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MELK/ Stift/ Internationale Barocktage, Pfingsten 2019 „KÖNIG . BÜRGER . BETTELMANN“ und: „LYRA ET GLADIO“

Melk als Mittelpunkt des Barockmusik-Universums

11.06.2019 | Konzert/Liederabende

 

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STIFT MELK: Internationale Barocktage, Pfingsten 2019

„KÖNIG . BÜRGER . BETTELMANN“ und: „LYRA ET GLADIO“

 

  1. bis 10.6.2019: Melk als Mittelpunkt des Barockmusik-Universums

11.6. 2019 – Karl Masek

Michael Schade, der Unermüdliche, der Umtriebige, hat auch der 41. Ausgabe des Barockmusikfestivals zu den Pfingstfeiertagen 2019 ein Motto vorangestellt (siehe Überschrift). „Kultur gehörte zum Selbstverständnis eines Herrschers. Gleichzeitig hatten Musik und Kunst auch eine klar definierte Aufgabe – jene der Repräsentation und Verherrlichung…so gab es in diesen Zeiten kaum einen Komponisten, der freischaffend war…die meisten von ihnen waren wirtschaftlich und persönlich kaum besser gestellt als ein Lakai…und wie sah es mit der restlichen Bevölkerung aus, bis hin zu den Ärmsten? Was sang man, was hörte man, was spielte man?“, so die entdeckerfreudigen Fragen des Künstlerischen Leiters im Vorwort.

In 15 Veranstaltungen zog man also durch die verschiedenen Gesellschaftsschichten und stellte König, Bürger, Bettelmann einander gegenüber. Es begann mit 2 Barocktagen für Kinder und Mitmachkonzerten für Familien mit Kindern mit dem Titel „König Wickerl tanzt ein Stückerl“ mit großem Spaßfaktor und brachte spannend programmierte Chor- und Orchesterkonzerte sowie Gesang- und Tanzperformances von „König Davids Harfe“, „Freimaurerey“, „Großer König aller Zeiten“, eine „getanzte Soirée am Hofe Ludwigs XIV“ bis zu „OffRoadBarock“ –  Gypsy Baroque“.


Ensemble L’ Arpeggiata“. Copyright: Michael Uneffer

 

  1. Juni: Das große Eröffnungskonzert im Kolomanisaal brachte das Debüt der in Graz geborenen Harfenistin, Lautenistin und Theorbenvirtuosin von Weltruf, Christina Pluhar und dem 2000 von ihr gegründeten Ensemble L’ Arpeggiata“. Eigens für Melk wurde ein Programm erstellt, das die Harfe in seine Mitte stellt. Im barocken Italien eroberte eines der ältesten Musikinstrumente die Herrscherpaläste. Komponisten – die häufig zugleich auch die Interpreten waren – wurden als Superstars gefeiert. Opern und Kantaten von Luigi Rossi (ca. 1598 – 1653), Maurizio Cazzati 1616 – 1678) oder Lorenzo Allegri (1567 – 1648) wurden in verdienstvoller Schatzgräberarbeit der Vergessenheit entrissen. Welch hinreißende, sinnliche, ausdrucksgeladene und wahrhaftige Musik, voll der klanglichen, rhythmischen, improvisatorisch anmutenden Überraschungen! In Wahrheit also neue Musik – weil wieder entdeckte Musik! Keine Spur von Formelhaftigkeit oder sinnentleertem Zierrat! Dafür ein „Verismo“, der einen Abend lang in Bann hielt …

Allein Luigi Rossi! Sein Vokalwerk umfasst über 250 Kantaten, und seine Oper „Orfeo“ begründete den Ruhm der italienischen Oper in Paris und Rossis damaligen Legendenstatus.

Sensationell das Ensemble, nebst der titelgebenden Barockharfe bestehend aus Zink, 2 Barockgeigen, Gambe, Cello, Lirone (ein Streichinstrument, auch Lira da Gamba), Theorbe, Barockgitarre, Cembalo und Orgelpositiv.  Jede(r) von ihnen virtuos und von mitreißender Spielfreude. Und ereignishaft die beiden Solistinnen. Die belgische Sopranistin Céline Scheen und der italienische Mezzosopran Giuseppina Bridelli, beide von einzigartiger Stimmqualität. Sie berührten und begeisterten mit Kantaten, Arien, Duetten (z.B. aus der o.g. Oper „Orfeo“ durch eine Ausdruckspalette und besondere Textbezogenheit, die kaum mehr steigerbar schien. Mit energischem Zugriff, bohrender Intensität, hitzigen Accellerandi, aber auch poetischer Zartheit gestaltete „L’ Arpeggiata“ auf gleichem, stratosphärischem Niveau. Ein „Überfliegerkonzert“ wurde stürmisch bejubelt. Als Zugabe das vielleicht schönste Liebesduett aller Zeiten, ich sage nur „Monteverdi“ und „Poppea“…

