Michail Iwanowitsch Glinka – ein Leben für den Zaren. In Memoriam seines 250. Geburtstags am 1.6.2024
(* 1.Juni 1804 in Nowospasskoje, Gouvernement Smolensk, Russisches Reich)
„Mit Glinkas Oper ist uns das geschenkt worden, was man in Europa lange suchte – ein völlig neues Element in der Kunst“
Von Manuela Miebach
Michail Glinka, Gemälde von Ilja Repin
Der „Urvater russischer Tonkunst“ galt immer als Vorbild für Komponisten die danach und für die kommende Nachwelt war. Dass was Puschkin für die russische Literatur das war Michail Glinka in der Musik. Wenn man sich mit Glinkas Musik und seinem Leben auseinandersetzt, dann ist man gefesselt und verzaubert nicht nur von seinen Opern, sondern auch von seinen meisten nach Puschkins Texten vertonten Liedern. Glinka der ein enges Verhältnis auch zur Volksmusik hatte, zeigte bereits in den Kinderjahren großes musikalisches Interesse, indem er seine musikalische Ausbildung durch die junge Gouvernante Warwara Fjodorowna Klammer erhielt, und sich bereits ertüchtigte mit seiner Schwester auf dem Klavier modische Ouvertüren zu französischen Opern vierhändig zuspielen. Doch nicht nur unser kleiner Michail, sondern auch die anderen „Glinkas aus Schmakow“ wie sie von den Nachbarn genannt wurden, besaßen einen ausgeprägten Sinn für die Kunst.
Schon das noch zu Zeiten der Zarin Katharina II. erbaute Haus der „Smakower Glinkas“ unterschied sich erheblich von anderen Herrenhäusern des Kreises Jelnja. Seine größten Sehenswürdigkeiten bildeten eine große Porträtgalerie und ein riesiger Saal wo Theateraufführungen Konzerte und Bälle stattfanden. In dieser reinen so unberührbaren musischen heilen Atmosphäre, erblickte Michail Glinka am 1.06.1804 das Licht der Welt, in dem Ort Nowospasskoje bei Smolensk, wo reiche Gutsbesitzer die Privilegien des Adelsstandes genossen, und wo Glinka als gut Behüteter nicht nur seinen ersten Klavier – und Violinunterricht erhielt, sondern auch in mehreren Sprachen, Naturwissenschaften und anderen schulischen und musischen Fächern unterrichtet wurde.
Seine weitere Klavierausbildung erhielt er in einem Pensionat in Petersburg, durch den berühmten John Field, wo er seine weiteren Kenntnisse dann bei Charles Mayer vervollständigte. Doch Glinka nutzte die Zeit nicht nur für seine musikalischen Studien, sondern besuchte an freien Tagen Opern – und Ballettaufführungen von italienischen und französischen Komponisten, die ihn besonders stark beeindruckten und wo er selbst zu einem Kenner der europäischen Tonkunst wurde.
Wegen seiner schlechten körperlichen Verfassung reiste der junge Musiker 1830 nach Italien wo er sich dann auch für drei Jahre aufhielt.
Dort lernte er auch Donizetti, Bellini und Mendelsohn Bartholdy kennen, die zunächst einen Einfluss auf sein musikalisches Schaffen hatten. Doch Siegfried Dehn in Berlin (1833-1834) war es letztendlich zu verdanken, das Michail Glinka zu seinen musikalischen Wurzeln zurückkehrte, indem er den jungen Komponisten auf den Weg der nationalrussischen Musik führte. In Berlin fand er den Zugang zu den Werken Bachs wo er sich mit musiktheoretischen Studien befasste.
Musikalisch inspiriert und beeinflusst durch Siegfried Dehn reiste der Komponist wieder in seine Heimat nach Nowospasskoje, wo er sich mit besonderen Eifer in die Komposition der Oper „Das Leben für den Zaren“ stürzte. Ungefähr ein Jahr musste freilich vergehen, bis die Nationaloper fertig und die Vorbereitungen für eine Inszenierung am Petersburger Theater beginnen konnten.
