Im Portrait: MICHAEL NAGL – Wiener Bassbariton mit Lust an Neuem
Michael Nagl. Foto: Andrew Bogard
Ein Drang zur Darstellung und Musikalität haben sich schon früh in Michael Nagls Leben abgezeichnet, doch die Entscheidung für die Opernbühne war erst gegen Ende seiner Schulzeit gefallen. Obwohl in der Opernstadt schlechthin, in Wien geboren, kam er mit dieser Kultursparte nur sporadisch in Berührung, wenn die Familie, zu der auch zwei Geschwister gehören, hin und wieder einen gemeinsamen Besuch in Staats- oder Volksoper machte.
Die erste Begegnung mit der Oper war ein Schulbesuch der „Zauberflöte für Kinder“, die eine Zeitlang jedes Jahr nach dem Opernball im noch leer geräumten Parkett der Staatsoper aufgeführt wurde. Besonders beeindruckte ihn dabei die profunde Bass-Stimme von Walter Fink als Sarastro. Die erste Liebe zur tiefen Männerstimme war damit entfacht, ohne noch zu wissen, ob er selbst mal dieses Stimmfach bedienen kann.
Musikalischer Start im Mozart-Knabenchor
Die erste musikalische Betätigung geschah am häuslichen Klavier sowie mit dem Erlernen des Gitarre- und Schlagzeug-Spielens. Letzteres begeisterte ihn dann so stark, dass er es im Teenager-Alter zum Beruf zu machen gedachte. Doch wie kam es dann zum vokalen Brotberuf? Seine erste öffentliche Gesangs-Kostprobe gab er im Rahmen eines der regelmäßig stattfindenden Familien-Konzerte in seiner Heimatgemeinde in Leopoldau im 21. Wiener Gemeindebezirk, wo er dem anwesenden Leiter des Wiener Mozart-Knabenchors Peter Lang aufgefallen war und gefragt wurde, ob er nicht in dieser Chorvereinigung dabei sein möchte. Die Neugier darauf war geweckt, und da seine im Übrigen nicht künstlerisch tätigen Eltern die Interessen und Talente ihrer Kinder von jeher unterstützen, startete er damit im Alter von 9 Jahren seine musikalische Laufbahn. Beginnend im Alt wechselte er nach dem Stimmbruch in den Bass, weil sich die Tenorlage als etwas zu hoch für ihn erwies. Der auf den Namensträger des Knabenchores ausgerichtete Schwerpunkt des Repertoires machte ihn schon bald mit Mozarts geistlichen Werken vertraut – ohne zu ahnen, dass dieser auch den Mittelpunkt seines bisherigen Rollen-Einsatzes als Opernsänger bilden würde. Mit dem Knabenchor ging es nicht nur auf zahlreiche Gastspiel-Reisen, vielmehr fand während dieser Zeit auch sein szenisches Debut als einer der Straßenjungen in der damaligen Volksopern-Inszenierung von Bizets „Carmen“ statt.
Der Leiter des Knabenchores hatte ihm dann weiterführende Gesangsstunden angeboten, die bei Michael Nagl auf so fruchtbaren Boden gefallen sind, dass er sich noch vor der Matura zu einem Vorsingen an der Universität seiner Heimatstadt bewarb. Prof. Karl Heinz Hanser wurde fortan sein Gesangspädagoge. Und weil er vom Militärdienst befreit war, konnte er sein Studium schon nach drei Jahren im Sommer 2016 abschließen.
Bei den szenischen Produktionen der Wiener Musikhochschule im historischen Ambiente des Schlosstheaters Schönbrunn wurde er schon zu Beginn des zweiten Studienjahres ins kalte Wasser geworfen, durfte/musste er doch innerhalb einer Woche die gewiss nicht kleine Partie des Don Alfonso in „Cosi fan tutte“ einstudieren. Zum Glück hatte er während eines Semesters Italienisch gelernt, was ihm vor allem für die vielen Parlando-Rezitative eine große Hilfe war.
In der Folge kamen gleich noch Masetto und Figaro in den beiden anderen Da Ponte-Opern hinzu, außerdem der Frank in „Die Fledermaus“ und Simone in „Gianni Schicchi“. Für all diese Praxis während des Studiums ist er heute noch dankbar, konnte er so doch gleichzeitig auch seine darstellerischen, schauspielerischen Fähigkeiten testen und ausleben. Während dieser Zeit erfolgte auch sein professionelles Debut als Leporello und 2.Geharnischter am Stadttheater Baden.