 

  1. Juni: – Freimaurerei – Die königliche Kunst:

Um Freiheit, Toleranz und Brüderlichkeit kreisten die Musikstücke und ausgesuchten Texte. August Zirner (Burg- und Volkstheater Wien, Salzburger Festspiele, aber auch als Filmschauspieler sehr geschätzt) rezitierte sonor, zugleich mit sachlichem Ton Briefstellen und Gedanken von John Locke, Voltaire („Gebet um Toleranz“), Schiller, Goethe und Johann Gottfried Herder, hier aus „Schwungkräfte der Menschheit“: Durch Menschen wird der Mensch humanisiert (aber auch Gegenteiliges, wie uns die Geschichte lehrt, ist man geneigt zu ergänzen). Friedrich II. in Preußen wie Joseph II. waren den Freimaurern gegenüber sehr aufgeschlossen, was Briefkontakte mit Carl Philipp Emanuel Bach und die bekannten Kontakte mit Mozart belegen. Was lag näher, als Musik des Bach-Sohnes, aber auch von Mozart (der ja auch explizit freimaurersche Musik komponierte) und seinem Logen-Bruder Paul Wranitzky (1756 – 1808) zu spielen?  Auch wenn letztere nicht mehr unbedingt der Barockmusik zuzurechnen sind.


Barocksolisten München. Copyright: Theresa Pewal

Die Barocksolisten München spielten sehr akkurat eine eigene Kammermusik-Bearbeitung der Zauberflöten-Ouvertüre, aus dem „Nannerl“-Septett, KV 251 das Schluss-Rondo mit witzigen Einsprengseln von kinderliedhaftem ‚Einmal hin, einmal her – rundherum das ist nicht schwer‘ bis zu einer ironischen „Ungharese“ –  Stelle nach dem Vorbild Haydns. Der intuitiv wohl beste Musikpsychologe aller Zeiten zeigte auch mit seinem Fagottkonzert, KV191 (schon als  18- Jähriger!), was er von der „Mentalität“ und dem „Temperament“ der Orchesterinstrumente verstand! Ein Concerto für Cello, Streicher und B.C. von C.P.E. Bach wurde mit samtigem Ton und ruhigem, ausgeglichenem Puls musiziert. Und noch ein Beweis wurde erbracht: Paul Wranitzky war keineswegs ein Kleinmeister! Nicht zu vergessen: Friedrich der Große von Preußen war ein höchst talentierter Komponist! Sein Allegro assai aus dem Konzert für Cembalo, Streicher in F-Dur, verriet verblüffenden Humor. Da gönnte sich einer beim Komponieren entspannte Heiterkeit!

Der künstlerischen Leiterin des Ensembles, Dorothea Seel, ist für die kluge konzeptive  Programmierung eines bereichernden Konzertes zu danken. Und als Flötistin zeigte sie herausragende kammermusikalische Qualität. Der Wettergott ließ sich auch von der abschließenden Miniatur, dem Mozart‘schen „Donnerwetter“ (Contratanz für Violinen, Bass, 2 Oboen, 2 Hörner, 1 Flautino und Trommel, KV 534) nicht zu Kapriolen inspirieren. Strahlendes Pfingstwetter an diesem Samstag in Melk!

 

  1. Juni (Pfingstsonntag): Mit Leier und Schwert – Kaiserkomponisten am Wiener Hof

 Ein ganz und gar österreichischer Vormittag! Aber auch: Kunst und Krieg. Beides war ein Ausdruck des Selbstverständnisses habsburgischer Kaiser im Barock. Diese fast Angst machende existenzielle Spannung ist für uns heute kaum vorstellbar und sollte dazu wachrütteln, Musik und Kunst als lebenswichtigen Gegenpol zu allen realpolitischen Gegebenheiten zu setzen“, so Stefan Gottfried, Leiter des Concentus Musicus Wien, im Festspielalmanach. Hätten die Monarchen, egal ob Habsburger, ob Preußen, sich mehr dem Komponieren oder anderen künstlerischen Tätigkeiten gewidmet, wäre den Völkern vermutlich so mancher Krieg erspart geblieben, so könnte man spekulieren.