Doch endlich waren alle Mühen und Sorgen überwunden, sodass die Premiere der Oper am 27.November 1836 im inzwischen renovierten Petersburger Opernhaus stattfinden konnte. Die Oper wurde zu einem Riesenerfolg und der Zar der Glinka persönlich in die Loge rief, bedankte sich als erster für dieses so hervorragende Werk und sprach sein höchstes Lob aus, über eine Oper die derart nationalgetreu nicht nur ihn, sondern die gesamte Opernwelt begeisterte. Der erste große Erfolg inspirierte den Komponisten zu neuen Schaffensvorhaben. Er plante eine neue Oper, die in einem völlig anderen Geist als „Das Leben für den Zaren“ stand. Im Herbst 1837, wenige Monate nach dem Tod Puschkins hatte er sich für das Jugendwerk Puschkins „Ruslan und Ludmilla“ entschieden: was für ein Opernstoff, und welche Vielfalt der Bilder und Situationen. Es ist wahrlich eines der schönsten Werke das die Welt jemals gehört und gesehen hat.
Doch die Realisierung dieses Vorhabens erwies sich zunächst als schwierig, denn nicht nur der immer kränkliche Zustand des Komponisten und die familiäre Situation erschwerten jenes schöpferische Wirken wo er kaum Zeit und Muße finden konnte. Darüber hinaus verliebte sich Glinka in die junge Jekaterina Jermolajewna Kern, der er unter anderem seine Walzerfantasie und das hinreißende Lied „Ein Augenblick ist mein gewesen“ nach einem Gedicht von Puschkin widmete.
Allein sie war seine Muse und seine ganze Inspiration. Doch in Gesellschaftskreisen war diese leidenschaftliche Liebe ein Anstoß des Gespötts, worunter Glinka über die oft boshaften Worte zutiefst verletzt und in seiner Seele tief verwundet war. Jedoch durch die Beziehung zu Jekaterina Kern verdankte er seine ganze Schaffensperiode, und nie zuvor hatte er in seinen Liedern eine solche Schönheit und Ausdruckskraft der Melodie erreicht. Während der Arbeitsphase seiner neuen Oper entstanden parallele viele Liederzyklen, die ein Ausdruck der russischen Seele und des unvergleichbaren Musikschaffens Glinkas verdeutlichen. Doch immer wieder wurde des Komponisten Kreativität durch äußere Einflüsse boykottiert, allein der zutiefst demütigende Ehe-Scheidungsprozess, der sich über Jahre hinauszog und wiederum ein Anstoß zu neuerlichen bösartigen Klatschereien wurde, ließ den Komponisten selbst in tiefste Depressionen fallen.
Glinkas Briefwechsel mit Walerian Fjodorowitsch Schirkow, der den größten Teil des Librettos verfasste, hatte bezeugt, dass während der Schaffensperiode von „Ruslan und Ludmilla“ diese Trennung von seiner einst so großen Liebe wohl die traurigste Zeit seines Lebens gewesen ist. Und doch hat Glinka eines der schönsten Meisterwerke in der russischen Musikgeschichte geschaffen. Ein Zaubermärchen das so voller Anmut und musikalischer Schönheit ist.
Leider kennt man in der westeuropäischen Welt meistens nur die Ouvertüre, weil diese Oper viel zu selten im Repertoire deutscher, österreichischer, osteuropäischer, und schon gar nicht an italienischen und spanischen Opernhäusern zufinden ist. Selbst meine Bemühungen vor fünfzehn Jahren die Volkoper in Wien für dieses Werk zu begeistern scheiterten. Wo ich die lapidare Antwort erhielt „Die Oper kennt doch niemand“.
