2. Preis) und ANGELINA AKHMEDOVA (4. Preis) sowie der Bariton VLADISLAV KUPRYANOV mit dem Hvorostovsky-Spezialpreis. Es war denn auch Aygul Khismatullina, die das Publikum mit Arien aus Zauberflöte, Ariadne auf Naxos und Lucia di Lammermoor in Begeisterung versetzte. Von diesem hohen Koloratursopran wird man mit Sicherheit noch viel hören, während Angelina Akhmedova mit Marfa (Zarenbraut) und Musetta einen schwächeren Eindruck hinterließ. Ganz im Gegensatz zu ANASTASIA SHCHEGOLEVA, die in Arien aus Tannhäuser, Iolanta und Turandot ein lyrisches, recht dunkles Timbre von großem Wiedererkennungswert hören ließ. Von EKATERINA SANNIKOVA hätte ich gerne nicht nur das Onegin-Schlussduett gehört, in dem VLADISLAV KUPRIYANOV ihr Partner war, dessen Bevorzugung am Mariinsky-Theater ich mir nicht erklären kann. Sein Onegin lag ihm deutlich mehr als der Tannhäuser-Wolfram, der ihm sowohl sprachlich als auch stilistisch sehr fern lag. Mit Arien aus Iolanta und Barbiere di Siviglia hinterleiß der 24jährige Bariton GAMID ABDULOV einen wesentlich besseren Eindruck. Ein großes Talent! Unauffällig entledigte sich der im Programmzettel ungenannt gebliebene Tenor YEVGENIY AKHMEDOV der Lensky-Arie aus Eugen Onegin, eine unnötige Beigabe, zumal Akhmedov zwar vor 4 Jahren, aber nicht diesmal am Tchaikovsky-Wettbewerb teilgenommen hatte.

Fazit: Mikkeli ist nicht mehr das Gergiev-Festival, aber noch nicht das Mikkeli Musik-Festival, das auch Zuhörer aus dem Umland oder gar aus dem Ausland anlockt. Dazu war die Qualität der einzelnen Konzerte zu unterschiedlich.

Sune Manninen

 

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