Michael Volle: Der Sachs ist absolut die Partie für mich!
Gespräch mit Renate Publig / November 2022
Michael Volle: Foto: Carsten Sander
Die Liste der Opernhäuser, an denen Michael Volle bereits aufgetreten ist, beeindruckt ebenso wie jene der Dirigenten, Regisseure und Sängerkollegen, mit denen er bereits zusammengearbeitet hat. An der Wiener Staatsoper ist der überragend gestaltende, wunderbar differenziert agierende Sängerdarsteller ab Dezember in seiner Paraderolle als Hans Sachs zu sehen, in der Neuinszenierung von Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ von Keith Warner.
R.P.: Die Oper „Meistersinger von Nürnberg“ ist voller Humor, gleichzeitig regt sie zum Nachdenken über eine Vielzahl an Themen an, beinhaltet eine berührende Liebesgeschichte … es ist eine breite Palette an Perspektiven möglich. Was dürfen wir von dieser Inszenierung von Keith Warner erwarten?
MICHAEL VOLLE: Mit Keith Warner arbeite ich zum ersten Mal, die Kooperation mit ihm ist ein Traum! Er ist ein unglaublich musikalisch bewanderter, freundlicher, fordernder Mensch. Vor zehn Jahren gab ich in Zürich mein Debüt als Sachs, in der Inszenierung von Harry Kupfer. Aber ich staune, wie viele neue Aspekte Warner ins Spiel bringt. Ob diese auch für das Publikum deutlich werden? Selbst nach 33 Jahren bin ich immer noch überrascht, wie die Reaktion im Publikum manchmal komplett anders ausfällt als man es selbst spürt.
Warner schildert unter einem träumerischen Aspekt vieles aus der persönlichen Perspektive von Sachs, thematisiert Erlebnisse aus dessen Leben. Die Inszenierung ist nicht ganz zeitlos, es treten verschiedene Zeitebenen in den Kostümen auf. Die Bühne ist sehr reduziert, Licht und Projektionen spielen eine große Rolle. Hoffentlich sehe ich selbst genug davon, als Sachs bin ich ja häufig auf der Bühne … Das Ensemble ist toll, wir haben so viel Spaß bei den Probenarbeiten. Ich liebe englischen Humor!
=> Sachs ist ein „Drehpunkt“ der Geschichte.
Michael Volle als Sachs in Wiens neuen „Meistersingern“. Foto: Michael Pöhn
Georg Zeppenfeld, der den Pogner singt, sagte einen interessanten Satz: „Manche Oper kann man auch retten, wenn der Hauptdarsteller nicht optimal ist. Aber wenn in den Meistersingern der Sachs ausfällt, wird es schwierig.“ Diese Figur wird oft angespielt, hat substanzielle Monologe, im dritten Akt, der Schusterstube, geht es nonstop durch … Ich komme jetzt gerade von einer neuen Ring-Produktion, und „Ring“ ist für mich auch immer eine unglaubliche Sache. Aber der Sachs absolut die Partie für mich.
=> „Kein‘ Regel wollte da passen, – und war doch kein Fehler drin.“ Für Hans Sachs steht einiges auf dem Spiel in dem Werk?
Sachs ist kein Loser, aber er verliert sehr viel. Zum einen seine Vormachtstellung in diesem zugegebenermaßen sehr vertrockneten, eingefahrenen Kreis. Er, der fortschrittlichste unter den Meistersingern, spürt sofort, welch neuer frische Wind hereinweht. Gesellschaftlich ist Sachs im Vergleich zu Evas Vater, dem reichen Pogner, eher unten angesiedelt. Reichtum definiert nicht nur damals fast alles. Aber Sachs ist durch seine Kunst angesehen. Er spürt jedoch, dass sich die Kunst weiterentwickeln muss. Wie er reagiert hätte, wenn er die Folgen geahnt hätte, der Verlust seiner Liebe, seiner Zukunft im zwischenmenschlichen Bereich? Denn ohne Walter wäre unter Umständen mit Eva zusammengekommen. Er ist ja kein alter Knacker! Dieser Verlust trifft ihn sehr. Das macht das Stück so zeitlos …
=> Die „Prügelszene“, ist das auch ein Sinnbild, was aus einer scheinbaren Nichtigkeit, aus einem Missverständnis entstehen kann?