Glücksfall Opernstudio Stuttgart
Noch vor Abschluss des Studiums bewarb er sich im November 2015 um die ersten Vorsingen und hatte gleich mit dem ersten Glück: die Staatsoper Stuttgart bot ihm einen Vertrag für die üblichen zwei Jahre im Opernstudio des Hauses sowie damit verbundene Partien für die beiden Spielzeiten 2016/17 und 2017/18 an. Das Klima im damals von Jossi Wieler und heute von Victor Schoner geleiteten Opernhaus gefiel ihm aufgrund des menschlichen Miteinanders, einer abteilungsübergreifenden Kommunikation und Abstimmung seiner Einsatz-Verpflichtungen sofort, weshalb er auch später nicht gezögert hatte, als ihm eine Übernahme ins Ensemble der Staatsoper offeriert wurde. Die genaue Planung wie auch die Möglichkeit etwas abzulehnen, ermöglichte es ihm, in Abstimmung mit dem Arbeitgeber und seinem übers Studienende hinaus konsultierten Gesangs-Professor sein Repertoire, speziell auch im Konzertbereich bei diversen Gastspielen zu erweitern. Neben Köln und Berlin gehörte dazu bislang auch sein Debut im heimatlichen Wiener Musikverein in Bachs Weihnachtsoratorium sowie ein erster Versuch mit Wagner als Donner in einer halbszenischen Aufführung des „Rheingold“ bei den Bregenzer Festspielen. Sein geplantes Debut-Projekt an der Mailänder Scala, der fünfte Jude in einer Neuinszenierung der „Salome“ unter der Leitung von Riccardo Chailly fiel leider den Corona-Restriktionen zum Opfer.
Leporello an der Stuttgarter Staatsoper. Foto: Martin Sigmund
Aufgrund seiner Gruppierung nach dem Stimmbruch in die Bass-Stimme, begann er mit dieser Fachbezeichnung auch seine Karriere. Um dann anhand verschiedener gesungener Rollen und einer damit einhergehenden vokalen Entwicklung festzustellen, dass mit weniger Eignung für die tiefsten Töne und der Tendenz zu einer für einen Bass nicht selbstverständlichen Höhe, unterstützt von seinem nicht dunkel schwarzen Timbre, die Bezeichnung Bass-Bariton seinen Fähigkeiten am besten entspricht. Womit ihm auch eine große Bandbreite an Rollen offen steht sowie der Wechsel von tiefer und höher liegenden Partien. Basilio (Barbiere), Kuno (Freischütz), Mönch (Don Carlo) und Wagner (Faust) mögen als in den letzten Jahren gestaltete Aufgaben dafür stehen. Vor allem konnte er aber den Figaro in Mozarts Oper weiter ausbauen, in „Don Giovanni“ Masetto und später Leporello übernehmen und in der „Zauberflöte“ sein Rollenspektrum nach Priester, Geharnischtem und Sprecher mit Sarastro und – so ungewöhnlich das als letzte Stufe in dieser Oper klingen mag – Papageno vervollständigen. Obwohl er spürte, dass er mehr zu letzterem tendierte, war es ihm wichtig zuerst den Sarastro zu probieren um dann festzustellen, dass er auf diesen Part eventuell später je nach Entwicklung seiner Stimme wieder zurück kommen wird. Diese Gestaltung mehrerer Rollen hat ihm den Blick auf das Gesamtwerk immens erweitert.
Die Frage, ob in „Don Giovanni“ nicht noch eines Tages der Komtur folgen würde bejaht Michael Nagl mit der Anmerkung, dass dessen kurze Auftritte trotz der Kürze sehr stark und verlockend sind, es aber auch nicht ausgeschlossen sei, dass er vielleicht mehr zum Titelrollenträger tendiert.
Papageno in Salzburg
Eine große Ehre war das Engagement als Papageno zu den diesjährigen Salzburger Festspielen, und das sogar für eine Premiere, eine Überarbeitung der Inszenierung von Lydia Steier, nunmehr vom Großen Festspielhaus ins Haus für Mozart übersiedelt. Nach einer ersten Präsentation des Vogelfängers in Stuttgart und bei einem Gastspiel an der Oper von Nancy fühlte er sich sicher genug mit dieser doch stark vorbelasteten Figur bei den renommiertesten Sommerfestspielen in Mozarts Geburtsstadt aufzutreten. Um die großteils gestrichenen Dialoge, die speziell beim Papageno einen gewissen humorvollen Beitrag leisten, sei es etwas schade gewesen, ansonsten hätte er sich in diesem mit einer Rahmenhandlung versehenen Inszenierungskonzept gut zurecht gefunden.
