Meiningen; Der Fliegende Holländer 16.10.2021 Premiere
Foto: Shin Taniguchi, Rafael Helbig-Kostka (hinter Tresen), Tomasz Wija; (c) Cristina Iberl
Das Meininger Staatstheater zeigt einen neuen Fliegenden Holländer in Zusammenarbeit mit dem Theater Ulm. Meiningen kann sich freuen, dank der 3-G-Regel sein relativ großes Haus wieder vollzubekommen mit Wagners Holländer, der, vielleicht nicht so populär wie Lohengrin oder Meistersinger von Nürnberg, doch seine ‚Fliehkräfte‘ auslöst. Regisseur Kay Metzger, Intendant de Ulmer Theaters, hat sich zu seiner Inszenierung Gedanken und Reflexionen über die gesamte Stoffgeschichte des holländischen Weltumseglers gemacht.Als Inszenierungs-Ansatz kam dabei das Medium Film zum Zug, da der Film seit seiner Entstehung wichtige Beiträge zum Themas leistete, etwa Hans Neumanns Stummfilm von 1918 oder Albert Lewins „Pandora und der Fliegende Holländer“, der die griechische Sage mit der Figur des Verdammten verbindet. Oder im 21.Jahrhundert „Fluch der Karibik“ über einen untoten Kapitän und seine Crew, dessen Plakat, diesmal mit dem Beinamen ‚Fluch der Meere‘ auf der Bühne zu sehen ist.
Senta flüchtet sich hier also in die Phantasiewelt des Kinos, und die wird in einem Einheits-Bühnenbild einer großen Kino-Lounge gezeigt mit Barbereich auf der rechten Seite, hinten der stufenerhöhte Zugang zu Kinosaal 1 mit jeweils einem großen Plakat des „heute“ gezeigten Films, links eine langgezogene dunkelgrüne Wandbank, mehrere Tischchen und Stühle.(Bb.und Kostüme:Petra Mollérus) Senta ist der Phantasiewelt des Kinos total verfallen, bereits während des Vorspiels trinkt sie immer kurz etwas an einem Tischchen, dann starrt sie am Eingang das Plakat fasziniert an, während der Barkeeper, der sich später als der Steuermann erweist, ihren Tisch abräumt. Dieses Tableau wiederholt sich 3-4 mal, und es wird auch am Ende mit einer alten Senta gezeigt. Der Holländer, mit dem Senta wohl eine bürgerliche Ehe eingegangen war, war wohl inzwischen verstorben, denn er wurde während der Handlung als bereits gealtert gezeigt. Wenn auch der Erik ganz jung und viel fescher daherkommt, kann er Senta anscheinend gar nicht genügen. Sie hält ja eher wenig von täglicher Arbeit, und tatsächlich ist sie voll dabei, wenn Holländer während des Steuermann-Chors ein ‚Mensch ärgere dich nicht‘-Spiel aus seinem Seesack hervorholt, das sie zu dritt mit Daland hingebungsvoll spielen. Auch wiegt sich das ’neue Paar‘ oft zur Holländermusik in langsamen Tanz. Offensichtlich geht auch die musikalische Interpretation ganz in diese ‚undramatische‘ Richtung.
So langgezogen und ohne Pause hat man Wagners erste romantische Oper noch selten gehört. Dabei hat es auch einmal etwas für sich, die Motive so liebevoll transparent ausmusiziert zu hören, und nicht fast immer überbordendes lärmendes Wellenpeitschen. Für diese Interpretation steht der Meininger Musikdirektor Philippe Bach und vermittelt sie klar an die Meininger Hofkapelle. Es ist eine oft ins Elegische gehende Sicht- bzw. Hörweise, mit der man sich aber erst mal anfreunden muß. Bei der Premiere gelang sie aber in ganz vielfarbiger Manier, in der die musikalischen Gedanken und Sätze ausgesponnen werden.
Das Elegische der Inszenierung wird aber etwas konterkariert durch die spritzigen Auftritte des Chors, musikalisch völlig sicher interpretiert (E.: Manuel Bethe).(Der intrikate Geisterchor-Einsatz kommt aus dem Off.) Sie liefern dazu quasi das 20er Jahre Feeling, das die Entstehung des Films so stark prägte. Die Männer als Barkeeper alle im Gleichklang mit Gläserputzen beschäftigt, die Frauen, auch in Kellnerinnen-Kluft, mit schnellen Näharbeiten beschäftigt. Der Steuermann ist bei den Herren der Ober-barkeeper, bei den Damen ist sein Pendant die Mary, und bei starkem ‚Betrieb‘ ergänzen sie sich auch gut zwischen Bar und Tresen. Daland wird als junge lustige Figur dargestellt , und als Seemann hat er viel Schlaf-Nachholbedarf, dem er auf der Bank oder mit dem Kopf auf dem Tisch frönt. Auch der Holländer wird mit seinem altbackenen Outfit und lustigen Bewegungen, wenn er seine Scheine zu Daland rüberwachsen läßt, etwas ins Witzige gezogen.
Die Titelfigur gestaltet Shin Taniguchi aber weitgehend ‚asiatisch‘ stoisch und stimmlich rollengerecht, besonders auch was die gut eingebundenen Höhen betrifft.Auch kann er durch eine gut timbrierte gewisse Hohlheit im Gesang beim Auftrittsmonlog seine Düsterkeit vermitteln.
Der Daland ist als guter Baßbuffo Tomasz Wija. Lena Kutzner stellt eine vollschlanke Senta dar in hellbrauner Wolljacke und und dunkelblauem Faltenrock, einer etwas gekürzten 20er Jahre Frisur und festem angenehm timbriertem und focussiertem Sopran, den sie bei Bedarf auch ganz schön aufdrehen kann.
Michael Siemon bringt besondere Qualitäten für den oft unterschätzten Eric ein. In legerem braunen Anzug kann er seinen Belcanto Tenor immer mit den Gefühlen seiner Erzählungen, die seine Liebe zu Senta schilden, färben, was diese aber immer unbeeindruckter läßt.
Rafael Helbig-Kostka, der aber mehr als übergewichtiger Oberkellner zur Geltung kommt, stellt mit feinem Tenor den Steuermann dar. Tamta Tarielashvili komplettiert mit vollem ausschlagendem, fast opulentem Mezzo und sehr spielerisch veranlagt als Mary.
Friedeon Rosén