Meininger Staatstheater – 12.4.2025 Premiere „TRISTAN UND ISOLDE“ –
Alle im April-Heft bereits besprochenen – und von mir in Jahrzehnten „live“ genossenen „Liebestränke“ wurden in dieser „Tristan“-Premiere übertroffen durch eine Inszenierung von unübertrefflicher optischer Schönheit, einem Einfallsreichtum und einer Eindringlichkeit sowie musikalischem und vokalem Tiefgang, romantische Höhenflüge und menschliche Abgründe nicht aussparend – ein die Mitwirkenden bis zum Letzten fordernder Wagner-Abend.
Ein 29-jähriger irischer Dirigent, seit einem Jahr Meininger GMD Killian Farrell, drei deutsche Damen, Verena Stoiber, Susanne Geschwender und Clara Hertel, die für Regie, Bühne und Kostüme verantwortlich zeichneten, und in den Titelrollen zwei exzellente, Wagner-erfahrene Sänger, Marco Jentzsch und Lena Kutzner, für diese wohl emotional wie vokal anspruchsvollsten aller deutschen Opernrollen. Vortreffliche Ensemblemitglieder erfreuten in den übrigen Partien.
Foto: Christiane Ibert
Im wunderbaren 36-seitigen Programmheft mit 15 exzellenten Fotos von der Produktion wird nach dem Namensverzcichnis sogleich Thomas Mann (aus seiner Novelle „Tristan“) zitiert: „ZWEI KRÄFTE, ZWEI ENTRÜCKTE WESEN STREBTEN IN LEIDEN UND SELIGKEIT NACHEINANDER UND UMARMTEN SICH IN DEM VERZÜCKTEN UND WAHNSINNIGEN BEGEHREN NACH DEM EWIGEN UND ABSOLUTEN“
Das feminine Regieteam hat die Verbindung von Natur und menschlichen Empfindungen offenbar bestens verstanden: Das Bühnengeschehen wechselt zwischen projizierten – nicht etwa nur Naturbildern, sondern – jeweils zur Musik passend – einem Naturgeschehen, das es den Menschen ermöglicht, sich damit zu identifizieren bzw. davon getragen zu fühlen oder inspirieren zu lassen. Während der Einleitung, laut Partitur „langsam und schmachtend“ erscheint in voller Bühnenhöhe eine hochragende Waldlandschaft mit einer engen Meeresbucht im Vordergrund, an deren Ufer ein Knabe ein Schiffchen lenken möchte, etwas später ein kleines Mädchen mit ähnlichen Absichten. Beim crescendo und „sempre piu forte“ zeigt filmisch auch die Natur mehr Veränderung, meist vom Wind bewegte Bilder eines hohen, tiefen Waldes, Wasserfälle oder ein gleichsam weltweit wogendes Meer vor dünklerem oder hellerem Gewölk, und alles nimmt des öfteren gewaltigere Formen an, ehe die Natur sich – musikentsprechend – wieder beruhigt. Noch einmal erscheinen die beiden Kinder am Ufer eines Wassers … wohl leicht zu erraten, dass damit Tristano e Isotta im Vorleben gemeint sind, jedoch „sie konnten zueinander nicht kommen“ – schon jetzt nicht…
Sobald Wagner die Sänger auftreten lässt, geschieht das in dieser Inszenierung im mittleren Vordergrund der Bühne, die jeweils einen Innenraum oder getrennte, durch schräge oder gerade Wände und mit Möbeln, meist Tischen und Stühlen oder Lehnsesseln ausgestatten Szenenbilder wohnlich erscheinen lässt. In unterschiedlicher Beleuchtung spielt somit der Großteil des vokalen Geschehens faktisch ganz publikumsnah, sodass wir mühelos jedes gesungene Wort verstehen und hiemit auch der Handlung optimal folgen können. Der oftmalige Wechsel zwischen Naturbildern und menschlicher Behausung trägt nicht unwesentlich zum spannungsgeladenen Gesamteindruck der Produktion bei. Die zeitlose Gewandung der Sängerdarsteller macht das Geschehen zeitlos. Gewiss nicht nur alkoholfreie Getränke werden oft zwischendurch – zur Ablenkung von diversen als unerfüllbar erkannten bzw. ausgelebten Gefühlen – sprich: Liebesqualen oder Liebesgeständnissen – genossen … Einfach grandios sind die in voller Bühnenhöhe gezeigten, erwünschten bzw. erdachten gemeinsamen Unternehmungen von Tristan und Isolde. Da verkleiden sie sich u.a. im 2.Akt zuletzt wie Berufssportler in Hemden und Hosen von heute, um gemeinsam auf einem Boot zu fahren oder auf Bergeshöhe miteinander auf einem runden Gefährt zu reiten … ehe die