Gleich am Anfang vom Wahnmonolog singt Sachs: „Ein Kobold half wohl da! Ein Glühwurm fand sein Weibchen nicht …“ Das hat Harry Kupfer damals genial umgesetzt. Er meinte: „Nicht, dass dadurch alles nichtig wird, was einem vorher bedrückt. Es würde jedoch allen Menschen guttun, Dinge zwar zu durchleuchten – aber dann auch mal tief durchzuschnaufen. Einen Schritt zurückzutreten und die Dinge aus der Distanz zu betrachten. Das löst nicht alle Probleme. Doch es holt einen aus der Verbohrtheit. Ist jedoch immer leicht gesagt, wenn man drinsteckt.
=> Alles in allem sind die „Meistersinger“ eine sehr positive, warmherzige Möglichkeit, das Publikum zum Nachdenken zu bringen.
Für mich waren die Bayreuther Meistersinger in der Inszenierung von Barrie Kosky eine der tollsten Erfahrungen meines 33jährigen Berufslebens. Danach haben Leute Sachen in die Inszenierung interpretiert, an die er nie gedacht hat. Das zeigt die Lebendigkeit, die Möglichkeiten, die man hat, wenn man offen ist und sich drauf einlässt. Es gibt natürlich überall Menschen, in Wien wie überall sonst, die von vornherein Inszenierungen ablehnen. Die jemanden nicht mögen und schon vor wissen, dass das nichts werden wird. Ich sag dann immer „Ihr könnt etwas ablehnen, aber seht es euch erst mal an. Und dann bildet euch ein Urteil.“ Und buht meinethalben.
=> Wobei … wenn man im Vorhinein weiß, man mag einen der Akteure nicht, warum geht man dann in die Vorstellung …
Meine Frau kennt Internet-Foren, in denen schon während einer Vorstellung teilweise unterirdische Kommentare abgegeben werden. Sei es aus Rivalität, oder weil sie meinen „Heute gehen wir buhen“. Man kann es nicht steuern. Wieso sollte unser Geschäft anders sein, wo Menschen sind, da menschelt es. Und freie Meinungsäußerung ist natürlich ein Thema … wir sind sozusagen in der Unterhaltungsbranche, und wenn jemand mit der „Ware“ nicht zufrieden ist, darf man das kundtun. Wenn die Leistung in einem Restaurant nicht passt, gibt es kein Trinkgeld. Wobei viel verheerender als das Buhen ist, wenn das Publikum nicht applaudiert!
=> Als Publikum weiß man nicht, warum ein Darsteller nicht optimal war. Manchmal handelt es sich um eine Fehlbesetzung, da dürfte man dann die Direktion eines Opernhauses nicht aus der Pflicht nehmen …
Da kommen wir zu einem ganz anderen Problem. Sänger dürfen natürlich nicht von der Verantwortung über die Wahl ihrer Rollen entbunden werden. Aber als ich 1990 in Mannheim begann, hat der Studienleiter damals Kollegen beraten. Die Versuchung, etwas zu früh zu machen, ist groß. Da braucht es ein Korrektiv, entweder aus dem Künstler selbst oder von einer nahestehenden Person. Wenn das fehlt, dann erwarte ich mir, dass ein Haus seine Entscheidungen überdenkt. Letzten Endes fallen häufige Fehlbesetzungen doch auch auf ein Haus zurück.
=> Ein heikleres Thema: Wagner und die Politik. Im November gedenken wir der „Kristallnacht“, der Novemberprogrome. „Ehrt deutsche Meister, dann bannt ihr gute Geister“, wie auch die Inschrift auf dem Wiener Konzerthaus lautet, ist das ein Thema, über das man nach wie vor nachdenken muss?
Über das Thema Kunst und Politik sollte man immer nachdenken. Auch Johann Sebastian Bach hat seinerzeit Äußerungen über Juden getätigt, er war wie Wagner ein Kind seiner Zeit. Es gibt selbstverständlich nichts zu deuteln an fremdenfeindlichen Aussagen, auch nicht an denen, die Wagner sechzig Jahre vor dem Dritten Reich getan hat. Doch vieles muss man im historischen Kontext sehen. Daniel Barenboim musste sich als Verräter beschimpfen lassen, weil er Wagner dirigierte! Harry Kupfer meinte einmal, dass man bei allem, was man Wagner vorhalten muss – besonders, wie er Menschen behandelt hat, seine Gönner, seine Freunde – bedenken muss: Gerade Wagner war klar, dass ein Künstler international sein muss, es geht also um die gesamte Kunst. Bei der Zürcher Inszenierung von Harry Kupfer enthülle ich am Schluss die Statue des Johannes vom Bildhauer Tilman Riemenschneider – als Symbol dafür, dass es um „alles“ geht. Barrie Kosky, jüdischstämmiger Australier, meinte mal: „Wagner ist nicht verantwortlich für Auschwitz.“ In dessen Inszenierung stehe ich am Schluss allein auf der Bühne, in einem Gerichtssaal auf der Anklagebank und muss den Sinn der Kunst erklären.
