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Michael GÜTTLER: „“Lasst uns Künstler kreativ arbeiten“

12.08.2020 | Dirigenten

Interview mit Maestro Michael GÜTTLER in Lech/Arlberg am 6.8.2020Susanne Lukas

„Lasst uns Künstler kreativ arbeiten“

Lech Classic Festival, Mittwoch, 5. August 2020, Neue Kirche Lech
Michael Güttler. Foto: Lech Classic

Vielseitigkeit – so lässt sich der international tätige Dirigent mit einem Wort vielleicht am Besten beschreiben. Musikalisch ausgebildet in Klavier, Geige, Trompete, aber er hat auch am Cembalo und auf der Orgel gespielt. Seine sprachliche Vielfalt auf höchstem Niveau ist für ihn ebenso eine Selbstverständlichkeit, wie ein großes Interesse an Bühnenbild-Gestaltung und sogar physikalisches Fachwissen von Akustik. Am 19. Jänner 2020 beim Einspringen als „Retter in der Not“ in „Lohengrin“ an der Wiener Staatsoper gefeiert, kann der Sachse auf insgesamt 80 Vorstellungen am Haus am Ring zurückblicken – mit einem umfangreichen Repertoire im deutschen, russischen, italienischen und französischem Fach. Eine besondere Freude, den sympathischen Mann am Pult während des Lech Classic Festivals zum Gespräch zu bitten.

 

Gestern beim Gala-Abend haben wir nicht nur eine neue „Tosca“ von Camilla Nylund kennen gelernt, sondern besonders das „Ave Maria“ ihrer Desdemona war atemberaubend schön. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?

 

Nun, es ist normalerweise nicht Aufgabe des Künstlers, sich gut zu fühlen bei einer Vorstellung, sondern das Publikum soll begeistert sein. Aber in dieser speziellen Situation war es tatsächlich so, dass etwas besonders Großartiges gelungen ist und die unglaubliche Spannung auch auf der Bühne spürbar war. So etwas kann man nie vorbereiten oder proben, das passiert einfach und macht alle glücklich.

 

Sie haben mit Piotr Beczala erstmals zu Jahresbeginn in „Lohengrin“ an der Wiener Staatsoper zusammengearbeitet. Wie gestaltet sich das gemeinsame Wirken?

 

Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu ihm. Es war für mich eine große Ehre und Freude, mit so einem ausgezeichneten Künstler arbeiten zu dürfen, auch jetzt wieder in Lech. Wir liegen – auch musikalisch – auf einer Wellenlänge und wünschen uns weitere gemeinsame Projekte. Wenn Piotr merkt, er kann sich auf das Dirigat verlassen, ist er auch während der Vorstellung bereit, schnell einmal etwas zu ändern und ich kann es bei ihm leicht aufnehmen, wenn er z.B. andere Tempi möchte und entsprechend reagieren.

 

Zum Thema dieser Pandemie-Zeit: wie erleben Sie den Lockdown?

 

Ich persönlich bin vollkommen angstfrei, und zitiere dazu gerne Erich Kästner: „Leben ist immer lebensgefährlich“. Weil ich also lebe, gehe ich stets ein gewisses Risiko ein – schon beim Autofahren oder beim Aufhängen der Gardinen. Man soll den Virus ernst nehmen und nicht verleugnen, aber ich denke, wir haben die Maßstäbe verloren. So habe ich kein Verständnis, dass in Deutschland und Österreich so eine eindeutige und eklatante Ungleichbehandlung der Politik zur Kunst und der Veranstaltungsbranche existiert! Zum Beispiel: beim Fliegen und Zug fahren, gibt es derzeit oft eine dicht gedrängte Menschenmenge, aber im Theater, im Konzertsaal oder in den Opernhäusern darf z.B. nur vor 100 Menschen aufgeführt werden. Die Folgen der getroffenen Maßnahmen sind für uns aber wirklich einschneidend, nicht nur finanziell.

 

Was bedeutet dies genau für die Musiker?

