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MEININGEN/ Staatstheater: IVAN IV. von George Bizet

29.05.2023 | Oper international

Meiningen: IVAN IV. von George Bizet 28.5.2023

Als szenische Uraufführung der original fünfaktigen Fassung wird die Grand Opera IVAN IV. von G.Bizet derzeit in Meiningen gespielt. Gleich fragt man sich, wie konnte es geschehen, daß eine der wenigen  auf uns gekommenen Opern des früh verstorbenen Schöpfers der unsterblichen CARMEN über lange Jahrzehnte fast unbemerkt in Theaterdepots schlummerte? Oder teilt sie damit das Schicksal so mancher Pariser Grand Operas? Neben ARLESIENNE  und PECHEURS DES PERLES wurde Bizet in seiner kurzen kreativen Pariser Phase auch ein Libretto IVAN le Terrible‘ angeboten, das Charles Gounod abgelehnt hatte, und Bizet machte sich sofort an die Komposition diese Stoffes, der ihm für seine wohl einzige Grand opera taugte. Er sicherte sich die Aufführungen am größten Pariser Opernhaus, und sie sollten zur Weltausstellung 1863 gegeben werden. Da aber Zar Alexander II. sich zu der Weltausstellung ansagte, bekam man, obwohl Ivan in Bizets Werk gar nicht so schlecht wegkam, kalte Füße und setzte es wieder ab. Nun  drängten aber Bizets andere Projekte in den Vordergrund  und bald eben auch CARMEN. Von IVAN gab es aber weder eine Partitur noch einen Klavierauszug, da Bizet seine Musiken immer komplett im Kopf hatte, und nur die Stimmen für die SängerInnen, Chor und Orchester ausschreiben ließ bzw. diktierte. Er selber war ja der (Proben)dirigent gewesen. Man mußte sich also auf mühsame Rekonstruktionen einlassen, was erst bis heute mit der Orchestrierung des 5.Aktes von Howard Williams abschließend gelang. Insofern kann man die Meininger Ausgrabung getrost als Uraufführung IVAN IV. bezeichnen.

Es geht also um den ersten Zaren von Rußland, der das damalige Großherzogtum 16.Jahrhundert durch Angriffs- Kriege nach allen Seiten hin vergrößerte. Während im Westen der Vorstoß bis zur Ostsee gelang, wurden im Osten eine Reihe von Völkerschaften letztlich unterworfen, so auch die Tscherkessen, ein  mohammedanisches Bergvolk, und Ivan raubt dessen Fürstentochter Marie, um sie später im Kreml als seine Zarenbraut auszuwählen. Nach Entschleierung von ihrer Schönheit überwältigt, verweigert sie sich ihm aber und wird von Olga, seiner Schwester und Äbtissin eines einflußreichens Ordens, aus dem Kreml entführt. Daraufhin kann Marie aber seiner nachhaltigen Werbung nicht mehr widerstehen, verliebt sich und entscheidet, Zarin an seiner Seite zu werden. (Einen ähnlichen Stoff hat Rimsky Korasakow in seiner ZARENBRRAUT verarbeitet.) Vater und Bruder von Marie wollen den neuen Zaren aber ermorden, sind schon vor dem Kreml angekommen und verschwören sich mit dem Bojaren Yorloff, der ihnen Eintritt zum Brautgemach verschafft. Marie gibt sich ihnen als Geliebte des Zars zu erkennen, sie zögern mit seiner Ermordung, und Ivan verfällt in Wahnsinn, so daß Yorloff ihn gefangen nehmen und seinen Tod verkündigen kann. Der verräterische Bojar krönt sich selbst zum Zaren. Ivan gelingt aber die Befreiung und kann, sich wieder in Herrscherpose gerierend, auch Marie und ihren Bruder Igor vor der Hinrichtung retten. Das russische Volk besingt die Zarenherrschaft Ivans und Maries.

