MEININGEN: SCHWARZWALDMÄDEL – Operette von Leon Jessel
23.11. 2019 (Werner Häußner)
Es ist halt so eine Sache mit dene „Schmätzle“: Wer sie irrtümlich für einen Liebesbeweis hält, obwohl sie nur der „Kunscht“ gelten sollten, bleibt desillusioniert zurück. So geht es dem alternden Domkapellmeister von Sankt Christof im „Schwarzwaldmädel“. In der einst beliebten Operette Leon Jessels in der Inszenierung am Südthüringischen Staatstheater Meiningen zeigt sich Regisseur Tobias Rott nachsichtig: Der alte Mann im zweiten Frühling wird getröstet durch ein hehres Wunder und muss nicht zuschauen, wie sich drei junge Paare glücklich finden.
Das „Schwarzwaldmädel“ ist aber bei weitem nicht allein die Geschichte einer unmöglichen, etwas skurrilen, etwas lächerlichen und etwas wehmütigen Liebe eines reifen Musikus zu einem viel zu jungen, viel zu naiven Mädel. Es ist eine Durchhalteoperette, ein großer Erfolg des Jahres 1917, als Deutschland kriegsmüde geworden war und die herzige Story aus dem idyllischen „schwarzen Wald“ für Ablenkung von Not und Hunger in der Hauptstadt Berlin sorgte. Es ist eine Vorgängerin der später so beliebten Unterhaltungsstücke, die ferne Länder oder Urlaubsregionen verklären oder im besten Fall ironisieren – das „Weiße Rössl“ ist das populärste Beispiel dafür.
Jessel beschreibt auch die Brüche in der Idylle: Das Bärbele ist als „Lumpeprinzessle“ und „Spatzeschreck“ eine Ausgegrenzte, ebenso wie ihre Tante, die als „alte Hex“ von der Dorfbevölkerung verspottet und gedemütigt wird. Und er nimmt die überheblichen Großstädter aufs Korn, die gönnerhaft oder ignorant in die enge Welt um den Kirchturm einbrechen: Die mondäne Malwine als eine Frühform zielstrebiger Optimierungsstrategien und – als Paraderolle für den Berliner Komiker – den Fabrikanten Schmusheim, der auch der Kunst verbunden ist, wenn auch auf eine ziemlich unappetitliche und schnöde Weise.
Vor allem aber versorgt Leon Jessel die Berliner von damals – und noch zwei weitere Generationen begeisterter Operettenbesucher – mit pfiffigen, süffigen und eingängigen Melodien, geschickt gearbeitet, mal auf Franz Lehár schielend, mal den rhythmischen Schliff von Paul Lincke aufnehmend. Dabei geht er nicht ohne Ironie zu Werke, wenn er etwa anfangs den Choral zu Ehren der Schutzheiligen der Musik, Cäcilie, mit einem Dreiertakt zum Tanz verwandelt. Oder wenn er aus dem melodischen Material des Cäcilien-Hymnus die Beschreibung der zupackenden, männerschreckenden Malwine entwickelt – eine Erotik-Mine, die, naht man sich ihr von weitem bloß, schon losgeht. Oder wenn besagte Malwine einer „Registerarie“ des gar nicht von ihr angezogenen Richard im Duett mit einer A bis Z – Aufzählung ihrer eigenen Liebhaber antwortet.
Das Stück hat also Potenzial, und der Meininger Schauspieldirektor nutzt es zu einer allerliebsten, auf ironische Weise „werkgerechten“ Inszenierung. Christian Rinke (Bühne) und Kerstin Jacobssen (Kostüme) nutzen alle Schwarzwald-Klischees. Der grüne Tann umrahmt die trauliche Hütte des Kapellmeisters, im Hintergrund erhebt sich der „Dom“ mit erleuchteten bunten Fenstern nach bester Meininger-Manier, das Häuschen lässt sich ruck zuck in eine Dorfplatz mit Cäcilienbrunnen umbauen und passt – in die Breite erweitert – auch für die Gaststube des „Blauen Ochsen“, wo die Schinken vom Balken hängen. Schon vorher pilgern fesche Buben mit Dutzenden von Kirschtorten im Hintergrund vorüber.
Rott drückt der Geschichte keinen Überbau auf; er führt die Personen glaubwürdig und ernsthaft, meidet Slapstick, baut aber winzig wirkungsvolle ironische Brüche ein, mit denen er Sentiment aushebelt, Rührseligkeit vermeidet, ohne die Atmosphäre mit dem Dampfhammer zu traktieren. So wird das „Schwarzwaldmädel“ leicht, beschwingt und ohne Magendrücken goutierbar.
Mit einem aparten Kniff hebelt Rott die Heimattümelei im Stück aus, wenn sich die Darsteller gegenseitig nach ihrer „ursprünglichen“ Herkunft befragen und für den Moment der Antwort die Spielebene brechen. Da sorgt dann „Korea, Süd“ aus dem Mund des wegen der Liebe zum „Lorle“ (recht keck: Carolina Krogius) im Dorf gestrandeten Journalisten Theobald (Youngkyu Suh) ebenso für Lacher wie das „Arnstadt“ aus dem Munde des Ur-Berliners Schmusheim (Peter Liebaug als Bilderbuch-Komiker). Gleichzeitig wird das arg holprige Schwäbisch auf diese Weise sympathisch gerechtfertigt. Dass allerdings unbekümmert grausam gekräht, geknödelt, tremoliert und forciert wird, trübt die Freude am Gesang doch erheblich. Auch wenn Meiningen nicht die Scala ist.
Ein paar Lichtblicke gibt es dennoch. Für die sorgen Laura Demjan als herziges Bärbele, eine auch im Singen glaubwürdige Figur; Sonja Freitag als passend opernhafte Malwina mit Diven-Anmutung, Ulrike Walther als deutlich deklamierende alte Traudel und Stan Meus als seinem Bühnenalter entsprechend gebrochen singender Domkapellmeister Blasius Römer. Peter Leipold leitet die Meininger Hofkapelle zu animiertem Spiel an, bei dem die Bläser-Streicher-Balance stimmt und der weiche Tonfall der Musik Leon Jessels zum Leuchten kommt. Die Reaktionen wie der Beifall des Publikums lassen darauf schließen, dass man sich prächtig unterhalten hat. Das Haus war voll, obwohl das „Schwarzwaldmädel“ schon in der vergangenen Saison gespielt wurde. Die Hoffnung besteht, dass der Zuspruch eine erneute Wiederaufnahme ermöglicht.
Werner Häußner