MICHAEL BODER: Das Besondere ist, dass man mit den Komponisten reden kann
Karl Masek
Das Gespräch vor der Premiere „Orest“ fand am 21.3. 2019 statt
Michael Boder. Foto: Andrea Masek
Herr Boder, sie haben in Wien bisher drei Uraufführungen geleitet – 2 in der Wiener Staatsoper („Der Riese vom Steinfeld“ von Friedrich Cerha 2002, „Medea“ von Aribert Reimann 2010) sowie 1 am Theater an der Wien („Hamlet“ von Anno Schreier 2016), am 31.3. folgt mit Manfred Trojahns „Orest“ eine Erstaufführung an der Wiener Staatsoper – das 2011 in Amsterdam uraufgeführte Werk wurde 2014 bereits von der Neuen Oper Wien gebracht. Sie werden wahrgenommen als Dirigent, der sich besonders mit Werken des 20. Und 21. Jahrhunderts beschäftigt und sind sicher nicht schuld daran, wenn das „Feuilleton“ oft boshaft von der „Alten Tante Oper“ oder von „Opernmuseum“ schreibt! Ist der Eindruck und die Wahrnehmung richtig, dass Sie als Spezialist für neue und zeitgenössische Werke gelten? Wie kam es dazu, die Schwerpunkte so zu setzen?
Der Eindruck ist nicht falsch, das ist erst mein persönlicher Schwerpunkt geworden, also, ich bin mit der Musik von Alban Berg und Arnold Schönberg groß geworden und nicht etwa mit Telemann und Händel – und dann hat sich das in beide Richtungen entwickelt, ins 19. und 20. Jahrhundert und jetzt bin ich halt auch im 21. Jht gelandet. Ich finde es eigentlich völlig selbstverständlich, dass man sich mit der Musik seiner eigenen Zeit genauso auseinandersetzt wie mit der Musik, von wo die andere Musik herkommt, das ist ganz normal. Ich glaube auch nicht, dass ich zu viel moderne Musik mache, ich glaube eher, dass andere zu wenig davon machen. Ich bin der grundsätzlichen Überzeugung, wir müssen 10 neue Opern schreiben, damit eine wirklich übrigbleiben kann, das war nämlich im 19. Jht auch nicht anders.
Sie haben in Wien bisher 13 Opern und 2 Ballette dirigiert, z.B. Wozzeck (ihr Debüt am Haus 1995), Elektra, Hindemiths Cardillac, Enescus Œdipe, Alban Bergs Lulu Schönbergs Jakobsleiter, fürs Ballett Strawinskys Le Sacre du Printemps, im Vorjahr Strauss‘ Capriccio, also lauter besonders schwierige Werke. Jetzt ist der Orest die 14. Oper. Sie haben in Wien immer gute bis hervorragende Kritiken gehabt und man hat immer betont, wie ruhig, unerschrocken und umsichtig sie Herausforderungen bewältigt haben. „Die Presse“ schrieb anlässlich der UA Medea beispielsweise: „M.B. führt unerschrocken und mit größter Umsicht. Er beherrscht das Werk ganz offenkundig, als wäre es sein eigenes. Vermutlich könnte er sogar besser über das Werk Auskunft geben als der Komponist selbst … Was die Wiener Uraufführungs-Besetzung an Präzisionsarbeit leistet, ist gigantisch“. Das zieht sich durch mehr als 20 Jahre. Wie unterschiedlich sind für Sie die Zugänge zu zeitgenössischer Oper und den Komponisten wie Cerha, Reimann und Trojahn?