Es gelingt Bizet eine Grand opera, ganz im Stile Meyerbeers und Halevys, in der er für die vielen wechselnden Szenen immer eine prägnante und atmosphärische Musik erfindet, auf russische Einflüsse (Mussorgsky!) weitgehend verzichtet, und indem er sich folkloristischer Annäherungen enthält, keinen „Vorgriff“ auf Carmen riskiert, höchstens vielleicht im Lied des jungen Bulgaren. So kann man die Oper fast als ’streng‘ im Sinn von strenger satztechnischer Komposition bezeichnen, die aber durchaus einige Juwelen bereithält wie fulminante Steigerungen von Spannungsbögen oder plötzliches beglückend harmonisches Umschlagen von Stimmungen oder Handlungen. Die Meininger Hofkapelle bietet dabei unter dem vielfach inspirierenden und insistierenden Dirigat ihres langjährigen Leiters Philippe Bach alles an leichtfüßiger Spielkultur und Wohlklang auf.

Die Inszenierung von Hinrich Horstkotte (auch Bühne,Kostüme) hat einige Szenen locker akribisch und spannend ausgedeutet, verliert aber nie ihr eher zurückhaltendes ruhiges aber präzises Fortschreiten in der Handlung und der Personenführung. Dazu bedarf es auch keiner größeren Bühnenaufbauten. Dafür beinhalten Soupers-Tische oder das Brautgemach einen subtil makabren Ansatz, wenn sie sich in einer größtmöglichen Schräglage befinden. Der junge Bulgare (Hosenrolle) als verachteter Mundschenk wird auf einer solchen gezwungen zu singen und dabei von den umstehenden Bojaren langsam seiner Kleider entledigt, und wenn er schon ganz bauchfrei  ist, steigt Ivan zu einem dämonischen Tanz mit ihm empor. Auch das Ehebett des Zaren  befindet sich in äußerster Schieflage.Daß es zu keinem Blutbett wird wird verdanken wir nur der Tatsache , daß Vater und Bruder nicht zu Radikal-Talibanen  werden und Tochter/Schwester mit ihren Dolchen niedermachen. Die Kostüme sind allermeist an russischer Spätrenaissance und an tscherkessischer Folklore (die Mädchen alle in gelben Kapuzen und Kleidern gewandet, die Jäger blau) inspiriert.

Chor, Extrachor (E.: Manuel Bethe) und Statisterie präsentieren sich in exzellenter Form. Sofie, Tochter Yorloffs, ist als Nancy Kasper schwarz und altrussisch gestylt, Stan Meus mit Charaktertenor, fast schrill als ein Herold. Bruder Igor ist mit angenehm jungheldischem Tenor Alex Kim. Mercedes Arcuri muß sich aus ihrer dicken Vermummung inclusive Kopf’bedachung‘ erst herausschälen, um ihre Schönheit und Jugendlichkeit preiszugeben. Ihr spielerischer Sopran, den sie lange weitgehend hinplätschern läßt, blüht plötzlich wie in einem unvermuteten Endrefrain oder einer Coda metallisch oder wie Kristall auf, und sie kann sich endlich so timbriert verströmen, wie es einer Liebenden zusteht. Temrouk, den Tscherkessenfürst, gibt mit gemeißeltem klangkräftig prononciertem Baßabriton Hakan Tirasoglu.

Die Olga geriert sich als Äbtissin in Gestalt Tamta Tarielashvilis ganz wie eine aufbrausende Furie mit auf den Bruder gedrücktem Kreuz.  Der Zar selbst scheint eher ein (Baß)Bariton zu sein. Tomasz Wija ist mit hängender Mähne ein verhalten oder hinterhältig Grausamer und mit wallenden byzantinischen Gewändern versprüht gesanglich auch eher Dunkles, teils Verwirrtes, aber immer im Belcantomodus bei angenehmem Timbre. Sein Gegner, aber Vertrauter, der Schuiski Yorloff, ist Shin Taniguchi mit seinem hintergründig verwegenen Bariton.

 

Den jungen Bulgaren zeichnet sehr gekonnt und mit Verve in der teils auch masochistisch angelegten Rollenbeleuchtung die vortreffliche Sara-Maria Saalmann.             

  Friedeon Rosén

 

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