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MELK/Internationale Barocktage Pfingsten 2018: 40-Jahr-Jubiläum mit „IL SUONO DELL‘ UNIVERSO

Zwei fulminante Konzerte

21.05.2018 | Konzert/Liederabende


Künstlerischer Leiter Michael Schade in der Melker Stiftsbibliothek. Copyright: Daniela Matejschek

MELK/Internationale Barocktage Pfingsten 2018: 40-Jahr-Jubiläum mit „IL SUONO DELL‘ UNIVERSO“ (17. bis 21. Mai) – Zwei fulminante Konzerte
19./20.5. 2018 – Karl Masek

Unter dem Motto „Die Schöpfung und ihre Naturgewalten“ feiern die Internationalen Barocktage im Benediktinerstift Melk unter der künstlerischen Gesamtleitung und sängerischen Mitwirkung von Michael Schade das 40-Jahr-Jubiläum. 1979 gegründet und bis 2012 geleitet wurde das kleine aber feine Pfingstfestival von Helmut Pilss, Absolvent des Stiftsgymnasiums Melk und langjähriges Mitglied des Wiener Staatsopernchores.

Seit 2014 ist nun Michael Schade verantwortlich. Er stürzt sich mit wahrem Feuereifer in seine Aufgabe. Er etabliert damit die Internationalen Barocktage als eines der profiliertesten Festivals Alter Musik mit konzeptionellem Ehrgeiz und starker innerer Dramaturgie.

„Wir widmen uns dem Ursprung des Lebens, dem scheinbar endlosen Universum … Wir wagen uns auf den Weg zu verschiedenen Kulturen und Sprachen, überstehen gefährliche Stürme und setzen uns über Grenzen hinweg … Unser Lockruf gilt weiterhin auch den Jüngsten mit ‚Mäuschen Max verschenkt die Welt‘ und Querdenkern mit ‚OffRoadBarock‘, nicht zu vergessen die Stars der nächsten Generationen mit ‚Stella Juventutis‘. Besucher wie Künstler wollen wir mit Freude an der Barockmusik beschenken…“, so Schade im Vorwort. Ein kurzer Verweis noch auf das (Online) Merker-Interview vom 11.5.!

„Die Schöpfung“ (natürlich von Haydn, auch wenn dieser nicht zur Barockmusik zählt, aber konzeptionell geradezu zwingend ist!), hat eröffnet. „Klingendes Planetarium“ (ein Preisträgerkonzert), „La Tempesta di mare“ (mit dem aufstrebenden Kroatischen Barockensemble), „Pfeifende Winde“ (eine nächtliche Orgelreise innerhalb des Stiftes mit 4 Orgeln, Englischhorn und Maultrommel) sind besonders originelle Konzertformate dieses Jubiläumsjahres. Starensembles wie das Concerto Kopenhagen mit Lars Ulrich Mortensen und natürlich der Concentus Musicus unter Stefan Gottfried sowie der renommierte Salzburger Bachchor geben sich heuer ein Stelldichein. Und man bleibt nicht nur oben im Stift („Festung & Universität“, so Schade), sondern erobert auch andere Räumlichkeiten, wie das Schloss Pielach und die Pfarrkirche Melk.

Die Matinee „Vom Ursprung des Lebens“ (Samstag, 19.5.) versprach besonders interessant zu werden. Countertenor Terry Wey stellte das musikalische Programm exklusiv für die Barocktage zusammen. Und nicht als Tourneeprogramm. Das macht Festspiele wirklich unverwechselbar und einzigartig. Der Musikfreund dankt es ihm! Es gibt einen perfekten musikalischen und inhaltlichen Bogen durch das ganze Konzert. Klammer (sozusagen Alpha & Omega) ist das 6-teilige meditative Palindrom NIPSON des britischen Komponisten John Tavener (1944-2013) für Countertenor und Gamben, uraufgeführt 1999.