Musik kann verbinden. Es steckt so viel Freiheit drin! Dabei spielt die Stilrichtung keine Rolle. Man muss weder das gleiche Geschlecht noch die gleiche Nationalität haben, um intensiv zu musizieren. Wenn man dieses Geschenk kaputt macht … In der klassischen Musik sind wir ein kleiner Teil der Menschheit, umso mehr müssen wir es pflegen und entschieden dagegen auftreten, wenn Menschen es missbrauchen.
=> Zurück zum Hans Sachs: Diese Partie ist eine enorme Anstrengung, die sowohl stimmlich, als auch körperlich und geistig einiges abverlangt. Wie sieht Ihr Tag aus, an dem Sie Vorstellung haben – und wie der Tag danach?
Jeder hat seinen „Fahrplan“. Ein Kollege sprach zwei Tage vor seinem Pagageno kein Wort. Manche Kollegen gehen zwei Tage davor ins Hotel, um Ruhe zu haben, oder schotten sich ab, wenn ein Kind schniefend aus dem Kindergarten kommt. Ich selbst versuche, mit dem Beruf und dem Gewerbe so normal wie möglich umzugehen. Ich ruhe mich soweit aus, dass ich speziell für eine Vorstellung von Sachs einigermaßen ausgeruht komme. Früher bin ich gleich mit der ersten Maschine nach Hause geflogen, heute nehme ich die zweite. (lacht) Ich werde 63, ich brauche länger, um die Batterien aufzuladen. Nicht jeder ist ein Franz Mazura, er ist kein allgemeingültiges Beispiel. Aber Singen hält auch fit!
=> Ihr derzeitiges Opernrepertoire umfasst viel Wagner, Richard Strauss, aber auch Boris Godunow oder italienisches Fach (Scarpia etc.). Insgesamt ein gewaltiges Spektrum, was Tonumfang, Tonsprachen, aber auch Längen von Partien betrifft. Man muss eine Weile in Ihrem Terminkalender suchen, bis man „kleinere“ Partien findet.
Man bewältigt das durch viel Erfahrung. Und ich singe für mein Leben gern, aber dann muss es sich lohnen. Im „Tristan“ besteht meine gesangliche Leistung als Kurwenal im zweiten Akt aus zwei Takten. „Rette dich, Tristan!“ Der erste Akt ist etwas mehr. Der dritte ebenfalls, vor allem ist die Musik wunderbar. Aber: Ich habe das Glück, in einer Position zu sein, wo ich mir die Rollen aussuchen kann.
Meine wunderbare Frau (Anm.: die Schweizer Opernsängerin Gabriela Scherer) hat vor einigen Jahren eine bewusste Kinderpause eingelegt. Sie möchte nun wieder einsteigen. Wir wollen aber beide nicht ständig unterwegs sein. Meine Kinder aus erster Ehe sind schon groß, aber die beiden aus zweiter Ehe sind nun 11 und 12, ich will einfach mehr da sein. Die Zeit kommt nicht mehr zurück. Ich weiß nicht, wie lange ich singe, es gibt noch Rollen ohne Ende, die ich gerne machen würde. Keith Warner hat mir von Ernst Bloch: Macbeth vorgeschwärmt, José van Dam von Edipe – Enescu. Irgendwann möchte ich Reimanns Lear machen. Ich hoffe auch auf ein paar Italiener – das ist ein nicht so netter Aspekt unseres Geschäftes, man wird in eine Schublade geschoben. Außer, man ist ein Allrounder und Verkaufsschlager – das meine ich wertfrei!
Wobei es klagen auf höchstem Niveau ist. Ich denke sehr oft mit Dankbarkeit daran, was ich erleben durfte. Das ist keine Selbstverständlichkeit!
Herr Volle, vielen Dank für das Gespräch und toi, toi, toi für die Premiere!