 

Als ich bei der Abschiedsgala von Dominique Meyer in der Wiener Staatsoper im Juni anwesend war, spürte ich einerseits eine Euphorie von allen ‚,dass wir noch leben und es auch zeigen“ und gleichzeitig fühlte man eine tiefe Depression und Verzweiflung. Schließlich singt man den Saal an und es kommt bei so wenigen Besuchern fast nichts zurück – das ist ein ganz anderer Energiefluss als erwünscht und gewöhnt. Fast so wie bei Proben mit einer – nicht vorhandene – Spannung. Hier in Lech habe ich erstmals wieder ein volles Haus erlebt – natürlich mit entsprechendem Abstand. Das ist wunderschön und alle freuen sich sehr!

 

Was wären Ihre Forderungen an die Politik?

 

Lasst uns mit Kreativität und eventuell auch gewissen Auflagen – natürlich mit entsprechenden Kontrollen – arbeiten! Dann braucht es auch keine Dauer-Subventionen für den Kunstbetrieb.

 

Wie sind Ihre weiteren beruflichen Pläne?

 

Normalerweise kenne ich meine Projekte für die nächsten 2 Jahre. Aber nun ist vieles ersatzlos geplatzt – wie z.B. „Don Giovanni“ im Mai mit Carlos Álvarez und Erwin Schrott in Wien, auf den ich mich schon sehr freute, oder eine Neuproduktion des „Parsifal“ in Ekaterinburg, die jetzt gerade stattfinden würde. Ich habe überall Verträge und viele sagen noch nicht ab, jedoch immer mit einem großen aber…!? So kann man momentan keine wirklich fixen Pläne machen…Die größte Frage stellt sich für Künstler und Veranstalter natürlich auch: wird das Publikum kommen oder werden – vor allem ältere Personen – unsicher sein und deshalb fernbleiben? Daher: die Besucher sind jetzt am Zug – sie müssen nun zeigen, wie wichtig Kunst und Kultur für uns alle sind!

 

Wie wird sich die Kunst-Branche durch die Krise verändern?

 

Ich denke, die Solidarität wird steigen. Das war bisher nicht zu spüren, weil wir alle Einzelkämpfer waren. Es gibt Initiativen, die man auch bündeln soll, und ich will dazu auch beitragen. Für die freischaffenden Künstler wäre es fair, wenn man sich bei den Auszahlungen etwa an der Kurzarbeit-Höhe orientieren würde. Schließlich haben Sänger im Ensemble ebenso befristete Verträge, wie die Musiker, die auch befristet für einige Wochen an Produktionen im Haus singen.

 

Was macht einen sehr guten Dirigenten aus?

 

Natürlich neben guter Vorbereitung und musikalisch etwas anbieten zu können, dass man in relativ kurzer Zeit herausfindet, wie man das gesamte Künstler-Kollektiv dahin bekommt, dass wir ein Ergebnis nahe dem Ideal erzielen. Auch ist ein Vertrauensverhältnis zu Orchester und Bühne für mich sehr wichtig, dies kann man aber nicht einfordern, das ergibt sich. Da läuft bei einer guten Orchesterführung auch viel auf die psychologischen Kenntnisse hinaus. Überdies muss die Übertragung des Wissens tadellos funktionieren, das kann nicht jeder am Dirigentenpult. Ich gebe mich nie damit zufrieden, mit Weltklasse-Musikern „nur“ zu arbeiten. Man muss sich immer weiterentwickeln.

 

Hätte es auch andere Berufswünsche für Sie gegeben?

 

Ich habe in meiner Jugend im Chor gesungen und ich habe zum Gesang eine tiefe Liebe. Ich liebe es zu singen und ich liebe Sänger. Bei meiner Aufnahmeprüfung sagte man mir, dass ich auch Gesang studieren könnte – es hätte aber wohl nur zum Chormitglied gereicht. Als arroganter Student hat mir diese Aussicht nicht gereicht unter dem Motto: wenn die MET nicht möglich ist, mache ich das nicht…Da ich sehr sprachbegabt bin, ich spreche neben Deutsch noch Italienisch, Russisch, Französisch und Englisch sehr gut, dachte ich einige Zeit an etwas mit alten Sprachen. Es ist für mich sehr wichtig, dass ich die Sprache an jenen Orten beherrsche, wo ich gerade arbeite. Während des Lockdown habe ich mir selbst gelernt, in Kurrent zu schreiben, um alte Schriftstücke zu verstehen.