Dazwischen musikalische Schätze des Frühbarock von Claudio Monteverdi, Leopold I., Emilio de‘ Cavalieri (1550-1602), Henry Purcell („Sweeter than roses“), irische Traditionals, Robert Johnson (ca.1583-1633, „Have you seen but a white lily grow“), Michael Cavendish (ca. 1565-1628), schließlich von Johann Christoph Bach (das berühmte Gamben-Lamento „Ach, dass ich Wassers g’nug hätte“ von 1672). Allegorisches, die „ewigen Themen“ Liebe&Natur (und die poetische Kombination) wird gesanglich durchmessen.

Einen besonderen Reiz versprach der Vormittag durch den zusätzlich angekündigten theologisch-naturwissenschaftlichen Diskurs zu den Begriffen WAHRNEHMEN-GLAUBEN-WISSEN; URSPRUNG DES LEBENS; SEELE; LIEBE; STAUNEN; MYTHEN & WAHRHEIT; WORAN GLAUBEN DIE, DIE NICHT GLAUBEN?

Die Biochemikerin Renée Schroeder und der Psychotherapeut, Theologe (und frühere Seelsorger) Arnold Mettnitzer kreuzten hier elegant die Klingen .„Glauben ist das, was man für wahr hält, hat daher viel mit Wunschdenken zu tun“, so Schroeder. „Wir brauchen ein ‚Miteinander‘ der Naturwissenschaft und der Theologie … oft geht unserem Wissen ein Ahnen voraus…“ waren Kernsätze Mettnitzers. Einig waren sich beide, dass die Gesellschaft, die Menschheit …“eine Re-Humanisierung braucht, Wachstumswahn beutet Menschen aus, macht sie schließlich überflüssig.“ Daher, so Schroeder abschließend, “muss sich der Mensch neu erfinden.“ Empathie sei dafür die wichtigste menschliche Eigenschaft …

Pointierte, auch bewusst launige Formulierungen hatten aber auch befreites, herzliches Lachen zur Folge. Neben aller wissenschaftlichen und theologischen Ernsthaftigkeit kam der Unterhaltungsfaktor nicht zu kurz (Souverän der Moderator: Alexander Hauer).

Terry Wey gelang es, gemeinsam mit dem Lautenisten Luca Pianca, dem Gambisten Vittorio Ghielmi und dem Mozarteum Viol Consort (Studenten von Ghielmis Gambenklasse) eine musikalische Sternstunde zu zaubern. Wie er mit glasklarer Stimme, unfehlbarer Intonation, betörender Schönheit, der absolut natürlichen Tongebung seines Altus und seinen charakteristischen Schwebetönen sowie schier unendlichem Atem meditative Stimmung evozierte: Das hatte etwas Spirituelles, geradezu Sphärenhaftes. Der instrumentale Einsatz seines Edelorgans (mit Vibrato nur in homöopathischen Dosen), feinste Schattierung in der Gefühlsebene von Liebe über Staunen bis zu Schmerz und Tränen, bewirkte atemlose Konzentration im Auditorium. Ich wage die Behauptung: Damit ist er derzeit in der Counterszene ohne Konkurrenz.

Kongenial und musikalisch eines Sinnes alle 7 Musiker/innen. Luca Pianca verströmte subtile Lautenklänge (und ließ sich nicht einmal durch eine gerissene Saite sonderlich aus der Ruhe bringen!) – und Vittorio Ghielmi samt hochtalentiertem Nachwuchs begeisterte mit staunenswerten Farbnuancen und großer Intensität auch im Leisen. Jubel eines gebannten, beeindruckten Publikums im prachtvollen Kolomanisaal des Stiftes Melk.