Wie auch immer: Wir bekamen exquisite Vokalwerke von Kaiser Leopold I. (1640 – 1705) und Kaiser Joseph I. (1678-1711) zu hören. Leopold war ausgewiesener Spezialist für so genannte Fastenoratorien für die Karwoche. Aber auch seine leichtfüßigen Balletti können sich hören lassen! Die junge japanische Sopranistin Momoko Nakajima sang aus dem „Sepolcro“ ‚Il lutto dell‘  universo“ die Arie der Divina Misericordia.  Nakajima ist seit ihrer erfolgreichen Mitwirkung als Fiordiligi in Mozarts „Cosi“ im Schönbrunner Schlosstheater (Sommer 2018) eine besondere Hoffnungsträgerin in Michael Schades „Nachwuchsstall“. Schön timbrierte, glockige, durchaus auch schon seelenvolle Stimme und eine Stilistin, deren Namen man sich nach dieser weiteren überzeugenden Talentprobe merken sollte. Auch die beiden Kostproben aus Opern des Joseph I. machten Lust auf mehr …

 

Schätze der Barockmusik auch die Kreationen von langjährigen Haus- und Hofkomponisten am Habsburger Hof. Der im niederösterreichischen Scheibbs geborene Johann Heinrich Schmelzer erfreute mit einer feinen Sonata in G-Dur aus der Sammlung Sacro-Profanus Concentus Musicus  aus dem Jahr 1662. Heinrich Ignaz Franz Biber reizte in seiner Suite „Battalia“ alle spieltechnischen Möglichkeiten und Geräuschanreicherungen, um mit großem Rums Schlachtenlärm zu suggerieren (und mit einem berührenden Lamento der Kriegsverwundeten zu schließen). Er würzt seine Musik aber auch mit damals bekannten Gassenhauern. Der Steirer Johann Joseph Fux erfreute einmal mehr mit schillernder Farbigkeit und kraftvollem Zugriff in einer „Ouvertüre in d-Moll“ aus dem ‚Concento Musico‘. Der Concentus Musicus begeisterte durch inspiriertes musikantisches Spiel. Höhepunkte bescherten dabei Konzertmeister Thomas Fheodoroff sowie die Cellistin Dorothea Schönwiese. Dirigent, Cembalist und Organist Stefan Gottfried und das Melker „Orchester in Residence“: bitte auch für die Zukunft festnageln, das demonstrierte mit stehenden Ovationen das Publikum.  Euphorie im Kolomanisaal.


Johannes Hiemetsberger. Copyright: Theresa Pewal

Eine veritable Entdeckung bei „Herrscher der Horizonte“ am Nachmittag, diesmal „unten“, in der Melker Altstadt, in der Pfarrkirche (Akustik: exzeptionell!). Wieder mit einem österreichischen  Chorleiter der Superlative: Johannes Hiemetsberger. Dieses Konzert wurde zu einer Neuentdeckung  – vielleicht war das sogar ein heimlicher Gipfelsieg in einem Festival, das an „Unverwechselbarkeit“ seinesgleichen sucht. Wer hat solch musikalische Zusammensetzung schon gehört: Etiketten wie „alt“ oder „neu“ sind obsolet. Musik und Gesänge zwischen Kulturen und Religionen wechseln einander ab, verschmelzen aber auch immer wieder magisch und glückhaft miteinander. Psalm -Vertonungen Davids aus dem Judentum, dem Christentum und dem Islam können als Spiritualitätsquelle dienen, ebenso als Verbindung von Tradition und Moderne. Interkonfessionelle musikalische Begegnungen der besonderen Art.  

Die Psalmen sind u.a. vom Niederländer Jan Pieter Sweelinck 1562-1621), Ali Ufki (1610-1675), Salomone Rossi Hebreo  (1570-1630). Also drei Kulturkreise, drei Konfessionen.