 

Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit Regie-Arbeit und Bühnenbild?

 

Oft fehlt der Bezug der Regiearbeit zur Musik und so sind wir von der Idee des Gesamtkunstwerks weit entfernt. So kann ich nur bei etwa 15% meiner Neuproduktionen hinter dem Regie-Konzept stehen. Aber ich sehe es schon so, dass wir die Diener am Kunstwerk sind! Ich bin daher immer schon bei den Bauproben anwesend und es entsetzt mich, wenn ich bemerke, dass die Töne nicht ins Auditorium reflektieren können. Bei der Ausbildung zum Bühnenbildner in Deutschland gibt es etwa keine Vorlesungen zu Akustik!

 

Haben Sie Interesse, selbst Bühnenbilder zu entwerfen?

 

Das wäre tatsächlich interessant, aber ich kann nicht zeichnen – und diese Begabung bräuchte man auf jeden Fall. Vielleicht gelingt einmal eine intensive Zusammenarbeit mit einem Bühnenbildner. Ich sehe da schon so etwas wie eine Mission für mich, denn ich habe ein gutes Vorstellungsvermögen und ich würde auch im Fundus des Theaters nach Außergewöhnlichem suchen. So habe ich in Meiningen, wo ich meinen ersten Figaro und mein Bohème-Debüt dirigierte, unglaublich schöne historische Dekorationen entdeckt – die Kostüme und aufgemalten Bühnenbilder sind ja da und könnten verwendet werden. Bei Neuproduktionen kommt, meiner Meinung nach, meist nichts Gutes nach.

 

Erinnern Sie sich noch an Ihr Debüt an der Wiener Staatsoper 2010 mit „Rigoletto“, den der unvergessliche Dmitri Hvorostovsky sang?

 

Ja, natürlich. Die Wiener Philharmoniker wollten mein Dirigat und Dominique Meyer sagte zuerst 2 Orchesterproben zu. Wegen fehlender Zeit reduzierte es sich auf eine Probe und dann spielten ohnehin andere Musiker bei der Vorstellung. Das nahm ich dann mit Humor, aber bei „Chowanschtschina“ im September 2017 konnte ich mit dem spielenden Orchester intensiver proben und das hat wahnsinnig viel gebracht.

 

Ist es unter solchen Gegebenheiten als Repertoire-Dirigent überhaupt möglich, eine optimale Aufführung zu schaffen?

 

Die Qualität bei der Repertoire-Leitung besteht darin, dass sofort deutlich mit Zeichensetzung und psychologischer Verfasstheit angezeigt wird, wenn kleine Schwächen entstehen könnten oder unvorhersehbare Situationen entstehen. Die Kunst ist es, dass das Publikum – im besten Fall – solche Kleinigkeiten gar nicht mitbekommt und der musikalische Ablauf der Vorstellung garantiert werden kann.

 

Sie haben ein breites Repertoire. Welche Wünsche gibt es noch für die nahe Zukunft?

 

Ich habe mich immer gegen Spezialistentum gewehrt (obwohl die Agenten immer das Gegenteil wollen). Es würde mich tödlich langweilen, wenn ich mich z.B. nur auf die „Traviata“ konzentrieren müsste und die dann weltweit 60x dirigiere. Manchmal juckt es mich, zu meinen Wurzeln der Jugend zurück zu kehren und Bach, Kirchenmusik, Kantaten-Gottesdienste zu dirigieren. Das sollten auch große Klangkörper immer wieder spielen und nicht nur Spezial-Orchester. Auf jeden Fall will ich für gutes Dirigat stehen!

 

Ich wünsche dem engagierten Michael Güttler nur das Allerbeste für die Zukunft und bedanke mich herzlich für das lange Interview im zauberhaften Oberlech auf 1650 Höhenmetern.

 

 

 

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