Zuletzt noch im Jahr 2001 am Badischen Staatstheater in Karlsruhe, wurde seit dieser Zeit dieses Werk nie mehr aufgeführt. Doch gerade die gewaltigen Chorszenen, deren Melodik aus russischem Volksgut stammt, die wunderschönen Arien von Ludmilla, die einzelnen charakteristischen Rollen des Svetozar und des Ruslan, um nur einige zu nennen, sind von so einer Ausdruckskraft und Melodik wie sie eine Oper nur selten beschreiben kann. Es ist ein Werk dem ebenso Ehre gebührt wie Tschaikowskys Opernwerk „Eugen Onegin“. Michail Glinka hatte all seine Leidenschaft und Energie in diese Oper investiert, und doch wurde die Uraufführung am 27.November 1842, allerdings nur in gekürzter Fassung in Petersburg nicht so ein großer Erfolg wie „Das Leben für den Zaren“. Sogar die Zarenloge leerte sich noch vor dem Schluss der Vorstellung. Somit auch ein Umstand, der die Meinungsbildung des Publikums beeinflusste, und wo es am Ende zwar Beifall, aber so wie bei seiner ersten Oper, es diesmal keinen frenetischen Applaus gab.
Doch das weitere Schicksal der Oper gestaltete sich indes glücklicher als erwartet. Die aristokratische Gesellschaft und der Hof blieben zwar aus, aber wahre Opernfreunde die sich wirklich für die Musik interessierten, zeigten sich begeistert und somit hat „Ruslan und Ludmilla“ doch noch Erfolg. Wo zumindest das Opernhaus bei allen Aufführungen gut besucht war. In einer Ruslan – Vorstellung im Frühjahr 1843 saß der inzwischen 32.jährige, schon weltbekannte ungarische Komponist Ference Liszt in einer Loge, und zeigte sich überaus begeistert über die neue Oper von Glinka.
Wieder wegen seiner angegriffenen Gesundheit ging Michail Glinka in den Süden, besuchte 1844 zunächst Paris, wo er mit Hector Berlioz zusammentraf, und einige seiner Werke dirigierte. Seinen weiteren Aufenthalt in Madrid und Sevilla nutzte er zu weiteren folkloristischen Studien. Noch einmal fährt der ewig Kränkelnde, vermutlich litt er damals auch unter einer Hypochondrie, zu seinem Freund und Lehrer Siegfried Dehn um Kontrapunkt und Kirchentonarten zu studieren. Doch sein Gesundheitszustand verschlechterte sich immer mehr, und obwohl sein Herz erfüllt noch immer von neuen Ideen und einen ungeheuren Tatendrang, so ereilte ihn am 3./oder 15.Februar 1857 unerwartet der Tod.
Über das genaue Sterbedatum Glinkas scheinen sich Musikwissenschaftler nicht ganz so einig zu sein, denn auf der Gedenktafel in Berlin, Französische Straße Nr.8, gleich in der Nähe von der komischen Oper, liest man selbiges Datum wie hier bereits angegeben. Wobei der 3. und der 15.Februar 1857 als Sterbedatum angeführt wird, und sich somit erklärt, warum einige Biographen das Sterbedatum mit 3.Februar 1857 angeben.
Michail Iwanowitsch Glinka war das russische Fundament vieler musikalischer Nachfolger und es ist zu hoffen dass zu seinem 250.Geburtstag zumindest eines seiner Werke in Westeuropa oder in Deutschland aufgeführt wird. Denn dies sollte selbst in der derzeitigen Kriegssituation zwischen Russland und der Ukraine nicht in Frage gestellt werden. Denn Kunst darf niemals zu einem Opfer politischer Machenschaften werden. Denn die Musik – aber auch die Literatur ist und bleibt ein Verständigungsmittel aller Kulturen – wo es keine Grenzen geben darf. Musik ist die Sprache aller Völker – mögen Glinkas so großartige Werke niemals in Vergessenheit geraten!
Manuela Miebach
Michail Glinka, Gemälde von Ilja Repin