Company of Music/ Sarband. Copyright: Andrea Masek

Hiemetsbergers diesmal sechsstimmige österreichische Chorformation, Company of Music, bestand  aus  2 Sopranen, Mezzosopran, 2 Tenören, Bass: Barbara Achammer, Johanna Zachhuber, Daniela Janezic, Florian Ehrlinger, Julian Podger, Ulfried Staber.  Von symbiotischer Verwobenheit, so als würden sie schon ewig miteinander singen. Mit einer Schönheit, die beinah überirdisch anmutet. In Verbindung dazu das 1989 gegründete Instrumentalquartett Sarband  (sie kommen aus Syrien, Jordanien, Griechenland, Bulgarien). Leitung: Vladimir Ivanov. Instrumente: Psalter, Nay & Kavala (Rohrflöten), Kemence (Schoßfiedel) und Rahmentrommel. Ein Sänger ist hier das Kraftzentrum. Auch hier die Namen: Rebal AlKhhodari (mit suggestiver Eindringlichkeit und virtuosen Registerwechseln seine Gesangsstimme!), Salah Eddin Maraqa, Mohamad Fityan,  Efstratios Paradellis. „Sarband“ „…lädt Hörer wie ausübende Musiker dazu ein, zusammenzufinden, verbunden mit musikalischen Erfahrungen, die zuvor vielleicht als fremd wahrgenommen wurden…“

 Es ging 70 Minuten lang „…um das Erkennen der Schönheit anderer und fremder Kulturen und um die Erkenntnis, dass wir am Ende und unabhängig davon, wie weit wir geografisch auseinanderliegen, vom selben reden – vorausgesetzt, wir hören einander zu“, so Johannes Hiemetsberger. Dieses Erkennen war geradezu körperlich spürbar!  Detailkritik bleibt außen vor. Der Kritikerdaumen ist tief in der Tasche vergraben. Der Berichterstatter verneigt sich.

 

  1. Juni (Pfingstmontag): Ein repräsentativer und schließlich krönender Abschluss der Festspieltage in der Stiftskirche Melk war das – mit Georg Friedrich Händels Oratorium „Messiah“! Die spezielle Akustik des hochbarocken Kirchenraums mit ausgeprägtem Nachhall ist immer ein besonderer Prüfstein für alle Ausübenden.

Dirigent Daniel Harding (mit Debüt!) kam mit den Gegebenheiten bestens zurecht. Er bewies eminenten Klangsinn, stellte seine Tempoarchitektur so ein, dass sich Klänge niemals überlappten und so ein transparentes, nie verschwommenes Ganzes entstand. Für kontemplative Ruhepunkte, ließ er sich alle Zeit der Welt, ohne dass der Spannungsbogen abflachte. Dramatische Zuspitzungen kamen ebenfalls zu ihrem Recht und die monumentalen Höhepunkte (wie das „Hallelujah“) hatten Dringlichkeit, und Harding beließ es nicht bloß beim Ohrwurm-Charakter.


Concentus Musicus Wien. Copyright: Joachim Baumann

  Der Concentus Musicus Wien zeigte bei dieser Erstbegegnung mit dem britischen Gastdirigenten all seine oft beschriebenen Vorzüge und spielte darüber hinaus mit besonderer Inspiration – und in bester Klangrede-Manier.

Ein Meisterstück lieferte die Wiener Singakademie (wie immer perfekt die Einstudierungsarbeit des langjährigen Chordirektors Heinz Ferlesch) mit großer Ausdrucksbandbreite, gekonnten dynamischen Schattierungen und kraftvollem Setzen der Höhepunkte. Besonderes Lob dabei den Jubeltönen der Soprane!

Und wenn Michael Schade mit Bedeutsamkeit das Accompagnato-Rezitativ  Comfort ye, My people, saith your God  einleitet, in seinen Arien jede Opernhaftigkeit hinter sich lässt; wenn Giulia Semenzato (der kristallklare Sopran) und Terry Wey (der Altus mit den ihm eigenen sanften Balsamtönen) im 1. Teil  He shall feed His flock … Come into Him … anstimmen, ihre Arien zu Kleinodien subtiler Charakterisierungskunst werden;  und wenn Christopher Maltman seine berühmte Arie The  trumpet  shall  sound zu einem perfekten Dialog mit der Solotrompete macht:  Hier überall hatte Händels Musiksprache menschlichen Puls und Seele. Jetzt  ist der Punkt, einem großen Mediziner, Psychiater und Musik- bzw. Opernenthusiasten, dem legendären Erwin Ringel, posthum zu widersprechen. Er hatte 1990 in seinem Buch „“Unbewusst – höchste Lust“ auf Seite 148 tatsächlich behauptet, Händel hätte seelenlose Musik geschrieben. Da hat der sonst so treffsichere „Psychiater der Nation“ einmal wohl kräftig danebengehaut!

Stehende Ovationen auch nach diesem Finale. Man kann den Untertitel des Berichts getrost so stehen lassen: Bei den Internationalen Barocktagen im Stift Melk 2019  war das Städtchen am Eingang zur Wachau  Mittelpunkt des Barockmusik-Universums!

Karl Masek

 

 

 

 

 

 

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