Regie und Rollen-Einstudierungen
Auf die heutige Vormachtstellung der Regisseure angesprochen, bekundet M.Nagl bislang noch nicht Dienst nach Vorschrift gemacht zu haben, d.h. im Großen und Ganzen die ihn betroffen habenden Regiekonzepte soweit verstanden zu haben, dass er sie nachvollziehen konnte. Wenn sich dann mal das eine oder andere Detail nicht erschließt, muss er den bestmöglichen Weg finden, problematische Dinge für sich selbst akzeptabel zu gestalten.
Auch die heutzutage öfter anzutreffende Umstellung von Musiknummern oder gar Hinzufügung fremder Musik kann er so lange akzeptieren wie diese Eingriffe einen Mehrwert für das Stück erbringen. Jedenfalls verschließt er sich nicht vor Experimenten und ist generell an Neuem zum Ausprobieren interessiert.
Neue Rollen geht er auf unterschiedliche Art und Weise an; solche, die er vom Hören schon kennt, singt er zur Probe einmal von vorne bis hinten durch. Bei unbekanntem Repertoire oder gar Stücken in einer noch fremden Sprache wie Russisch liest er erst mal den Text. Bei der Einstudierung schneidet er gerne auch seine eigene Stimme mit, um einen Eindruck von sich zu bekommen und Fehler auf diesem Weg selbst korrigieren zu können.
Vorläufig genießt er weiterhin die Festanstellung im Stuttgarter Ensemble, die ihm erstens Sicherheit gewährt und ihn zweitens dazu zwingt, Gastangebote mit Beratung des Gesangsprofessors und notwendiger Vertrauenspersonen genau abzuwägen. Vor allem wenn es um womöglich verlockende Einladungen für eine neue Partie geht, die noch etwas außerhalb seiner derzeitigen Möglichkeiten liegt. „Man hat nur zwei Stimmbänder“ kommentiert er kurz und bündig die drohenden Gefahren.
Zwischen all den Opern und gelegentlichen Konzertauftritten ein Liedprojekt wie im Frühjahr tut der Stimme wie auch der Konzentration auf die eigene Gestaltung ganz gut, nur sind sie zeitaufwändig und bedürfen einer klugen Einplanung. „Nacht und Träume“ hieß das Motto dieses schon länger geplanten und durch die Pandemie verschobenen Programms mit thematisch genau ausgewählten Liedern von Hugo Wolf, Richard Strauss, Gustav Mahler und Franz Schubert. Dabei hatte er das große Glück, mit dem ähnlich jungen und eine steile Karriere beginnenden Thomas Guggeis einen idealen Klavierpartner gehabt zu haben. Als dieser für leider nur kurze Zeit Kapellmeister an der Stuttgarter Oper war, hatten sie sich für dieses Projekt zusammen gefunden. Dem gerne weitere folgen dürfen, wünscht sich auch Michael Nagl.
In der beginnenden Saison kehrt er erstmals als professioneller Sänger für eine Oper in seine Heimatstadt zurück, wenn er in einer Produktion des Theaters an der Wien von Händels „Belsazar“ auftreten wird. In welchen Partien er sich in der nahen und weiteren Zukunft sieht, verrät er nicht. In Stuttgart stehen weitere Reprisen als Figaro und Leporello, Basilio sowie die Basspartie in einer szenischen Version von Bachs „Johannespassion“ bevor. Über kommende mögliche Aufgaben hält er sich noch bedeckt, die Zeit und Entwicklung wird es weisen. Hauptsache, er kann seinen Beruf weiterhin nicht als Arbeit betrachten. „Das ist ein Geschenk“ fasst er seine diesbezügliche Haltung zusammen. Michael Nagl wirkt im Gespräch auch in seinen noch jungen Jahren bereits sehr gefestigt und darüber bewusst was im Rahmen seiner Leistungsmöglichkeit liegt. „Mit Mozart kann er sich auf jeder Bühne präsentieren“ lautet seine ebenso kurze wie präzise Aussage. Michael Nagl wird seinen Weg machen – wo auch immer in der Welt und zunächst hoffentlich noch einige Spielzeiten in Stuttgart.
Udo Klebes