grausame Realität wieder die Oberhand gewinnt und sie wieder nur nebeneinander in einem Innenraum sitzen, von Kurwenal und Brangäne stets liebevoll umsorgt, und unter immer zur Musik passender Beleuchtung den emotionalen Höhepunkt: „So stürben wir, um ungetrennt, ewig einig ohne End, ohn Erwachen, ohn Erbangen namenlos in Lieb umfangen, ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben ….“ während man in voller Bühnenhöhe wieder der Natur ansichtig wird. Nie hab ich in einer Aufführung so etwas erlebt: Die Natur soll den beiden etwas ermöglichen, was in der Menschenwelt unmöglich ist …
Während Brangäne und Kurwenal, ebenso wie das Liebespaar, in heutiger Gewandung auftreten, erscheinen König Marke und Melot in historischen Kostümen, ersterer königswürdig, letzterer Rollen-entsprechend auch denkbar unsympathisch verschminkt. Somit kann bereits von der Optik her das ebenso beglückende wie erschütternde Musikdrama – musikalisch, verbal und optisch von den Sängern unübertrefflich dargeboten und allgemein verständlich präsentiert werden.
Foto: Christiane Ibert
Ich habe Marco Jentzsch und Lena Kutzner in diesen ihren Rollen bereits in Wiesbaden bzw. Lübeck kennen und bewundern gelernt. In Meiningen wird ihnen in jeder Hinsicht noch viel mehr abverlangt. Da ich bereits vor der Generalprobe (und um auch alle anderen Aufführungen des Hauses davor, dazwischen und einen Tag nach der Wagner-Premiere zu besuchen) angereist war, erlebte ich die „Tristan“-Produktion gleich zweimal. Da ich vom Tenor und der Sopranistin noch nie angestrengtes Singen vernommen hatte, verwunderte es mich ein bisschen, dass Jentzsch bereits im 1. Akt nur mit voller Stimmkraft sang, obwohl er doch seit seinen Mozart-und Operettenanfängen zu purem vokalem, expressivem Wohlklang fähig war. Diesmal klang sein Tenor zwar ebenso topsicher, aber neutraler in der Stimmfärbung. Die stets munter umherspringende, Charme-sprühende und offensichtlich keine vokalen Probleme aufweisende Lena Kutzner konnte man nur bewundern. Was nicht alle bisher von mir erlebten Tristan-Sänger aufzuweisen hatten: Jentzsch blieb auch in dieser Produktion bis ans Ende der Oper ein Adeliger, ein nobler Mensch, der mit den ihn überwältigenden Emotionen kaum zurande kommt. Das zeigt sich besonders im 3.Akt, sobald ihm bewusst wird, dass er seiner Gefühle nicht mehr Herr werden kann. Nachdem er sich wieder erinnert, dass er nach seiner Geburt – „Meine Mutter starb, mein Vater fiel – nie sah sie der Sohn“ zur Einsamkeit verdammt war und nun seiner großen Liebe entsagen muss, bedarf es am Ende nicht des körperlichen Zusammenbruchs – nein, er legt sich schwankend auf das seit langem bereitstehende Bett, steht sogar sogar nochmals auf, aber sichtlich nicht mehr geistig und seelisch präsent bzw. fähig, die finalen Vorkommnisse mitzubekommen – er ist bereits in einer anderen Welt. Eine ganz berührende Regie-Idee: Im letzten Akt liegt auf einem Bett regungslos ein alter Mann – Tristans verstorbenen Vater darstellend. Nachdem dessen Sohn das Zeitliche gesegnet hat, geht der alte Mann langsam von der Bühne ab und Tristan legt sich an seine Stelle – so kommt er ihm endlich nahe… Was Marco Jentzsch da glaubwürdigst an Emotionen zu investieren vermochte, war überwältigend.