Im Grunde ist das gar nicht unterschiedlich! Das Schöne und Besondere daran ist ja, dass sie mit den Komponisten sprechen können! Also, ich bin mit Reimann und mit Trojahn sehr befreundet und Cerha hab ich natürlich kennengelernt bei der Arbeit zum Riesen vom Steinfeld, und ich mag ihn sehr. Auch den Henze kannte ich persönlich. Wenn sie mit diesen Leuten an diesen Stücken arbeiten, dann ist das ja nicht nur das Erfüllen dessen, was da aufgeschrieben ist, sondern dass man einfach in Kontakt kommt über das, was eigentlich gesagt werden soll. Und das ist das Abenteuerliche dran! Sie sind ja eine Art Geburtshelfer bei solchen Vorgängen, müssen das, was der Komponist sich vorstellt, nachspüren oder erspüren, zur Geltung bringen. Das ist die Aufgabe. Und ich finde, das ist eine wunderbare Aufgabe …
…und das ist vermutlich auch jetzt bei Trojahn besonders spannend …
… es ist in der Tat besonders spannend, gerade jetzt wieder (Boder kam direkt von der Probe zum Interview) hat der Trojahn zu mir gesagt: „Du machst so vieles ganz anders als ich das gewohnt bin, aber mir gefällt das sehr gut!“
Sie dirigieren „Orest“ zum ersten Mal? Und: Haben Sie das Werk bei der Amsterdamer Uraufführung oder z.B. bei einer Wiederaufführung in Hamburg schon gesehen? Es wurde ja bereits mehrfach nachgespielt und es besteht dabei die Hoffnung, dass es sich mit der Zeit im Repertoire verankern lässt …
…das ist gut möglich! Es ist ein starkes Stück! Ich hab es vorher weder gesehen noch dirigiert. Ich hab es mir absichtlich auch nicht angehört (Anm.: Von der UA gibt es eine CD mit Marc Albrecht). Ich höre es mir lieber an, wenn ich das Werk schon studiert hab um zu sehen, ob ich völlig falsch liege … , lieber hör ich mir ein Werk an, wenn ich es schon erarbeitet hab. Das galt und gilt auch für Alban Berg oder Schönberg …
…Eigentlich schade, dass Sie hier nicht auch „Moses und Aron“ dirigiert haben!
Ja, den hätte ich sehr gern dirigiert!
Worin liegt nun das Besondere am „Orest“? Für den Dirigenten, für die Sänger.
Es ist für alle streckenweise wirklich schwer, aber nicht unmäßig schwer. Wie sagt man: Es ist eine hochkonzentrierte Musik, ohne jede Geschwätzigkeit, die wirklich auf den Punkt komponiert ist. Und das spürt man, das spüren die Musiker, das spüren die Sänger. Also, das wird ein starker Abend, davon sind wir eigentlich alle überzeugt!
In Wien arbeiten Sie bereits zum dritten Mal mit dem Regisseur Marco Arturo Marelli zusammen. Es begann 1999 mit dem Doppelabend „Jakobsleiter“/Gianni Schicchi“ und dann 2010 die Reimann-„Medea“. Was ist das Besondere der Zusammenarbeit mit Marelli, der ja nicht nur Regie führt, sondern auch Bühnenbildner ist?
Marelli hat unglaublichen musikalischen Instinkt, viel Raumgefühl und Geschmack! Also, ich arbeite sehr gern mit ihm, ich hab auch seine Inszenierung des Rosenkavaliers nach Kopenhagen geholt (Anm.: Boder war bis vor kurzem GMD in Kopenhagen), wir haben viele und schöne Sachen zusammen gemacht. Ich schätze ihn sehr, er ist einfach ein „großer Bildner“ …
Gibt es, wenn man schon mehrfach zusammen gearbeitet hat, sozusagen bereits einen Grundkonsens?
Der Grundkonsens ist zum Beispiel, dass man jeden Konflikt gemeinsam lösen kann, wenn man sich so gut kennt. Natürlich gibt’s Sachen, wo wir unterschiedlicher Auffassung sind, aber eben weil wir einander so gut verstehen, können wir diese Fragen auch auflösen.
Sie bestehen augenscheinlich nicht nur auf Premieren, sondern steigen immer wieder auch für ganz normale Repertoirevorstellungen ein, leiten Wiederaufnahmen von Stücken, deren Premieren Sie nicht dirigiert hatten. Auch in dieser Saison gibt es noch 2 Beispiele, erstmals am Haus „Salome“ und auch „Dantons Tod“. Wird es eigentlich für diese Wiederaufnahme Orchesterproben geben?
Für den Danton müssen wir proben, das ist klar. Salome, ja …, das einzige Stück, das ich immer ohne Orchesterproben dirigiert hab, war Elektra und bei Salome (lächelt verschmitzt), will ich jetzt schauen, ob das auch funktioniert …
„Dirigent“ in der heutigen Zeit: Ist wieder ins Gerede gekommen, gilt als einer der letzten Berufe mit autoritärer Struktur und Machtfülle, und da sind einige in die Kritik geraten (ich beziehe mich jetzt nur auf den Arbeits- und Probenstil, auf den Umgang mit den Orchestermitgliedern) z.B. Barenboim und angebliche Orchesterproteste. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen „Chef“, der etwas bestimmt und fordert und einer Rolle „Primus inter pares“?