Vittorio Ghielmi, Terry Wey, Luca Pianca nach dem Konzert C: Andrea Masek

Ganz anders gelagert die musikalischen Abenteuer und Entdeckungen bei „Vidala“ (Konzert am 20.5.)
Rubén Dubrovsky und sein Bach Consort Wien begaben sich auf musikalische Spurensuche in der Alten und Neuen Welt.
Dubrovsky, in Argentinien geboren, u.a. in Deutschland ausgebildet, in Wien heimisch, hat durch akribische Forschungsarbeit herausgefunden, dass europäische Barockmusik durch die Kolonisationsbewegung, die Ende des 15. Jhts begann, viele Wurzeln in der lateinamerikanischen Musik dieser Zeit und afrikanischen Rhythmen hat. Dubrovsky: „Aus der Mischung von europäischen Instrumenten mit der Musik afrikanischer Sklaven auf südamerikanischem Boden ist eine ganz neue Musik hervorgegangen. Es sind Rhythmen entstanden, die es vorher nicht gab … Namen wie Ciaconna oder Sarabanda kommen uns heute noch aus der Alten Musik bekannt vor. Diese temperamentvollen Rhythmen eroberten Europa, um bald darauf von der Spanischen Inquisition wieder verboten zu werden. Aber sie haben sich durchgesetzt und tauchen später z.B. bei Bach wieder auf…“
„Vidala“ ist übrigens eine alte, improvisatorische Gesangsform aus den Anden, die man oft als Klagegesang hört. Der Sänger trägt den Rhythmus sozusagen in sich, begleitet sich auf einem Perkussionsinstrument.
Bernarda Fink, der argentinische Mezzosopran mit slowenischen Wurzeln, ebenfalls in Buenos Aires geboren und aufgewachsen, war die gefeierte Solistin des Abends. Den meisten ist sie bekannt als besonders schönstimmige, stilkundige Konzert-, Lied- und Opernsängerin – und dass sie eine besonders geschätztes Mitglied des „Nikolaus- Harnoncourt-Ensembles“ war. Eine faszinierend neue Begegnung dürfte für viele sein, dass sie im Bereich der lateinamerikanischen alten wie neueren Musik, oder etwa einem frühbarocken italienischen Wiegenlied von Tarquinio Merula (1595 – 1665) zu berühren weiß. Wie sie musikalischen Kleinodien einen „emotionalen Sog“ verpasst: Das geht unter die Haut! Aber auch Opernausschnitte singt sie. Aus Monteverdis „Incoronazione di Poppea“ das Wiegenlied der Arnalta oder Ottavias herzzerreißende Klage „Disprezzata Regina“, in der sie ihr Leid über den schändlichen Nerone ausdrückt. Einen Tango von Astor Piazzola servierte sie mit lässiger Eleganz, „Cuecas“ (getextete Paartänze, in Chile und Bolivien heimisch) stellte sie vor.


David Drabek, Bernarda Fink, Ruben Dubrovsky „in action“. Copyright: Andrea Masek

Unbändige Freude an dieser Musik strahlte sie aus und harmonierte mit dem an diesem Abend fulminanten Bach Consort Wien, das sich in ein Furioso steigerte.Alle 7 Musiker seien da genannt: Natürlich der charismatische Rubén Dubrovsky, der Violoncello, Piccolo, Charango und Barockgitarre gleichermaßen virtuos handhabt, als charmanter Plauderer das Programm witzig moderiert, Musik in den Fingern, in den Beinen – im Blut hat. Die beiden Violinisten Agnes Stradner und David Drabek, die z.B. bei den berühmten La Folia-Variationen op. 1/12 von Vivaldi mit Accelerando zu hitzigem Spiel animierten, was in einen Jubelschrei des Publikums mündete. Die Zupfinstrumenten-Seilschaft (Mónica Pustilnik u.a. an der Erzlaute, David Bermüller an der Theorbe), beide mit tollem Einsatz bei der Sache, Roberto Sensi, dass Violone-Bassfundament – und Martin Bruhn, der die Bombo-Percussion spielte, als sei er auch in Lateinamerika geboren und musikalisch sozialisiert worden.

Sie alle vermittelten unbändige Begeisterung und temperamentgeladene Lebensart, spielten süffig. Wie man so schön sagt: der (Kolomani)Saal kochte. Das Publikum belohnte ein fulminantes Konzert voller Sinnlichkeit und musikantischer „Naturgewalten“ mit Ovationen.
Gratulation zum Vierziger!

Karl Masek

PS: Für kurzentschlossene Fernseher: Mo, 21.5.: ORF 2 <matinee<: 9:05 und 9:45: Dokumentation „40 Jahre Pfingstkonzerte im Stift Melk bzw. Eröffnungskonzert 2018 mit Haydns „Die Schöpfung“; beides ist aber auch nach den Ausstrahlungen sieben Tage in der ORF TVthek online abrufbar!
PPS: Int. Barocktage 2019: 6. bis 10. Juni

 

 

 

 

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