Frauen tun sich mit solch starken Gefühlen offenbar leichter als Männer. Sowohl Isolde wie auch Brangäne, die ebenso bewundernswert ihre Rolle singende wie gestaltende Tamta Tarielasvili, sangen und spielten alle Verhaltensweisen, die ihnen der Dichterkomponist auferlegt hat, glaubwürdigst aus. Die in allen Lagen volle, schöne, flexible Stimme der Sopranistin und Brangänes kraft- und würdevoller, warmer Mezzosopran waren zu bewundern. Ihre optische, rollengerechte Dauerpräsenz, wenn sie gerade nichts zu singen hatten, ebenfalls.
Während ich sogar in Bayreuth erlebt habe, dass König Marke, Kurwenal oder Melot optisch und vokal ins Hintertreffen gerieten – hier waren alle voll präsent. Shin Taniguchi als rührend um seinen Herrn besorgter Kurwenal, der öfters mit Humor und sichtlichem Wohlwollen dessen Ängste und Leiden mindern wollte, Selcuk Hakan Tirasoglue als würdiger, auch emotional berührender König Marke und Johannes Mooser als widerlich-eifersüchtig gezeichneter Melot, dem man den spontanen Tod gönnt. Die Stimme eines jungen Seemanns und Hirten – Aleksey Kursanov, ein Steuermann – Hans Gebhardt und die beiden statierenden Kinder sowie der tote Vater – alle perfekt.
Alles noch nicht Gesagte bzw. aus Platzmangel nicht gesagt werden Könnende mögen die beigefügten Fotos kundtun. Akustisch wäre seitens Dirigent und Orchester so viel zu sagen, dass es den möglichen Umfang dieses Premierenberichts beträchtllch sprengen würde. Killian Farrell dirigierte den Abend mit beklemmender Intensität, die jedoch nie den Sängern schadete, sondern sie unterstützte. Alle durften sich getragen fühlen, von dem, was in aller Wucht und Zartheit, an Glanz, in Trauer und unsäglicher Eindringlichkeit der Jubel- oder Moll-Klänge aus dem Orchestergraben kam, und die Harmonie zwischen Bühnen- bzw. optischem Hintergrundgeschehen beglückte genauso. Was mir besonders auffiel: Zumeist sinkt die Spannung des Bühnengeschehens bei König Markes und Melots Auftritt am Ende des 2. Akts. Diesmal trug die von Wagner ja nicht gewaltig instrumentierte Szene – wenn Tristan – vom Schwert noch gar nicht getroffen, zu Boden sinkt. Wir bedurften danach einer langen Atempause…
Das Finale des 3. Akts mit Isoldes verklärt gesungenem „Mild und leise wie er lächelt, wie das Auge hold er öffnet…. “ hatte optisch und musikalisch eine unsägliche, nicht in Worte zu fassende emotionale Aussage. Die hält immer noch an, während ich das schreibe….
Sieglinde Pfabigan
Es gibt noch 6 weitere Aufführungen, stets an Wochenenden: 21.4., 26.4., 17. 5., 25.5., 15.6., 22.6.; überdies – mit demselben Künstlerteam: „Tannhäuser“ auf der Wartburg: 2.5., 8.5., 11.5.