Ich bin natürlich eine andere Generation als Barenboim, aber ich glaube, es ist auch ein anderes Verständnis. Man ist Primus inter pares, man ist Partner, man ist aber auch Vermittler! Wissen Sie, der Dirigent tut ja nix in die Musiker rein, sondern er lockt etwas aus ihnen heraus. Das ist ein großer Unterschied. Ich bin ja dazu da, den Musikern zu helfen, bestmöglich zu spielen. Das ist das Ziel. Nicht zu sagen, was er machen soll. Das weiß er selber. Das in eine Bahn zu bringen, dass es zu den anderen passt, das ist die Kunst. Die ganze Autoritätsdebatte versteh ich jetzt nicht auf mich persönlich bezogen. Die einzige Autorität um die es geht ist die Sache, die Musik. Nur darum geht’s. Nicht darum, wer das Sagen hat und wer folgen muss! Gerade bei schwierigen Partituren ist ja Partnerschaft zwischen Dirigent und den Musikern im Orchester und auf der Bühne essentiell! Wir sind alle aufeinander angewiesen. Es hätte keinen Sinn, hier mit Druck etwas erreichen zu wollen.
Sie sind Wahlwiener (Anm.: Deutscher, 1959 geboren in Darmstadt), mit einer Wienerin liiert. Diese Wienerin ist Elisabeth Sobotka, war in der Direktion Joan Holender acht Jahre an der Wiener Staatsoper als Chefdisponentin tätig, später Opernchefin in Graz und ist jetzt Intendantin der Bregenzer Festspiele. War da die Idee, den Lebenspartner zu engagieren? Ich frage das deshalb, weil es ja auch hier leicht Kritikpunkte gibt, wenn ich z.B. an Anna Netrebko und gemeinsame Engagements mit ihrem Mann, Yusiv Eyvazov, denke …
…Das kann ich ihnen erzählen: Ich hab immer gesagt, am See will ich nicht dirigieren, da soll sie mir nicht bös sein. Dann hat sie gesagt, aber dann mach doch unser modernes Projekt. Das war letztes Jahr, eine Oper von Thomas Larcher, die hab ich dann gemacht. Sie hat aber ein Jahr vorher mit dem Festspielpräsidenten gesprochen und gefragt, ob er was dagegen hätte, wenn ich da mal dirigieren würde, und der sagte dann: „Ach endlich, wir dachten schon, der mag uns nicht!“ (lacht). Also, sie sehen, das war gar kein Problem. Übertreiben darf man das natürlich nicht. Aber wenn es ein passendes Projekt gibt, wo ich etwas dazu sagen kann, mache ich das gern … , naja, und für meine Frau ist das dann auch preiswerter …, aber an sich haben Sie recht, man muss immer darauf achten und die Balance wahren. Wenn seinerzeit in Lübeck Edith Mathis dort auftrat, weil ihr Mann Bernhard Klee dort Generalmusikdirektor war, war man natürlich froh!
Wie gehen Sie mit den „Sozialen Medien“ um? Nützen Sie Facebook und Twitter? Ich habe ja nicht den Eindruck, dass Sie in Talkshows und Seitenblicke-Sendungen vorkommen!
Ich brauch das alles nicht. Es reicht völlig, wenn meine Kinder das können!
Meine Frage zur nächsten Zukunft: Was kommt in der nächsten Spielzeit, im letzten Direktionsjahr des Dominique Meyer, und gibt es Kontakte, Gespräche mit seinem Nachfolger, Bogdan Roščič?
Wir nehmen, glaube ich, „Cardillac“ wieder auf. Und der Orest kommt zurück. Sonst bin ich im Moment überfragt. Ich bin ja jetzt frei arbeitend. Bis vor zwei Jahren war ich ja fix als GMD in Kopenhagen. Wieder irgendwo GMD? Da hab ich im Moment keine Lust dazu. Ich werde wieder mehr Konzerte machen – und vielleicht auch bisschen Ferien machen. Das ist ja auch nicht schlecht! Kontakte und Gespräche mit der neuen Direktion gibt es, und ich bin zuversichtlich, dass es in Wien weitere Aufgaben gibt.
Was sind bei Konzerten bevorzugte Komponisten?
Ich mach viel Bruckner, Mahler, natürlich Strauss und auch viel Modernes, das ist dann so mein Repertoire. Aber auch Brahms. Es ist sehr gemischt! In Wien hat man immer den Eindruck, ich würde nur die Moderne abdecken, Es war mir natürlich ein großes Anliegen, das in Wien zu machen, gerade auch Schönberg und Berg – das ist ja schließlich Wiener Musik!
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Gespräch genommen haben. Toi, toi, toi für die Premiere und alles Gute für die Zukunft!
Ich danke Ihnen.
Karl Masek (21.3.2019)