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MEININGEN: DIE PIRATEN VON PENZANCE von Gilbert & Sullivan

05.10.2018 | Operette/Musical

MEININGEN: DIE PIRATEN VON PENZANCE
am 4.10.2018 (Werner Häußner)

Zwei Hindernisse sind es, die den Weg der Operetten des englischen Duos Gilbert & Sullivan in teutonische Lande immer wieder blockieren. Das eine ist die wagnerähnlich innige Verbindung von Text und Musik, die so pointiert funktioniert, dass selbst die beste Übersetzung ins deutsche Idiom immer wieder arg holpert. Das andere ist der mangelnde Sinn für baren Nonsens. Der Bewohner des Landes der Dichter und Denker ist darauf fixiert, im gesprochenen, vor allem im theatral überhöhten Wort den tieferen Sinn, die Meta-Ebenen und von mir aus auch das dekonstruktivistische Potenzial zu erforschen. Und so befremden ihn die fröhlichen Plapperarien aus den welschländischen Tand-Buffonerien ebenso wie die Wiener Absurditäten aus der nestroyanischen Posse oder der satirisch überspitzte Witz einer opéra bouffe Jacques Offenbachs: Es ist ja bezeichnend, dass 2019, wenn Offenbachs 200. Geburtstag zu feiern ist, wieder nur annähernd groteskenfreie „Hauptwerke“ zu den Theatern zugelassen sind.

Auch der ernste teutonische Regietheater-Regisseur tut sich mit dem Genre des Komischen schwer. Von Ruth Berghaus bis Peter Konwitschny: Berühmt geworden sind sie nicht mit Komödien, und wenn sie sich mal an so etwas wie „Barbe-bleue“ wagen, wird’s garantiert ein moralinsaures Lehrstück über die Verderbtheit der Politik oder Ähnliches. Wie sollen also Gilbert & Sullivan in diesem Milieu Würzelchen bilden?

Auf diese Frage gibt auch die Inszenierung von Lars Wernecke am Meininger Theater keine Antwort – trotz kluger Worte im recht ergiebigen Programmheft der Dramaturgin Anna Katharina Setecki. Wieder einmal war die alte Malaise gut gemeinter Operetten-Inszenierungen zu beobachten: Statt die Spannung zwischen Sein und Schein auszuhalten und daraus den Funken des Humors zu schlagen, statt die Personen hartnäckig ernst zu nehmen und aus den so entstehenden Spannungen komisches Kapital zu schöpfen, werden sie in vorauseilendem Spaß-Gehorsam zu Karikaturen ihrer selbst verbogen, die lustig wirken sollen, in ihren ausufernd übertriebenen, klischeebehafteten Spielallüren aber nur berechenbar langweilig werden. Entsprechend bewegungsarm war der Lach-Pegel im Meininger Publikum; Die vornehmlich älteren Herrschaften goutierten geduldig, was sie vielleicht aus langer Gewöhnung für unvermeidbar im Genre Operette halten.

Christian Rinke hatte sich wohl mit ein paar verheißungsvollen Ansätzen in den Bau der gefälligen Ausstattung und das Entwerfen putziger Couture geworfen: Die Mädels des Generalmajors Stanley schweben mit Matrosenkrägen und viktorianischen Beinkleidern in Rosa herein. Die Piraten zitieren lustvoll die Klischees von der Augenklappe über den Admiralshut bis zum Papagei auf der Schulter. Die Polizei steckt – wie auch anders – in Bobby-Uniformen mit freiem Schienbein. Der Clou ist der Generalmajor mit seiner prachtvollen rosa Uniform. Aber was soll das alles, wenn Stan Meus, dem komischen Genre als Darsteller nie abgeneigt, in den Klischees des gealterten Volltrottels stecken bleibt, statt in konsequenter Würde seine rosa Haut zum Markte des Gelächters zu tragen?

Auch die Piratenschar böte genügend Vorlagen: Dass der wüste Haufen sentimentale Hemmnisse pflegt und in Wirklichkeit nicht aus gesellschaftlichen Underdogs, sondern aus gelangweilten Aristokraten besteht, klingt in der Eingangsszene mit den Teetassen zwar an, wird aber im Lauf des Stücks nicht entfaltet. Ein paar vorgestanzte Choreographien und eine Bewegungsregie, wie sie auf hundert andere Sujets anwendbar und damit unscharf ist, genügen eben nicht, um das satirische Lach-Potenzial der Operette – Gilbert & Sullivan belegten ihre köstlichen Machwerke übrigens nie mit dieser Bezeichnung – für ein heutiges Publikum zu wecken.

So bleibt es in Meiningen bei der provinziellen Bedienung mit einer für wohlvertraut und bewährt gehaltenen, in Wirklichkeit aber abgestandenen, ungenießbaren und inzwischen ärgerlich gewordenen „Kunst“. Der Eindruck wird auch durch die vokalen Eskapaden des Meininger Ensembles nicht gemildert. Es schwankt zwischen dem ansprechend sein Material einsetzenden Tenor Robert Bartneck als Frederic und Chargen, bei denen die Frage ernsthaft zu stellen ist, ob sie je eine Stimm-Ausbildung genossen haben. Eine Figur wie die „komische Alte“ Ruth (Sylvia Hofmann) wird auch durch noch so viel Übertreibung nicht gerettet, und die weibliche Hauptrolle Mabel (Monika Reinhard) hat zwar ein paar hohe Pfeiftöne, zerschießt aber ihre schmeichelnden, an die sentimentale opéra comique erinnernden Melodiechen mit unbarmherzigem Vibrato.

Im Graben müht sich André Weiss um den leichten Ton in den gestrichelten, temporeichen Passagen, um das nötige falsche Pathos und um die lichte, warmherzige, ironisch angeknackste Lyrik á la Michael Balfe. Wenigstens diese Seite des Spektakels gelingt dank der Meininger Hofkapelle mit ein paar kleinen Ausrutschern und Tempo-Unsicherheiten zwischen Bühne und Graben. Am Ende ist man froh, das Queen Victoria dem Piratenspuk ein Ende macht.

Werner Häußner

 

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